"Wer könnte hier noch länger widerstehn!" rief Nolten aus. "Ihre Güte, theurer Mann, ist fast zu groß für mich, ich nehme sie aber, wenn auch nur schüchtern, im Namen unseres Todten an. -- Unsere Reise, meine guten Kinder," sezte er gegen die Sei- nigen hinzu, "in so fern sie dem Vergnügen gelten sollte, war ich seit gestern ohnehin entschlossen abzu- kürzen, ich wollte ungesäumt dem Orte unseres künfti- gen Bleibens und meiner Pflicht entgegengehn. Un- vermuthet hat sich uns nun eine dritte Aussicht er- öffnet, die selbst mit ihrer schmerzlichen Bedeutung bei weitem den schönsten Genuß und die lieblichste Zuflucht verspricht."
Ein Bedienter kam und meldete einige Herren, welche der Präsident auf diese Stunde zu sich gebeten hatte. Es war der Regisseur des Theaters und drei andere Künstler, die sich für Nolten nicht weniger, als für den Verstorbenen interessirten, da ihnen der Maler durch Renommee schon längst nicht fremd mehr war. Der Regisseur kam vor Jahren einmal mit Larkens in persönliche Berührung. Er wollte, auf Anregung des Präsidenten und darum ohne Wider- spruch von Seiten der Geistlichkeit, ein Wort am Grabe reden; Theobald hatte ihm hiezu die nöthi- gen Notizen schon am Morgen zusammen geschrieben. Man beredete noch Einiges wegen der Feierlichkeit.
Indessen hatte sich der Tag schon ziemlich ge- neigt, und seine ahnungsvolle Dämmerung wälzte mit
34
„Wer könnte hier noch länger widerſtehn!“ rief Nolten aus. „Ihre Güte, theurer Mann, iſt faſt zu groß für mich, ich nehme ſie aber, wenn auch nur ſchüchtern, im Namen unſeres Todten an. — Unſere Reiſe, meine guten Kinder,“ ſezte er gegen die Sei- nigen hinzu, „in ſo fern ſie dem Vergnügen gelten ſollte, war ich ſeit geſtern ohnehin entſchloſſen abzu- kürzen, ich wollte ungeſäumt dem Orte unſeres künfti- gen Bleibens und meiner Pflicht entgegengehn. Un- vermuthet hat ſich uns nun eine dritte Ausſicht er- öffnet, die ſelbſt mit ihrer ſchmerzlichen Bedeutung bei weitem den ſchönſten Genuß und die lieblichſte Zuflucht verſpricht.“
Ein Bedienter kam und meldete einige Herren, welche der Präſident auf dieſe Stunde zu ſich gebeten hatte. Es war der Regiſſeur des Theaters und drei andere Künſtler, die ſich für Nolten nicht weniger, als für den Verſtorbenen intereſſirten, da ihnen der Maler durch Renommee ſchon längſt nicht fremd mehr war. Der Regiſſeur kam vor Jahren einmal mit Larkens in perſönliche Berührung. Er wollte, auf Anregung des Präſidenten und darum ohne Wider- ſpruch von Seiten der Geiſtlichkeit, ein Wort am Grabe reden; Theobald hatte ihm hiezu die nöthi- gen Notizen ſchon am Morgen zuſammen geſchrieben. Man beredete noch Einiges wegen der Feierlichkeit.
