die Reise allein machen, verlangte sie, er solle wieder zurückkommen, indessen sey die Zeit vorüber, vor wel- cher sie sich fürchte, dann wolle sie gern Alles thun, was man wünsche und wo man es wünsche. Auf die Frage, ob es also nicht die Reise selbst sey, was sie beängstige, erwiderte sie: nein, sie könne nur das Ge- fühl nicht überwinden, als ob ihr überhaupt in der nächsten Zeit etwas Besonderes bevorstünde -- es warne sie unaufhörlich etwas vor dieser schnellen Hochzeit. "Was aber dieß Besondere sey, das wüßtest mir nicht zu sagen, liebes Herz?" Sie schwieg ein Weilchen und gab dann zurück: "Wenn der Zeitpunkt vorüber ist, sollst du es erfahren." Nolten vermied nun, weiter davon zu reden. Er war weniger wegen ir- gend eines bevorstehenden äußern Uebels, als um das Gemüth des Mädchens besorgt; er nahm sich vor, sie auf alle Art zu schonen und zu hüten. Was ihm aber eine solche Vorsicht noch besonders nahe legte, war eine Aeußerung Agnesens selbst. Nachdem nämlich das Gespräch bereits wieder einen ruhigen und durch Theobalds leise, verständige Behandlung, selbst einen heitern Ton angenommen hatte, gingen Beide, da es schon gegen Mitternacht war, in's Haus zurück. Sie zündete Licht für ihn an, und man hatte sich schon gute Nacht gesagt, als sie seine Hand noch fest hielt, ihr Gesicht an seinem Halse verbarg und kaum hörbar sagte: "Nicht wahr, das Weib wird nimmer kommen?" "Welches?" fragt er betroffen.
die Reiſe allein machen, verlangte ſie, er ſolle wieder zurückkommen, indeſſen ſey die Zeit vorüber, vor wel- cher ſie ſich fürchte, dann wolle ſie gern Alles thun, was man wünſche und wo man es wünſche. Auf die Frage, ob es alſo nicht die Reiſe ſelbſt ſey, was ſie beängſtige, erwiderte ſie: nein, ſie könne nur das Ge- fühl nicht überwinden, als ob ihr überhaupt in der nächſten Zeit etwas Beſonderes bevorſtünde — es warne ſie unaufhörlich etwas vor dieſer ſchnellen Hochzeit. „Was aber dieß Beſondere ſey, das wüßteſt mir nicht zu ſagen, liebes Herz?“ Sie ſchwieg ein Weilchen und gab dann zurück: „Wenn der Zeitpunkt vorüber iſt, ſollſt du es erfahren.“ Nolten vermied nun, weiter davon zu reden. Er war weniger wegen ir- gend eines bevorſtehenden äußern Uebels, als um das Gemüth des Mädchens beſorgt; er nahm ſich vor, ſie auf alle Art zu ſchonen und zu hüten. Was ihm aber eine ſolche Vorſicht noch beſonders nahe legte, war eine Aeußerung Agneſens ſelbſt. Nachdem nämlich das Geſpräch bereits wieder einen ruhigen und durch Theobalds leiſe, verſtändige Behandlung, ſelbſt einen heitern Ton angenommen hatte, gingen Beide, da es ſchon gegen Mitternacht war, in’s Haus zurück. Sie zündete Licht für ihn an, und man hatte ſich ſchon gute Nacht geſagt, als ſie ſeine Hand noch feſt hielt, ihr Geſicht an ſeinem Halſe verbarg und kaum hörbar ſagte: „Nicht wahr, das Weib wird nimmer kommen?“ „Welches?“ fragt er betroffen.
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die Reiſe allein machen, verlangte ſie, er ſolle wieder
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cher ſie ſich fürchte, dann wolle ſie gern Alles thun,
was man wünſche und wo man es wünſche. Auf die
Frage, ob es alſo nicht die Reiſe ſelbſt ſey, was ſie
beängſtige, erwiderte ſie: nein, ſie könne nur das Ge-
fühl nicht überwinden, als ob ihr überhaupt in der
nächſten Zeit etwas Beſonderes bevorſtünde — es warne
ſie unaufhörlich etwas vor dieſer ſchnellen Hochzeit.
„Was aber dieß Beſondere ſey, das wüßteſt mir nicht
zu ſagen, liebes Herz?“ Sie ſchwieg ein Weilchen
und gab dann zurück: „Wenn der Zeitpunkt vorüber
iſt, ſollſt du es erfahren.“ Nolten vermied nun,
weiter davon zu reden. Er war weniger wegen ir-
gend eines bevorſtehenden äußern Uebels, als um das
Gemüth des Mädchens beſorgt; er nahm ſich vor, ſie
auf alle Art zu ſchonen und zu hüten. Was ihm
aber eine ſolche Vorſicht noch beſonders nahe legte,
war eine Aeußerung Agneſens ſelbſt. Nachdem
nämlich das Geſpräch bereits wieder einen ruhigen
und durch Theobalds leiſe, verſtändige Behandlung,
ſelbſt einen heitern Ton angenommen hatte, gingen
Beide, da es ſchon gegen Mitternacht war, in’s Haus
zurück. Sie zündete Licht für ihn an, und man hatte
ſich ſchon gute Nacht geſagt, als ſie ſeine Hand noch
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kaum hörbar ſagte: „Nicht wahr, das Weib wird
nimmer kommen?“ „Welches?“ fragt er betroffen.
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 479. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/165>, abgerufen am 26.11.2024.
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