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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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selbst hatte ihn nicht gesehn und konnte die Schilde-
rung, welche Amandus von dem Fremden machte,
auch sonst mit Niemanden vergleichen. Die Heimath
des Gastes indessen, wie der Pfarrer sie zufällig an-
gab, widersprach jener besorglichen Vermuthung nicht.
-- "Gern," fuhr Amandus fort, "hätt' ich dir das
Abenteuer noch verschwiegen, das einmal doch nichts
Angenehmes verspricht; es wäre Nachmittag noch Zeit
gewesen, und die Delikatesse des Fremden, daß er uns
unser erstes Beisammenseyn über Tisch nicht stören
wollte, war in der That zu loben, er gab mir diese
freundliche Absicht beim Wegreiten sehr deutlich zu
verstehn. Nun freilich wär's fast besser, er wäre gleich
zugegen und du dieser verteufelten Ungewißheit über-
hoben. Höre, wenn es am Ende nur keine odiöse
Ehrensache ist! Du weißt, die Herren Offiziers --
Du hast doch keine Händel gehabt?" "Ich wüßte
doch nicht," sagte Nolten und ging einige Mal still
die Stube auf und ab.

Indessen war die Pfarrerin sachte mit der Uni-
form in die Kammer gegangen. Auf Einmal that
sich die Thür weit auf, ein hoher schöner Mann trat
heraus und lag blitzschnell in Theobalds Armen.
Es war kein anderer Mensch, als sein getreuer Schwa-
ger S., der Gatte Adelheids, die wir ja schon
als Mädchen kennen lernten. "Der Tausend!" rief
der Pfarrer, während Alles der herzlichsten Umar-
mung zusah, "so ganz feindselig, wie ich dachte, so

ſelbſt hatte ihn nicht geſehn und konnte die Schilde-
rung, welche Amandus von dem Fremden machte,
auch ſonſt mit Niemanden vergleichen. Die Heimath
des Gaſtes indeſſen, wie der Pfarrer ſie zufällig an-
gab, widerſprach jener beſorglichen Vermuthung nicht.
— „Gern,“ fuhr Amandus fort, „hätt’ ich dir das
Abenteuer noch verſchwiegen, das einmal doch nichts
Angenehmes verſpricht; es wäre Nachmittag noch Zeit
geweſen, und die Delikateſſe des Fremden, daß er uns
unſer erſtes Beiſammenſeyn über Tiſch nicht ſtören
wollte, war in der That zu loben, er gab mir dieſe
freundliche Abſicht beim Wegreiten ſehr deutlich zu
verſtehn. Nun freilich wär’s faſt beſſer, er wäre gleich
zugegen und du dieſer verteufelten Ungewißheit über-
hoben. Höre, wenn es am Ende nur keine odiöſe
Ehrenſache iſt! Du weißt, die Herren Offiziers —
Du haſt doch keine Händel gehabt?“ „Ich wüßte
doch nicht,“ ſagte Nolten und ging einige Mal ſtill
die Stube auf und ab.

Indeſſen war die Pfarrerin ſachte mit der Uni-
form in die Kammer gegangen. Auf Einmal that
ſich die Thür weit auf, ein hoher ſchöner Mann trat
heraus und lag blitzſchnell in Theobalds Armen.
Es war kein anderer Menſch, als ſein getreuer Schwa-
ger S., der Gatte Adelheids, die wir ja ſchon
als Mädchen kennen lernten. „Der Tauſend!“ rief
der Pfarrer, während Alles der herzlichſten Umar-
mung zuſah, „ſo ganz feindſelig, wie ich dachte, ſo

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[438/0124] ſelbſt hatte ihn nicht geſehn und konnte die Schilde- rung, welche Amandus von dem Fremden machte, auch ſonſt mit Niemanden vergleichen. Die Heimath des Gaſtes indeſſen, wie der Pfarrer ſie zufällig an- gab, widerſprach jener beſorglichen Vermuthung nicht. — „Gern,“ fuhr Amandus fort, „hätt’ ich dir das Abenteuer noch verſchwiegen, das einmal doch nichts Angenehmes verſpricht; es wäre Nachmittag noch Zeit geweſen, und die Delikateſſe des Fremden, daß er uns unſer erſtes Beiſammenſeyn über Tiſch nicht ſtören wollte, war in der That zu loben, er gab mir dieſe freundliche Abſicht beim Wegreiten ſehr deutlich zu verſtehn. Nun freilich wär’s faſt beſſer, er wäre gleich zugegen und du dieſer verteufelten Ungewißheit über- hoben. Höre, wenn es am Ende nur keine odiöſe Ehrenſache iſt! Du weißt, die Herren Offiziers — Du haſt doch keine Händel gehabt?“ „Ich wüßte doch nicht,“ ſagte Nolten und ging einige Mal ſtill die Stube auf und ab. Indeſſen war die Pfarrerin ſachte mit der Uni- form in die Kammer gegangen. Auf Einmal that ſich die Thür weit auf, ein hoher ſchöner Mann trat heraus und lag blitzſchnell in Theobalds Armen. Es war kein anderer Menſch, als ſein getreuer Schwa- ger S., der Gatte Adelheids, die wir ja ſchon als Mädchen kennen lernten. „Der Tauſend!“ rief der Pfarrer, während Alles der herzlichſten Umar- mung zuſah, „ſo ganz feindſelig, wie ich dachte, ſo

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/124>, abgerufen am 27.04.2024.