Indeſſen hatte ſich der Tag ſchon ziemlich ge- neigt, und ſeine ahnungsvolle Dämmerung wälzte mit
34
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0215"n="529"/><p>„Wer könnte hier noch länger widerſtehn!“ rief<lb/><hirendition="#g">Nolten</hi> aus. „Ihre Güte, theurer Mann, iſt faſt zu<lb/>
groß für mich, ich nehme ſie aber, wenn auch nur<lb/>ſchüchtern, im Namen unſeres Todten an. — Unſere<lb/>
Reiſe, meine guten Kinder,“ſezte er gegen die Sei-<lb/>
nigen hinzu, „in ſo fern ſie dem Vergnügen gelten<lb/>ſollte, war ich ſeit geſtern ohnehin entſchloſſen abzu-<lb/>
kürzen, ich wollte ungeſäumt dem Orte unſeres künfti-<lb/>
gen Bleibens und meiner Pflicht entgegengehn. Un-<lb/>
vermuthet hat ſich uns nun eine dritte Ausſicht er-<lb/>
öffnet, die ſelbſt mit ihrer ſchmerzlichen Bedeutung<lb/>
bei weitem den ſchönſten Genuß und die lieblichſte<lb/>
Zuflucht verſpricht.“</p><lb/><p>Ein Bedienter kam und meldete einige Herren,<lb/>
welche der Präſident auf dieſe Stunde zu ſich gebeten<lb/>
hatte. Es war der Regiſſeur des Theaters und drei<lb/>
andere Künſtler, die ſich für <hirendition="#g">Nolten</hi> nicht weniger,<lb/>
als für den Verſtorbenen intereſſirten, da ihnen der<lb/>
Maler durch Renommee ſchon längſt nicht fremd mehr<lb/>
war. Der Regiſſeur kam vor Jahren einmal mit<lb/><hirendition="#g">Larkens</hi> in perſönliche Berührung. Er wollte, auf<lb/>
Anregung des Präſidenten und darum ohne Wider-<lb/>ſpruch von Seiten der Geiſtlichkeit, ein Wort am<lb/>
Grabe reden; <hirendition="#g">Theobald</hi> hatte ihm hiezu die nöthi-<lb/>
gen Notizen ſchon am Morgen zuſammen geſchrieben.<lb/>
Man beredete noch Einiges wegen der Feierlichkeit.</p><lb/><p>Indeſſen hatte ſich der Tag ſchon ziemlich ge-<lb/>
neigt, und ſeine ahnungsvolle Dämmerung wälzte mit<lb/><fwplace="bottom"type="sig">34</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[529/0215]
„Wer könnte hier noch länger widerſtehn!“ rief
Nolten aus. „Ihre Güte, theurer Mann, iſt faſt zu
groß für mich, ich nehme ſie aber, wenn auch nur
ſchüchtern, im Namen unſeres Todten an. — Unſere
Reiſe, meine guten Kinder,“ ſezte er gegen die Sei-
nigen hinzu, „in ſo fern ſie dem Vergnügen gelten
ſollte, war ich ſeit geſtern ohnehin entſchloſſen abzu-
kürzen, ich wollte ungeſäumt dem Orte unſeres künfti-
gen Bleibens und meiner Pflicht entgegengehn. Un-
vermuthet hat ſich uns nun eine dritte Ausſicht er-
öffnet, die ſelbſt mit ihrer ſchmerzlichen Bedeutung
bei weitem den ſchönſten Genuß und die lieblichſte
Zuflucht verſpricht.“
Ein Bedienter kam und meldete einige Herren,
welche der Präſident auf dieſe Stunde zu ſich gebeten
hatte. Es war der Regiſſeur des Theaters und drei
andere Künſtler, die ſich für Nolten nicht weniger,
als für den Verſtorbenen intereſſirten, da ihnen der
Maler durch Renommee ſchon längſt nicht fremd mehr
war. Der Regiſſeur kam vor Jahren einmal mit
Larkens in perſönliche Berührung. Er wollte, auf
Anregung des Präſidenten und darum ohne Wider-
ſpruch von Seiten der Geiſtlichkeit, ein Wort am
Grabe reden; Theobald hatte ihm hiezu die nöthi-
gen Notizen ſchon am Morgen zuſammen geſchrieben.
Man beredete noch Einiges wegen der Feierlichkeit.
Indeſſen hatte ſich der Tag ſchon ziemlich ge-
neigt, und ſeine ahnungsvolle Dämmerung wälzte mit
34
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/215>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.