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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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weitem zu delikat gewesen. Uebrigens habe sich Lar-
kens
nicht nur dem Zirkel, sondern besonders auch
vielen Armen als unbekannter Wohlthäter unvergeß-
lich gemacht.

Mittagszeit war da, die Mädchen angekleidet
und Nolten bereit, mit ihnen zu gehen. Eine Toch-
ter des Präsidenten empfing sie auf das Artigste, und
nach einiger Zeit erschien der Vater; außerdem kam
Niemand von der Familie zum Vorschein. Die Frau,
mit dreien andern Kindern, einem ältern Sohne und
zwei Töchtern, wurde erst heute Abend vom Lande
erwartet, und zwar, wie man überall wußte, nur um
ihren Aufenthalt wieder auf einige Monate mit dem
Gemahl zu wechseln.

Während der Präsident sich, bis man zu Tische
ging, eifrig mit dem Maler unterhielt, gesellte sich
Margot zu den beiden Frauenzimmern. Sie war
immer der Liebling des Vaters gewesen und bildete,
weil es ihrer innersten Natur widersprach, ausschließende
Partei zu nehmen, eine Art von leichtem Mittelglied
zwischen den zwei getrennten Theilen.

Es war servirt, man sezte sich. Für jezt betraf
die Unterhaltung nur Dinge von allgemeinerem Interesse.
Ein zartes Einverständniß der Gemüther schloß von
selbst den Gegenstand geweihter Trauer für diese Stunde
aus. Dagegen war der Augenblick, wo endlich das
Gefühl sein Recht erhielt, einem Jeden desto inniger
willkommen. Wir sind genöthigt, hier so manches be-

weitem zu delikat geweſen. Uebrigens habe ſich Lar-
kens
nicht nur dem Zirkel, ſondern beſonders auch
vielen Armen als unbekannter Wohlthäter unvergeß-
lich gemacht.

Mittagszeit war da, die Mädchen angekleidet
und Nolten bereit, mit ihnen zu gehen. Eine Toch-
ter des Präſidenten empfing ſie auf das Artigſte, und
nach einiger Zeit erſchien der Vater; außerdem kam
Niemand von der Familie zum Vorſchein. Die Frau,
mit dreien andern Kindern, einem ältern Sohne und
zwei Töchtern, wurde erſt heute Abend vom Lande
erwartet, und zwar, wie man überall wußte, nur um
ihren Aufenthalt wieder auf einige Monate mit dem
Gemahl zu wechſeln.

Während der Präſident ſich, bis man zu Tiſche
ging, eifrig mit dem Maler unterhielt, geſellte ſich
Margot zu den beiden Frauenzimmern. Sie war
immer der Liebling des Vaters geweſen und bildete,
weil es ihrer innerſten Natur widerſprach, ausſchließende
Partei zu nehmen, eine Art von leichtem Mittelglied
zwiſchen den zwei getrennten Theilen.

Es war ſervirt, man ſezte ſich. Für jezt betraf
die Unterhaltung nur Dinge von allgemeinerem Intereſſe.
Ein zartes Einverſtändniß der Gemüther ſchloß von
ſelbſt den Gegenſtand geweihter Trauer für dieſe Stunde
aus. Dagegen war der Augenblick, wo endlich das
Gefühl ſein Recht erhielt, einem Jeden deſto inniger
willkommen. Wir ſind genöthigt, hier ſo manches be-

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[417[517]/0203] weitem zu delikat geweſen. Uebrigens habe ſich Lar- kens nicht nur dem Zirkel, ſondern beſonders auch vielen Armen als unbekannter Wohlthäter unvergeß- lich gemacht. Mittagszeit war da, die Mädchen angekleidet und Nolten bereit, mit ihnen zu gehen. Eine Toch- ter des Präſidenten empfing ſie auf das Artigſte, und nach einiger Zeit erſchien der Vater; außerdem kam Niemand von der Familie zum Vorſchein. Die Frau, mit dreien andern Kindern, einem ältern Sohne und zwei Töchtern, wurde erſt heute Abend vom Lande erwartet, und zwar, wie man überall wußte, nur um ihren Aufenthalt wieder auf einige Monate mit dem Gemahl zu wechſeln. Während der Präſident ſich, bis man zu Tiſche ging, eifrig mit dem Maler unterhielt, geſellte ſich Margot zu den beiden Frauenzimmern. Sie war immer der Liebling des Vaters geweſen und bildete, weil es ihrer innerſten Natur widerſprach, ausſchließende Partei zu nehmen, eine Art von leichtem Mittelglied zwiſchen den zwei getrennten Theilen. Es war ſervirt, man ſezte ſich. Für jezt betraf die Unterhaltung nur Dinge von allgemeinerem Intereſſe. Ein zartes Einverſtändniß der Gemüther ſchloß von ſelbſt den Gegenſtand geweihter Trauer für dieſe Stunde aus. Dagegen war der Augenblick, wo endlich das Gefühl ſein Recht erhielt, einem Jeden deſto inniger willkommen. Wir ſind genöthigt, hier ſo manches be-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 417[517]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/203>, abgerufen am 02.05.2024.