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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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den ersten Trauerschlägen von dem Thurme her lang-
sam und feierlich das lezte größte Schmerzgewicht auf
die Brust unsrer Freunde. Die Leiche mußte vor
dem Hause des Präsidenten vorüberkommen, wo denn
die ordentliche Begleitung mit einbrechender Nacht,
Punkt neun Uhr sich aufstellen und ein Fackelzug von
Künstlern und Schauspielern die Leiche abholen sollte,
während dessen die übrigen Fußgänger und die Wagen
hier zu warten angewiesen waren.

Nolten suchte noch einen Augenblick los zu
kommen, um in aller Stille einen lezten Gang nach
des Tischlers Hause zu thun. Dort traf er bereits
eine Menge Neugieriger in der engen Gasse versam-
melt, doch wagte Niemand, ihm zu folgen, als der
alte Meister ihm den Schlüssel zu der bekannten,
weit nach hintenzu gelegenen Kammer reichte. Ein
weißer, mit frischen Blumen behängter Sarg stand
auf dem Gange. Köstliches Rauchwerk kam ihm aus
dem Zimmer entgegen, als er eintrat. Aber auf's
Schönste ward er überrascht und gerührt durch einen
Schmuck, den eine unbekannte Hand dem Todten hatte
angedeihen lassen. Nicht nur war der Körper mit
einem langen, feinen Sterbekleid und schwarzer Schärpe
reinlich umgeben, sondern ein großer, blendend weißer
Schleier, mit Silber schwer gestickt, bedeckte das Ant-
litz und ließ einen grünen Lorbeerkranz, der um die
hohe Stirne lag, und selbst die Züge des Gesichts
gar milde durchschimmern.

den erſten Trauerſchlägen von dem Thurme her lang-
ſam und feierlich das lezte größte Schmerzgewicht auf
die Bruſt unſrer Freunde. Die Leiche mußte vor
dem Hauſe des Präſidenten vorüberkommen, wo denn
die ordentliche Begleitung mit einbrechender Nacht,
Punkt neun Uhr ſich aufſtellen und ein Fackelzug von
Künſtlern und Schauſpielern die Leiche abholen ſollte,
während deſſen die übrigen Fußgänger und die Wagen
hier zu warten angewieſen waren.

Nolten ſuchte noch einen Augenblick los zu
kommen, um in aller Stille einen lezten Gang nach
des Tiſchlers Hauſe zu thun. Dort traf er bereits
eine Menge Neugieriger in der engen Gaſſe verſam-
melt, doch wagte Niemand, ihm zu folgen, als der
alte Meiſter ihm den Schlüſſel zu der bekannten,
weit nach hintenzu gelegenen Kammer reichte. Ein
weißer, mit friſchen Blumen behängter Sarg ſtand
auf dem Gange. Köſtliches Rauchwerk kam ihm aus
dem Zimmer entgegen, als er eintrat. Aber auf’s
Schönſte ward er überraſcht und gerührt durch einen
Schmuck, den eine unbekannte Hand dem Todten hatte
angedeihen laſſen. Nicht nur war der Körper mit
einem langen, feinen Sterbekleid und ſchwarzer Schärpe
reinlich umgeben, ſondern ein großer, blendend weißer
Schleier, mit Silber ſchwer geſtickt, bedeckte das Ant-
litz und ließ einen grünen Lorbeerkranz, der um die
hohe Stirne lag, und ſelbſt die Züge des Geſichts
gar milde durchſchimmern.

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[530/0216] den erſten Trauerſchlägen von dem Thurme her lang- ſam und feierlich das lezte größte Schmerzgewicht auf die Bruſt unſrer Freunde. Die Leiche mußte vor dem Hauſe des Präſidenten vorüberkommen, wo denn die ordentliche Begleitung mit einbrechender Nacht, Punkt neun Uhr ſich aufſtellen und ein Fackelzug von Künſtlern und Schauſpielern die Leiche abholen ſollte, während deſſen die übrigen Fußgänger und die Wagen hier zu warten angewieſen waren. Nolten ſuchte noch einen Augenblick los zu kommen, um in aller Stille einen lezten Gang nach des Tiſchlers Hauſe zu thun. Dort traf er bereits eine Menge Neugieriger in der engen Gaſſe verſam- melt, doch wagte Niemand, ihm zu folgen, als der alte Meiſter ihm den Schlüſſel zu der bekannten, weit nach hintenzu gelegenen Kammer reichte. Ein weißer, mit friſchen Blumen behängter Sarg ſtand auf dem Gange. Köſtliches Rauchwerk kam ihm aus dem Zimmer entgegen, als er eintrat. Aber auf’s Schönſte ward er überraſcht und gerührt durch einen Schmuck, den eine unbekannte Hand dem Todten hatte angedeihen laſſen. Nicht nur war der Körper mit einem langen, feinen Sterbekleid und ſchwarzer Schärpe reinlich umgeben, ſondern ein großer, blendend weißer Schleier, mit Silber ſchwer geſtickt, bedeckte das Ant- litz und ließ einen grünen Lorbeerkranz, der um die hohe Stirne lag, und ſelbſt die Züge des Geſichts gar milde durchſchimmern.

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 530. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/216>, abgerufen am 22.11.2024.