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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832.

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einander zu setzen, wies ihr auch die Charten, die sie
übrigens schon oft gesehen hatte; dabei lauschte sie
immer auf meine Miene, und der kleinste Zug von
Lachen brachte sie fast zur Verzweiflung. Nun, die
Caprice verlor sich bald, und als ich sie vor etlichen
Jahren wieder dran erinnerte, lachte sie sich herzlich
selber drüber aus, erklärte deutlicher, wie's ihr gewe-
sen, und sagte -- ich weiß nicht was Alles." "Kurz,"
nahm Theobald das Wort, "es läuft darauf hin-
aus, daß sie sich als Mittelpunkt und Zweck einer
großen Erziehungsanstalt betrachtete, die auf jene
Weise allerlei lebhafte Ideen in des Kindes Kopfe
habe in Umlauf setzen und seinen Gesichtskreis durch
eine Täuschung erweitern wollen, deren Nutzen sie zu
ahnen glaubte, doch nicht begriff. Sie vermuthete,
man wisse überall, wohin sie komme, wer ihr da und
dort begegnen werde, und da seyen alle Worte abge-
kartet, Alles auf das sorgfältigste hinterlegt, damit sie
auf keinen Widerspruch stoße. Uebrigens hatte sich
die Grille durchaus nicht so festgesezt, daß sie nicht
dazwischen hinein wieder längere Zeit ganz frei da-
von gewesen wäre, sie schien sich selbst nicht recht
dabei zu trauen. Ich habe sie nie darüber fragen
mögen."

"Indessen," sagte der Baron nach einigem Besin-
nen, "bei näherer Betrachtung zeigt sich doch, es ge-
hört dieser skeptische Kasus, der allerdings höchst merk-
würdig bleibt, nicht ganz in unser voriges Kapitel.

einander zu ſetzen, wies ihr auch die Charten, die ſie
übrigens ſchon oft geſehen hatte; dabei lauſchte ſie
immer auf meine Miene, und der kleinſte Zug von
Lachen brachte ſie faſt zur Verzweiflung. Nun, die
Caprice verlor ſich bald, und als ich ſie vor etlichen
Jahren wieder dran erinnerte, lachte ſie ſich herzlich
ſelber drüber aus, erklärte deutlicher, wie’s ihr gewe-
ſen, und ſagte — ich weiß nicht was Alles.“ „Kurz,“
nahm Theobald das Wort, „es läuft darauf hin-
aus, daß ſie ſich als Mittelpunkt und Zweck einer
großen Erziehungsanſtalt betrachtete, die auf jene
Weiſe allerlei lebhafte Ideen in des Kindes Kopfe
habe in Umlauf ſetzen und ſeinen Geſichtskreis durch
eine Täuſchung erweitern wollen, deren Nutzen ſie zu
ahnen glaubte, doch nicht begriff. Sie vermuthete,
man wiſſe überall, wohin ſie komme, wer ihr da und
dort begegnen werde, und da ſeyen alle Worte abge-
kartet, Alles auf das ſorgfältigſte hinterlegt, damit ſie
auf keinen Widerſpruch ſtoße. Uebrigens hatte ſich
die Grille durchaus nicht ſo feſtgeſezt, daß ſie nicht
dazwiſchen hinein wieder längere Zeit ganz frei da-
von geweſen wäre, ſie ſchien ſich ſelbſt nicht recht
dabei zu trauen. Ich habe ſie nie darüber fragen
mögen.“

„Indeſſen,“ ſagte der Baron nach einigem Beſin-
nen, „bei näherer Betrachtung zeigt ſich doch, es ge-
hört dieſer ſkeptiſche Kaſus, der allerdings höchſt merk-
würdig bleibt, nicht ganz in unſer voriges Kapitel.

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[423/0109] einander zu ſetzen, wies ihr auch die Charten, die ſie übrigens ſchon oft geſehen hatte; dabei lauſchte ſie immer auf meine Miene, und der kleinſte Zug von Lachen brachte ſie faſt zur Verzweiflung. Nun, die Caprice verlor ſich bald, und als ich ſie vor etlichen Jahren wieder dran erinnerte, lachte ſie ſich herzlich ſelber drüber aus, erklärte deutlicher, wie’s ihr gewe- ſen, und ſagte — ich weiß nicht was Alles.“ „Kurz,“ nahm Theobald das Wort, „es läuft darauf hin- aus, daß ſie ſich als Mittelpunkt und Zweck einer großen Erziehungsanſtalt betrachtete, die auf jene Weiſe allerlei lebhafte Ideen in des Kindes Kopfe habe in Umlauf ſetzen und ſeinen Geſichtskreis durch eine Täuſchung erweitern wollen, deren Nutzen ſie zu ahnen glaubte, doch nicht begriff. Sie vermuthete, man wiſſe überall, wohin ſie komme, wer ihr da und dort begegnen werde, und da ſeyen alle Worte abge- kartet, Alles auf das ſorgfältigſte hinterlegt, damit ſie auf keinen Widerſpruch ſtoße. Uebrigens hatte ſich die Grille durchaus nicht ſo feſtgeſezt, daß ſie nicht dazwiſchen hinein wieder längere Zeit ganz frei da- von geweſen wäre, ſie ſchien ſich ſelbſt nicht recht dabei zu trauen. Ich habe ſie nie darüber fragen mögen.“ „Indeſſen,“ ſagte der Baron nach einigem Beſin- nen, „bei näherer Betrachtung zeigt ſich doch, es ge- hört dieſer ſkeptiſche Kaſus, der allerdings höchſt merk- würdig bleibt, nicht ganz in unſer voriges Kapitel.

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 2 Stuttgart, 1832, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten02_1832/109>, abgerufen am 27.04.2024.