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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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er vergeblich nach Worten sucht, um etwas Entsetzli-
ches anzukündigen, ist der Ausdruck von unverstelltem
Schmerz und Abscheu auf dem verzerrten Gesichte
dieses Menschen wahrhaft schauerlich für alle An-
wesenden.

"Wissen Sie's denn noch nicht?" stottert er --
"heiliger barmherziger Gott! es ist zu gräßlich --
der Joseph da -- der Larkens, werden Sie's glau-
ben -- er hat sich einen Tod angethan -- heute
Nacht -- wer hätte das auch denken können -- Gift!
Gift hat er genommen -- Gehn Sie, mein Herr,
gehn Sie nur und sehen mit eignen Augen, wenn
Sie noch zweifeln! Die Polizei und die Doktoren
und was weiß ich? sind schon dort, es ist ein Zusam-
menrennen vor dem Haus und ein Geschrei, daß mir
ganz übel ward. Bald hätt' ich Sie vergessen über
dem Schreck, da lief ich denn, so viel die Füße ver-
mochten, und" --

Nolten war stumm auf den Sessel niederge-
sunken. Agnes schloß sich tröstend an ihn, während
Nannette die eingetretene Todten-Stille mit der Frage
unterbrach: ob denn keine Rettung möglich sey?

"Ach nein, Mademoiselle!" ist die stockende Ant-
wort, "die Aerzte sagen, zum wenigsten sey er seit
vier Stunden verschieden. Ich kann's nicht Alles
wiederholen, was sie schwazten. -- O liebster, bester
Herr, vergeben Sie, was ich gestern in der Thorheit
sprach. Sie waren sein Freund, Ihnen geht sein

er vergeblich nach Worten ſucht, um etwas Entſetzli-
ches anzukündigen, iſt der Ausdruck von unverſtelltem
Schmerz und Abſcheu auf dem verzerrten Geſichte
dieſes Menſchen wahrhaft ſchauerlich für alle An-
weſenden.

„Wiſſen Sie’s denn noch nicht?“ ſtottert er —
„heiliger barmherziger Gott! es iſt zu gräßlich —
der Joſeph da — der Larkens, werden Sie’s glau-
ben — er hat ſich einen Tod angethan — heute
Nacht — wer hätte das auch denken können — Gift!
Gift hat er genommen — Gehn Sie, mein Herr,
gehn Sie nur und ſehen mit eignen Augen, wenn
Sie noch zweifeln! Die Polizei und die Doktoren
und was weiß ich? ſind ſchon dort, es iſt ein Zuſam-
menrennen vor dem Haus und ein Geſchrei, daß mir
ganz übel ward. Bald hätt’ ich Sie vergeſſen über
dem Schreck, da lief ich denn, ſo viel die Füße ver-
mochten, und“ —

Nolten war ſtumm auf den Seſſel niederge-
ſunken. Agnes ſchloß ſich tröſtend an ihn, während
Nannette die eingetretene Todten-Stille mit der Frage
unterbrach: ob denn keine Rettung möglich ſey?

„Ach nein, Mademoiſelle!“ iſt die ſtockende Ant-
wort, „die Aerzte ſagen, zum wenigſten ſey er ſeit
vier Stunden verſchieden. Ich kann’s nicht Alles
wiederholen, was ſie ſchwazten. — O liebſter, beſter
Herr, vergeben Sie, was ich geſtern in der Thorheit
ſprach. Sie waren ſein Freund, Ihnen geht ſein

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[501/0187] er vergeblich nach Worten ſucht, um etwas Entſetzli- ches anzukündigen, iſt der Ausdruck von unverſtelltem Schmerz und Abſcheu auf dem verzerrten Geſichte dieſes Menſchen wahrhaft ſchauerlich für alle An- weſenden. „Wiſſen Sie’s denn noch nicht?“ ſtottert er — „heiliger barmherziger Gott! es iſt zu gräßlich — der Joſeph da — der Larkens, werden Sie’s glau- ben — er hat ſich einen Tod angethan — heute Nacht — wer hätte das auch denken können — Gift! Gift hat er genommen — Gehn Sie, mein Herr, gehn Sie nur und ſehen mit eignen Augen, wenn Sie noch zweifeln! Die Polizei und die Doktoren und was weiß ich? ſind ſchon dort, es iſt ein Zuſam- menrennen vor dem Haus und ein Geſchrei, daß mir ganz übel ward. Bald hätt’ ich Sie vergeſſen über dem Schreck, da lief ich denn, ſo viel die Füße ver- mochten, und“ — Nolten war ſtumm auf den Seſſel niederge- ſunken. Agnes ſchloß ſich tröſtend an ihn, während Nannette die eingetretene Todten-Stille mit der Frage unterbrach: ob denn keine Rettung möglich ſey? „Ach nein, Mademoiſelle!“ iſt die ſtockende Ant- wort, „die Aerzte ſagen, zum wenigſten ſey er ſeit vier Stunden verſchieden. Ich kann’s nicht Alles wiederholen, was ſie ſchwazten. — O liebſter, beſter Herr, vergeben Sie, was ich geſtern in der Thorheit ſprach. Sie waren ſein Freund, Ihnen geht ſein

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/187>, abgerufen am 03.05.2024.