schleppt habe, natürlich ohne es zu verstehen, nur weil die schön vergoldete Pergamentdecke ihn gereizt. Einige Zeit hernach habe von ungefähr ein Kenner es bei ihm erblickt und es für einen außerordentli- chen Schatz erklärt; hiedurch sey er auf den Inhalt neugierig worden, um so mehr, da seine Neigung zu Schauspielen und Tragödien schon damals bis zur Wuth entzündet gewesen. Nun habe er der Rose- monde -- der unbekannten Geliebten -- zu Gefallen mit wahrhaft ritterlichem Eifer sich straks dem Ita- lienischen ergeben, und nachdem er die Süßigkeit der Sprache erst verschmeckt, für gar nichts Anderes mehr Aug' und Ohr gehabt, in Kurzem auch, ein Zweiter Almachilde (so hieß Rosemondens Liebhaber und Retter), der armen Königstochter sich völlig be- mächtigt.
War aber dieses Stück, als ein verehrter Zeuge der schönen Kindheit des tragischen Theaters der Ita- liener schon an und für sich merkwürdig genug, so sezte sich nun unser Cirkel, des Mannes eingedenk, von dem es herkam, mit einer Art von Andacht zu dem Trauerspiel, wiewohl es während des Lesens und Verdeutschens an munteren Bemerkungen nicht fehlte, entweder weil die Uebersetzung zuweilen stocken wollte, oder weil man nicht umhin konnte, die im Ganzen herrliche Charakteristik in der Dichtung mitunter et- was hart und holzschnittartig zu finden. Außer Agnes und Nannetten war Allen die Sprache bekannt;
ſchleppt habe, natürlich ohne es zu verſtehen, nur weil die ſchön vergoldete Pergamentdecke ihn gereizt. Einige Zeit hernach habe von ungefähr ein Kenner es bei ihm erblickt und es für einen außerordentli- chen Schatz erklärt; hiedurch ſey er auf den Inhalt neugierig worden, um ſo mehr, da ſeine Neigung zu Schauſpielen und Tragödien ſchon damals bis zur Wuth entzündet geweſen. Nun habe er der Roſe- monde — der unbekannten Geliebten — zu Gefallen mit wahrhaft ritterlichem Eifer ſich ſtraks dem Ita- lieniſchen ergeben, und nachdem er die Süßigkeit der Sprache erſt verſchmeckt, für gar nichts Anderes mehr Aug’ und Ohr gehabt, in Kurzem auch, ein Zweiter Almachilde (ſo hieß Roſemondens Liebhaber und Retter), der armen Königstochter ſich völlig be- mächtigt.
War aber dieſes Stück, als ein verehrter Zeuge der ſchönen Kindheit des tragiſchen Theaters der Ita- liener ſchon an und für ſich merkwürdig genug, ſo ſezte ſich nun unſer Cirkel, des Mannes eingedenk, von dem es herkam, mit einer Art von Andacht zu dem Trauerſpiel, wiewohl es während des Leſens und Verdeutſchens an munteren Bemerkungen nicht fehlte, entweder weil die Ueberſetzung zuweilen ſtocken wollte, oder weil man nicht umhin konnte, die im Ganzen herrliche Charakteriſtik in der Dichtung mitunter et- was hart und holzſchnittartig zu finden. Außer Agnes und Nannetten war Allen die Sprache bekannt;
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0232"n="546"/>ſchleppt habe, natürlich ohne es zu verſtehen, nur<lb/>
weil die ſchön vergoldete Pergamentdecke ihn gereizt.<lb/>
Einige Zeit hernach habe von ungefähr ein Kenner<lb/>
es bei ihm erblickt und es für einen außerordentli-<lb/>
chen Schatz erklärt; hiedurch ſey er auf den Inhalt<lb/>
neugierig worden, um ſo mehr, da ſeine Neigung zu<lb/>
Schauſpielen und Tragödien ſchon damals bis zur<lb/>
Wuth entzündet geweſen. Nun habe er der <hirendition="#g">Roſe-<lb/>
monde</hi>— der unbekannten Geliebten — zu Gefallen<lb/>
mit wahrhaft ritterlichem Eifer ſich ſtraks dem Ita-<lb/>
lieniſchen ergeben, und nachdem er die Süßigkeit der<lb/>
Sprache erſt verſchmeckt, für gar nichts Anderes mehr<lb/>
Aug’ und Ohr gehabt, in Kurzem auch, ein Zweiter<lb/><hirendition="#g">Almachilde</hi> (ſo hieß <hirendition="#g">Roſemondens</hi> Liebhaber<lb/>
und Retter), der armen Königstochter ſich völlig be-<lb/>
mächtigt.</p><lb/><p>War aber dieſes Stück, als ein verehrter Zeuge<lb/>
der ſchönen Kindheit des tragiſchen Theaters der Ita-<lb/>
liener ſchon an und für ſich merkwürdig genug, ſo<lb/>ſezte ſich nun unſer Cirkel, des Mannes eingedenk,<lb/>
von dem es herkam, mit einer Art von Andacht zu<lb/>
dem Trauerſpiel, wiewohl es während des Leſens und<lb/>
Verdeutſchens an munteren Bemerkungen nicht fehlte,<lb/>
entweder weil die Ueberſetzung zuweilen ſtocken wollte,<lb/>
oder weil man nicht umhin konnte, die im Ganzen<lb/>
herrliche Charakteriſtik in der Dichtung mitunter et-<lb/>
was hart und holzſchnittartig zu finden. Außer <hirendition="#g">Agnes</hi><lb/>
und <hirendition="#g">Nannetten</hi> war Allen die Sprache bekannt;<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[546/0232]
ſchleppt habe, natürlich ohne es zu verſtehen, nur
weil die ſchön vergoldete Pergamentdecke ihn gereizt.
Einige Zeit hernach habe von ungefähr ein Kenner
es bei ihm erblickt und es für einen außerordentli-
chen Schatz erklärt; hiedurch ſey er auf den Inhalt
neugierig worden, um ſo mehr, da ſeine Neigung zu
Schauſpielen und Tragödien ſchon damals bis zur
Wuth entzündet geweſen. Nun habe er der Roſe-
monde — der unbekannten Geliebten — zu Gefallen
mit wahrhaft ritterlichem Eifer ſich ſtraks dem Ita-
lieniſchen ergeben, und nachdem er die Süßigkeit der
Sprache erſt verſchmeckt, für gar nichts Anderes mehr
Aug’ und Ohr gehabt, in Kurzem auch, ein Zweiter
Almachilde (ſo hieß Roſemondens Liebhaber
und Retter), der armen Königstochter ſich völlig be-
mächtigt.
War aber dieſes Stück, als ein verehrter Zeuge
der ſchönen Kindheit des tragiſchen Theaters der Ita-
liener ſchon an und für ſich merkwürdig genug, ſo
ſezte ſich nun unſer Cirkel, des Mannes eingedenk,
von dem es herkam, mit einer Art von Andacht zu
dem Trauerſpiel, wiewohl es während des Leſens und
Verdeutſchens an munteren Bemerkungen nicht fehlte,
entweder weil die Ueberſetzung zuweilen ſtocken wollte,
oder weil man nicht umhin konnte, die im Ganzen
herrliche Charakteriſtik in der Dichtung mitunter et-
was hart und holzſchnittartig zu finden. Außer Agnes
und Nannetten war Allen die Sprache bekannt;
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 546. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/232>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.