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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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keit zu bewundern, da ihm offenbar mehr daran lag,
das Genie des Dichters vor den Einsichtsvollen zu
verherrlichen, als ihn zur Folie seiner persönlichen
Kunst zu gebrauchen. Da inzwischen auch die Ein-
geweihten das Mögliche thaten, um eine allgemeine
Erwartung zu erregen, den Philistern Eins anzuhän-
gen und ihnen die Köpfe im Voraus zu verrücken, so
versprachen sich diese, vom Titel des Stückes verführt,
ein recht handgreifliches Spektakelstück und Alles ging
glücklich in die Falle. Die Aufführung, ich darf es
sagen, war meisterhaft. Aber, Gott verzeihe mir, noch
heute, wenn ich an den Eindruck denke, weiß ich mich
nicht zu fassen. Diese Gesichter, unten und auf den
Galerien, hätten Sie sehen müssen! Tieck selbst würde
die Physiognomie des Haufens, als mitspielender Per-
son, neben den unter die Zuschauer vertheilten Rollen,
sich nicht köstlicher haben denken können. Diese un-
willkürliche Selbstpersiflage, dieß fünf und zehnfach
reflektirte Spiegelbild der Ironie beschreibt kein Mensch.
In meiner Loge befand sich der Legationsrath U.,
einer der wärmsten Verehrer Tiecks; wir sprachen
und lachten nach Herzenslust während eines langen
Zwischenakts (denn eine ganze Viertelstunde lang war
der Direktor in Verzweiflung, ob er weiter spielen
lasse oder aufhöre). Während dieses tollen Tumultes
nun, während dieses Summens, Zischens, Bravorufens
und Pochens hörten wir neben uns, nur durch ein
dünnes Drahtgitter getrennt, eine Stimme ungemein

keit zu bewundern, da ihm offenbar mehr daran lag,
das Genie des Dichters vor den Einſichtsvollen zu
verherrlichen, als ihn zur Folie ſeiner perſönlichen
Kunſt zu gebrauchen. Da inzwiſchen auch die Ein-
geweihten das Mögliche thaten, um eine allgemeine
Erwartung zu erregen, den Philiſtern Eins anzuhän-
gen und ihnen die Köpfe im Voraus zu verrücken, ſo
verſprachen ſich dieſe, vom Titel des Stückes verführt,
ein recht handgreifliches Spektakelſtück und Alles ging
glücklich in die Falle. Die Aufführung, ich darf es
ſagen, war meiſterhaft. Aber, Gott verzeihe mir, noch
heute, wenn ich an den Eindruck denke, weiß ich mich
nicht zu faſſen. Dieſe Geſichter, unten und auf den
Galerien, hätten Sie ſehen müſſen! Tieck ſelbſt würde
die Phyſiognomie des Haufens, als mitſpielender Per-
ſon, neben den unter die Zuſchauer vertheilten Rollen,
ſich nicht köſtlicher haben denken können. Dieſe un-
willkürliche Selbſtperſiflage, dieß fünf und zehnfach
reflektirte Spiegelbild der Ironie beſchreibt kein Menſch.
In meiner Loge befand ſich der Legationsrath U.,
einer der wärmſten Verehrer Tiecks; wir ſprachen
und lachten nach Herzensluſt während eines langen
Zwiſchenakts (denn eine ganze Viertelſtunde lang war
der Direktor in Verzweiflung, ob er weiter ſpielen
laſſe oder aufhöre). Während dieſes tollen Tumultes
nun, während dieſes Summens, Ziſchens, Bravorufens
und Pochens hörten wir neben uns, nur durch ein
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[519/0205] keit zu bewundern, da ihm offenbar mehr daran lag, das Genie des Dichters vor den Einſichtsvollen zu verherrlichen, als ihn zur Folie ſeiner perſönlichen Kunſt zu gebrauchen. Da inzwiſchen auch die Ein- geweihten das Mögliche thaten, um eine allgemeine Erwartung zu erregen, den Philiſtern Eins anzuhän- gen und ihnen die Köpfe im Voraus zu verrücken, ſo verſprachen ſich dieſe, vom Titel des Stückes verführt, ein recht handgreifliches Spektakelſtück und Alles ging glücklich in die Falle. Die Aufführung, ich darf es ſagen, war meiſterhaft. Aber, Gott verzeihe mir, noch heute, wenn ich an den Eindruck denke, weiß ich mich nicht zu faſſen. Dieſe Geſichter, unten und auf den Galerien, hätten Sie ſehen müſſen! Tieck ſelbſt würde die Phyſiognomie des Haufens, als mitſpielender Per- ſon, neben den unter die Zuſchauer vertheilten Rollen, ſich nicht köſtlicher haben denken können. Dieſe un- willkürliche Selbſtperſiflage, dieß fünf und zehnfach reflektirte Spiegelbild der Ironie beſchreibt kein Menſch. In meiner Loge befand ſich der Legationsrath U., einer der wärmſten Verehrer Tiecks; wir ſprachen und lachten nach Herzensluſt während eines langen Zwiſchenakts (denn eine ganze Viertelſtunde lang war der Direktor in Verzweiflung, ob er weiter ſpielen laſſe oder aufhöre). Während dieſes tollen Tumultes nun, während dieſes Summens, Ziſchens, Bravorufens und Pochens hörten wir neben uns, nur durch ein dünnes Drahtgitter getrennt, eine Stimme ungemein

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/205>, abgerufen am 02.05.2024.