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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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Schicksal so sehr zu Herzen, so entreißen Sie ihn den
Blicken, den Händen der Doktoren, eh diese seinen
armen Leib verletzen! Ich bin ein elender, nichtswür-
diger, hündischer Schuft, hab' Ihren Freund oft schänd-
lich mißbraucht und verdiene nicht, hier vor Ihnen
zu stehen, aber möge Gott mich ewig verdammen,
wenn ich jezt fühllos bin, wenn ich nicht hundertfach
den Tod ausstehen könnte für diesen Mann, der sei-
nesgleichen auf der Welt nimmer hat. Und nun soll
man ihn traktiren dürfen wie einen gemeinen Sün-
der! Hätten Sie gehört, was für unchristliche Reden
der Medikus führte, der S. --, ich hätt' ihn zerreis-
sen mögen, als er mit dem Finger auf das Gläschen
hinwies, worin das Operment gewesen, und er mit
lachender Miene zu einem Andern sagte: der Narr
wollte recht sicher gehen, daß ihn ja der Teufel nicht
auf halbem Weg wieder zurückschicke; ich wette, die
Phiole da war voll, aber solche Lümmel rechnen Alles
nach der Maßkanne! -- nicht wahr Herr Hofrath,
wer par force todt seyn will, kann doch wohl weder
im comparativo noch superlativo todt seyn wollen?
Und dabei nahm der dicke, hochweise Perrückenkopf
eine Prise aus seiner goldenen Tabatiere, so kaltblü-
tig, so vornehm, daß ich -- ja glauben Sie, das hat
Wispeln weh gethan, weher als Alles -- Wispel
hat auch Gefühl, daß Sie's nur wissen, ich habe auch
noch ein Herz!" Hier weinte der Barbier wirklich wie
ein Kind. Aber da er nun mit geläufiger Zunge fort-

Schickſal ſo ſehr zu Herzen, ſo entreißen Sie ihn den
Blicken, den Händen der Doktoren, eh dieſe ſeinen
armen Leib verletzen! Ich bin ein elender, nichtswür-
diger, hündiſcher Schuft, hab’ Ihren Freund oft ſchänd-
lich mißbraucht und verdiene nicht, hier vor Ihnen
zu ſtehen, aber möge Gott mich ewig verdammen,
wenn ich jezt fühllos bin, wenn ich nicht hundertfach
den Tod ausſtehen könnte für dieſen Mann, der ſei-
nesgleichen auf der Welt nimmer hat. Und nun ſoll
man ihn traktiren dürfen wie einen gemeinen Sün-
der! Hätten Sie gehört, was für unchriſtliche Reden
der Medikus führte, der S. —, ich hätt’ ihn zerreiſ-
ſen mögen, als er mit dem Finger auf das Gläschen
hinwies, worin das Operment geweſen, und er mit
lachender Miene zu einem Andern ſagte: der Narr
wollte recht ſicher gehen, daß ihn ja der Teufel nicht
auf halbem Weg wieder zurückſchicke; ich wette, die
Phiole da war voll, aber ſolche Lümmel rechnen Alles
nach der Maßkanne! — nicht wahr Herr Hofrath,
wer par force todt ſeyn will, kann doch wohl weder
im comparativo noch ſuperlativo todt ſeyn wollen?
Und dabei nahm der dicke, hochweiſe Perrückenkopf
eine Priſe aus ſeiner goldenen Tabatiere, ſo kaltblü-
tig, ſo vornehm, daß ich — ja glauben Sie, das hat
Wispeln weh gethan, weher als Alles — Wispel
hat auch Gefühl, daß Sie’s nur wiſſen, ich habe auch
noch ein Herz!“ Hier weinte der Barbier wirklich wie
ein Kind. Aber da er nun mit geläufiger Zunge fort-

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[502/0188] Schickſal ſo ſehr zu Herzen, ſo entreißen Sie ihn den Blicken, den Händen der Doktoren, eh dieſe ſeinen armen Leib verletzen! Ich bin ein elender, nichtswür- diger, hündiſcher Schuft, hab’ Ihren Freund oft ſchänd- lich mißbraucht und verdiene nicht, hier vor Ihnen zu ſtehen, aber möge Gott mich ewig verdammen, wenn ich jezt fühllos bin, wenn ich nicht hundertfach den Tod ausſtehen könnte für dieſen Mann, der ſei- nesgleichen auf der Welt nimmer hat. Und nun ſoll man ihn traktiren dürfen wie einen gemeinen Sün- der! Hätten Sie gehört, was für unchriſtliche Reden der Medikus führte, der S. —, ich hätt’ ihn zerreiſ- ſen mögen, als er mit dem Finger auf das Gläschen hinwies, worin das Operment geweſen, und er mit lachender Miene zu einem Andern ſagte: der Narr wollte recht ſicher gehen, daß ihn ja der Teufel nicht auf halbem Weg wieder zurückſchicke; ich wette, die Phiole da war voll, aber ſolche Lümmel rechnen Alles nach der Maßkanne! — nicht wahr Herr Hofrath, wer par force todt ſeyn will, kann doch wohl weder im comparativo noch ſuperlativo todt ſeyn wollen? Und dabei nahm der dicke, hochweiſe Perrückenkopf eine Priſe aus ſeiner goldenen Tabatiere, ſo kaltblü- tig, ſo vornehm, daß ich — ja glauben Sie, das hat Wispeln weh gethan, weher als Alles — Wispel hat auch Gefühl, daß Sie’s nur wiſſen, ich habe auch noch ein Herz!“ Hier weinte der Barbier wirklich wie ein Kind. Aber da er nun mit geläufiger Zunge fort-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/188>, abgerufen am 04.05.2024.