lebhaft auf Jemanden losschwatzen: "O sehn Sie doch nur um Gotteswillen da auf's Parterre hinunter! und dort! und hier! der Spott hüpft wie aus einem Sieb ein Heer von Flöhen an allen Ecken und Enden hin und her -- Jeder reibt sich die Augen, klar zu sehen, Jeder will dem Nachbar den Floh aus dem Ohre ziehen und von der andern Seite springen ihm sechse hinein -- Immer ärger! -- ein Teufel hat alle Köpfe verdreht -- es ist wie ein Traum auf dem Blocksberg -- es wandelt Alles im Schlaf -- Herrn und Damen bekomplimentiren sich, im Hemde vor ein- ander stehend, glauben sich auf der Assemblee, sagen: Waren Sie gestern auch in der verkehrten Welt? Gottlob nun wäre man doch wieder bei sich selbst u. s. w. -- Der alte Geck dort aus der Kanzlei, o vortrefflich! bietet einer muntern Blondine seine Bon- bonniere mit großmächtigen Reichssiegel-Oblaten an und versichert, sie wären sehr gut gegen Vapeurs und Beängstigungen. Hier -- sehn Sie doch, gerade un- ter'm Kronleuchter -- steht ein Ladendiener vor einem Fräulein und lispelt: Gros de Naples-Band? So- gleich. Wie viel Ellen befehlen Sie wohl? Er greift an sein Ohr, zieht es in eine erstaunliche Länge, mißt ein Stück und schneidet's ab. Aber bemerken Sie nicht den Inkroyable am dritten Pfeiler vom Orche- ster an? wie er sich langsam über die Stirne fährt und auf Einmal den Poeten embrassirt: O Freund! ich habe schön geträumt diese Nacht! Ich habe ein
lebhaft auf Jemanden losſchwatzen: „O ſehn Sie doch nur um Gotteswillen da auf’s Parterre hinunter! und dort! und hier! der Spott hüpft wie aus einem Sieb ein Heer von Flöhen an allen Ecken und Enden hin und her — Jeder reibt ſich die Augen, klar zu ſehen, Jeder will dem Nachbar den Floh aus dem Ohre ziehen und von der andern Seite ſpringen ihm ſechſe hinein — Immer ärger! — ein Teufel hat alle Köpfe verdreht — es iſt wie ein Traum auf dem Blocksberg — es wandelt Alles im Schlaf — Herrn und Damen bekomplimentiren ſich, im Hemde vor ein- ander ſtehend, glauben ſich auf der Aſſemblee, ſagen: Waren Sie geſtern auch in der verkehrten Welt? Gottlob nun wäre man doch wieder bei ſich ſelbſt u. ſ. w. — Der alte Geck dort aus der Kanzlei, o vortrefflich! bietet einer muntern Blondine ſeine Bon- bonniere mit großmächtigen Reichsſiegel-Oblaten an und verſichert, ſie wären ſehr gut gegen Vapeurs und Beängſtigungen. Hier — ſehn Sie doch, gerade un- ter’m Kronleuchter — ſteht ein Ladendiener vor einem Fräulein und lispelt: Gros de Naples-Band? So- gleich. Wie viel Ellen befehlen Sie wohl? Er greift an ſein Ohr, zieht es in eine erſtaunliche Länge, mißt ein Stück und ſchneidet’s ab. Aber bemerken Sie nicht den Inkroyable am dritten Pfeiler vom Orche- ſter an? wie er ſich langſam über die Stirne fährt und auf Einmal den Poeten embraſſirt: O Freund! ich habe ſchön geträumt dieſe Nacht! Ich habe ein
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lebhaft auf Jemanden losſchwatzen: „O ſehn Sie doch
nur um Gotteswillen da auf’s Parterre hinunter!
und dort! und hier! der Spott hüpft wie aus einem
Sieb ein Heer von Flöhen an allen Ecken und Enden
hin und her — Jeder reibt ſich die Augen, klar zu
ſehen, Jeder will dem Nachbar den Floh aus dem
Ohre ziehen und von der andern Seite ſpringen ihm
ſechſe hinein — Immer ärger! — ein Teufel hat alle
Köpfe verdreht — es iſt wie ein Traum auf dem
Blocksberg — es wandelt Alles im Schlaf — Herrn
und Damen bekomplimentiren ſich, im Hemde vor ein-
ander ſtehend, glauben ſich auf der Aſſemblee, ſagen:
Waren Sie geſtern auch in der verkehrten Welt?
Gottlob nun wäre man doch wieder bei ſich ſelbſt
u. ſ. w. — Der alte Geck dort aus der Kanzlei, o
vortrefflich! bietet einer muntern Blondine ſeine Bon-
bonniere mit großmächtigen Reichsſiegel-Oblaten an
und verſichert, ſie wären ſehr gut gegen Vapeurs und
Beängſtigungen. Hier — ſehn Sie doch, gerade un-
ter’m Kronleuchter — ſteht ein Ladendiener vor einem
Fräulein und lispelt: Gros de Naples-Band? So-
gleich. Wie viel Ellen befehlen Sie wohl? Er greift
an ſein Ohr, zieht es in eine erſtaunliche Länge, mißt
ein Stück und ſchneidet’s ab. Aber bemerken Sie
nicht den Inkroyable am dritten Pfeiler vom Orche-
ſter an? wie er ſich langſam über die Stirne fährt
und auf Einmal den Poeten embraſſirt: O Freund!
ich habe ſchön geträumt dieſe Nacht! Ich habe ein
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/206>, abgerufen am 02.05.2024.
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