"Du weißt es;" erwiderte sie, als getraute sie sich nicht, das Wort in den Mund zu nehmen. Es war das Erstemal, daß sie ihm gegenüber die Zigeunerin berührte. Er beruhigte sie mit wenigen aber ent- schiedenen Worten.
Auf seinem Zimmer angekommen untersucht er eifrig den Verschlag, worin unter andern Malereien auch das fatale Bild vergraben war; eine augenblickliche Besorgniß, die Kiste möchte aus Irrthum geöffnet worden seyn, war durch Agnesens Worte in ihm aufgestiegen; doch fand sich Alles unversehrt.
Den andern Morgen, noch ehe Agnes aufge- standen war, erzählte er die gestrige Scene dem Va- ter, den er schon wider Erwarten milde gestimmt fand. Der Alte gestand ihm, daß bald nachdem er die Bei- den verlassen, er etwas Aehnliches, wo nicht noch Schlimmeres, zu befürchten angefangen habe, und seine Heftigkeit bereue. Es bleibe nichts übrig, als man gebe nach; daß sie aber am Ende nicht auch die Reise verweigere, müsse man ja vorbauen. -- "Laß uns Frieden schließen!" sagte er beim Frühstück zu der Tochter und bot ihr die Wange zum Kuß; "ich habe mir den Handel überschlafen, und es soll dir noch so hingehn; man muß eben auf einen Vorwand den- ken, wegen der Leute. Aber so viel merk' ich schon, sezte er scherzhaft gegen den Schwiegersohn hinzu, "der Pantoffel steht Ihnen gut an, von der Bösen da." Die Böse schämte sich ein wenig, und der Zwist
„Du weißt es;“ erwiderte ſie, als getraute ſie ſich nicht, das Wort in den Mund zu nehmen. Es war das Erſtemal, daß ſie ihm gegenüber die Zigeunerin berührte. Er beruhigte ſie mit wenigen aber ent- ſchiedenen Worten.
Auf ſeinem Zimmer angekommen unterſucht er eifrig den Verſchlag, worin unter andern Malereien auch das fatale Bild vergraben war; eine augenblickliche Beſorgniß, die Kiſte möchte aus Irrthum geöffnet worden ſeyn, war durch Agneſens Worte in ihm aufgeſtiegen; doch fand ſich Alles unverſehrt.
Den andern Morgen, noch ehe Agnes aufge- ſtanden war, erzählte er die geſtrige Scene dem Va- ter, den er ſchon wider Erwarten milde geſtimmt fand. Der Alte geſtand ihm, daß bald nachdem er die Bei- den verlaſſen, er etwas Aehnliches, wo nicht noch Schlimmeres, zu befürchten angefangen habe, und ſeine Heftigkeit bereue. Es bleibe nichts übrig, als man gebe nach; daß ſie aber am Ende nicht auch die Reiſe verweigere, müſſe man ja vorbauen. — „Laß uns Frieden ſchließen!“ ſagte er beim Frühſtück zu der Tochter und bot ihr die Wange zum Kuß; „ich habe mir den Handel überſchlafen, und es ſoll dir noch ſo hingehn; man muß eben auf einen Vorwand den- ken, wegen der Leute. Aber ſo viel merk’ ich ſchon, ſezte er ſcherzhaft gegen den Schwiegerſohn hinzu, „der Pantoffel ſteht Ihnen gut an, von der Böſen da.“ Die Böſe ſchämte ſich ein wenig, und der Zwiſt
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„Du weißt es;“ erwiderte ſie, als getraute ſie ſich
nicht, das Wort in den Mund zu nehmen. Es war
das Erſtemal, daß ſie ihm gegenüber die Zigeunerin
berührte. Er beruhigte ſie mit wenigen aber ent-
ſchiedenen Worten.
Auf ſeinem Zimmer angekommen unterſucht er eifrig
den Verſchlag, worin unter andern Malereien auch
das fatale Bild vergraben war; eine augenblickliche
Beſorgniß, die Kiſte möchte aus Irrthum geöffnet
worden ſeyn, war durch Agneſens Worte in ihm
aufgeſtiegen; doch fand ſich Alles unverſehrt.
Den andern Morgen, noch ehe Agnes aufge-
ſtanden war, erzählte er die geſtrige Scene dem Va-
ter, den er ſchon wider Erwarten milde geſtimmt fand.
Der Alte geſtand ihm, daß bald nachdem er die Bei-
den verlaſſen, er etwas Aehnliches, wo nicht noch
Schlimmeres, zu befürchten angefangen habe, und
ſeine Heftigkeit bereue. Es bleibe nichts übrig, als
man gebe nach; daß ſie aber am Ende nicht auch die
Reiſe verweigere, müſſe man ja vorbauen. — „Laß
uns Frieden ſchließen!“ ſagte er beim Frühſtück zu
der Tochter und bot ihr die Wange zum Kuß; „ich
habe mir den Handel überſchlafen, und es ſoll dir noch
ſo hingehn; man muß eben auf einen Vorwand den-
ken, wegen der Leute. Aber ſo viel merk’ ich ſchon,
ſezte er ſcherzhaft gegen den Schwiegerſohn hinzu,
„der Pantoffel ſteht Ihnen gut an, von der Böſen
da.“ Die Böſe ſchämte ſich ein wenig, und der Zwiſt
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/166>, abgerufen am 26.11.2024.
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