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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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Der Maler blieb nicht länger vor dem Bette
stehn, als eben hinreichte, um jenes stumme, langge-
dehnte Lebewohl -- sey es auf Wiedersehn, ach! oder
auch auf ewig Nimmersehn -- durch das Tiefin-
nerste der Seele ziehn zu lassen und jeden stillen Win-
kel seiner Brust mit diesem Liebes-Echo schmerzlich
anzufüllen.

Er hörte Tritte auf dem Gang, schnell riß er
sich los, in Eifersucht, daß diesen Ruhe-Anblick, den
er auf alle Zeiten mit sich nehmen wollte, kein An-
derer mit ihm theile.


Wir sehen einen frischen Tag über der Stadt
aufgehn, und sagen von dem gestrigen Abende nicht
mehr, als daß die ganze Feier schön und würdig voll-
zogen wurde.

Der heutige Morgen, es war ein Sonntag, ging
mit Einpacken, oder mit Besuchen hin, die Nolten
in der Stadt zu machen und zu erwiedern hatte. Die
außerordentliche Begebenheit erwarb ihm eine große
Anzahl theils neugieriger, theils aufrichtiger Freunde,
es kam nun eine Einladung nach der andern, darun-
ter sehr ehrenvolle, die er nicht ablehnen durfte. Es
wurde deßhalb beschlossen, daß man nicht heute Abend,
wie Anfangs verabredet gewesen, sondern morgen auf
das Landgut fahre. Die Familie des Präsidenten war
indessen in aller Frühe schon hier eingetroffen, und

Der Maler blieb nicht länger vor dem Bette
ſtehn, als eben hinreichte, um jenes ſtumme, langge-
dehnte Lebewohl — ſey es auf Wiederſehn, ach! oder
auch auf ewig Nimmerſehn — durch das Tiefin-
nerſte der Seele ziehn zu laſſen und jeden ſtillen Win-
kel ſeiner Bruſt mit dieſem Liebes-Echo ſchmerzlich
anzufüllen.

Er hörte Tritte auf dem Gang, ſchnell riß er
ſich los, in Eiferſucht, daß dieſen Ruhe-Anblick, den
er auf alle Zeiten mit ſich nehmen wollte, kein An-
derer mit ihm theile.


Wir ſehen einen friſchen Tag über der Stadt
aufgehn, und ſagen von dem geſtrigen Abende nicht
mehr, als daß die ganze Feier ſchön und würdig voll-
zogen wurde.

Der heutige Morgen, es war ein Sonntag, ging
mit Einpacken, oder mit Beſuchen hin, die Nolten
in der Stadt zu machen und zu erwiedern hatte. Die
außerordentliche Begebenheit erwarb ihm eine große
Anzahl theils neugieriger, theils aufrichtiger Freunde,
es kam nun eine Einladung nach der andern, darun-
ter ſehr ehrenvolle, die er nicht ablehnen durfte. Es
wurde deßhalb beſchloſſen, daß man nicht heute Abend,
wie Anfangs verabredet geweſen, ſondern morgen auf
das Landgut fahre. Die Familie des Präſidenten war
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[531/0217] Der Maler blieb nicht länger vor dem Bette ſtehn, als eben hinreichte, um jenes ſtumme, langge- dehnte Lebewohl — ſey es auf Wiederſehn, ach! oder auch auf ewig Nimmerſehn — durch das Tiefin- nerſte der Seele ziehn zu laſſen und jeden ſtillen Win- kel ſeiner Bruſt mit dieſem Liebes-Echo ſchmerzlich anzufüllen. Er hörte Tritte auf dem Gang, ſchnell riß er ſich los, in Eiferſucht, daß dieſen Ruhe-Anblick, den er auf alle Zeiten mit ſich nehmen wollte, kein An- derer mit ihm theile. Wir ſehen einen friſchen Tag über der Stadt aufgehn, und ſagen von dem geſtrigen Abende nicht mehr, als daß die ganze Feier ſchön und würdig voll- zogen wurde. Der heutige Morgen, es war ein Sonntag, ging mit Einpacken, oder mit Beſuchen hin, die Nolten in der Stadt zu machen und zu erwiedern hatte. Die außerordentliche Begebenheit erwarb ihm eine große Anzahl theils neugieriger, theils aufrichtiger Freunde, es kam nun eine Einladung nach der andern, darun- ter ſehr ehrenvolle, die er nicht ablehnen durfte. Es wurde deßhalb beſchloſſen, daß man nicht heute Abend, wie Anfangs verabredet geweſen, ſondern morgen auf das Landgut fahre. Die Familie des Präſidenten war indeſſen in aller Frühe ſchon hier eingetroffen, und

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 531. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/217>, abgerufen am 25.11.2024.