fahren wollte, das Aussehen des Todten zu beschrei- ben, wehrte der Maler heftig mit der Hand, schlang die Arme wüthend um den Leib Agnesens und schluchzte laut. "O Allmächtiger!" rief er vom Stuhle aufstehend und mit gerungenen Händen durchs Zim- mer stürmend, "also dazu mußt' ich hieher kommen! Mein armer, armer, theurer Freund! Ich, ja ich habe seinen fürchterlichen Entschluß befördert, mein Erscheinen war ihm das Zeichen zum tödtlichen Auf- bruch! Aber welch unglückseliger Wahn gab ihm ein, daß er vor mir fliehen müsse? und so auf Ewig, so ohne ein liebevolles Wort des Abschieds, der Versöh- nung! Sah ich denn darnach aus, als ob ich käme, ihn zur Verzweiflung zu bringen? Und wenn auf mei- ner Stirn die Jammerfrage stand, warum mein Lar- kens doch so tief gefallen sey, gerechter Gott! war's nicht natürlich? konnt' ich mit lachendem Gesicht, mit offnen Armen, als wäre nichts geschehen, ihn begrü- ßen? konnt' ich gefaßt seyn auf ein solches Wieder- sehen? Und doch, war ich es denn nicht längst ge- wohnt, das Unerhörte für bekannt anzunehmen, wenn Er es that? das Unerlaubte zu entschuldigen, wenn es von Ihm ausging? Es hat mich überrascht, auf Augenblicke stieg ein arger Zweifel in mir auf, und in der nächsten Minute straft' ich mich selber Lügen: gewiß, mein Larkens ist sich selber treu und gleich geblieben, sein großes Herz, der tiefverborgne edle Demant seines Wesens blieb unberührt vom Schlamme, worein der Arme sich verlor!"
fahren wollte, das Ausſehen des Todten zu beſchrei- ben, wehrte der Maler heftig mit der Hand, ſchlang die Arme wüthend um den Leib Agneſens und ſchluchzte laut. „O Allmächtiger!“ rief er vom Stuhle aufſtehend und mit gerungenen Händen durchs Zim- mer ſtürmend, „alſo dazu mußt’ ich hieher kommen! Mein armer, armer, theurer Freund! Ich, ja ich habe ſeinen fürchterlichen Entſchluß befördert, mein Erſcheinen war ihm das Zeichen zum tödtlichen Auf- bruch! Aber welch unglückſeliger Wahn gab ihm ein, daß er vor mir fliehen müſſe? und ſo auf Ewig, ſo ohne ein liebevolles Wort des Abſchieds, der Verſöh- nung! Sah ich denn darnach aus, als ob ich käme, ihn zur Verzweiflung zu bringen? Und wenn auf mei- ner Stirn die Jammerfrage ſtand, warum mein Lar- kens doch ſo tief gefallen ſey, gerechter Gott! war’s nicht natürlich? konnt’ ich mit lachendem Geſicht, mit offnen Armen, als wäre nichts geſchehen, ihn begrü- ßen? konnt’ ich gefaßt ſeyn auf ein ſolches Wieder- ſehen? Und doch, war ich es denn nicht längſt ge- wohnt, das Unerhörte für bekannt anzunehmen, wenn Er es that? das Unerlaubte zu entſchuldigen, wenn es von Ihm ausging? Es hat mich überraſcht, auf Augenblicke ſtieg ein arger Zweifel in mir auf, und in der nächſten Minute ſtraft’ ich mich ſelber Lügen: gewiß, mein Larkens iſt ſich ſelber treu und gleich geblieben, ſein großes Herz, der tiefverborgne edle Demant ſeines Weſens blieb unberührt vom Schlamme, worein der Arme ſich verlor!“
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fahren wollte, das Ausſehen des Todten zu beſchrei-
ben, wehrte der Maler heftig mit der Hand, ſchlang
die Arme wüthend um den Leib Agneſens und
ſchluchzte laut. „O Allmächtiger!“ rief er vom Stuhle
aufſtehend und mit gerungenen Händen durchs Zim-
mer ſtürmend, „alſo dazu mußt’ ich hieher kommen!
Mein armer, armer, theurer Freund! Ich, ja ich
habe ſeinen fürchterlichen Entſchluß befördert, mein
Erſcheinen war ihm das Zeichen zum tödtlichen Auf-
bruch! Aber welch unglückſeliger Wahn gab ihm ein,
daß er vor mir fliehen müſſe? und ſo auf Ewig, ſo
ohne ein liebevolles Wort des Abſchieds, der Verſöh-
nung! Sah ich denn darnach aus, als ob ich käme,
ihn zur Verzweiflung zu bringen? Und wenn auf mei-
ner Stirn die Jammerfrage ſtand, warum mein Lar-
kens doch ſo tief gefallen ſey, gerechter Gott! war’s
nicht natürlich? konnt’ ich mit lachendem Geſicht, mit
offnen Armen, als wäre nichts geſchehen, ihn begrü-
ßen? konnt’ ich gefaßt ſeyn auf ein ſolches Wieder-
ſehen? Und doch, war ich es denn nicht längſt ge-
wohnt, das Unerhörte für bekannt anzunehmen, wenn
Er es that? das Unerlaubte zu entſchuldigen, wenn
es von Ihm ausging? Es hat mich überraſcht, auf
Augenblicke ſtieg ein arger Zweifel in mir auf, und
in der nächſten Minute ſtraft’ ich mich ſelber Lügen:
gewiß, mein Larkens iſt ſich ſelber treu und gleich
geblieben, ſein großes Herz, der tiefverborgne edle
Demant ſeines Weſens blieb unberührt vom Schlamme,
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/189>, abgerufen am 24.11.2024.
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