wäre vergeblich, ihn überreden zu wollen; man muß nur abwarten, bis er von selbst zur Ueberzeugung kommt. Aber (hier brach sie in lautes Schluchzen aus) wenn er während der Zeit verzweifelte! wenn er sich ein Leid anthäte -- nein! nein! das wird er nicht, das kann er nicht! nicht wahr, Vater, so weit kann es unmöglich kommen? Ach, könnt' ich ihn über diese Zwischenzeit nur schnell wegheben, ihn mit irgend was beruhigen, ihm einen Trost zusenden!"
Der Alte vernahm diese Worte mit heimlicher Zufriedenheit, denn sie waren ihm nichts anders als das Zeichen der wiedererwachten Neigung für den Bräutigam. "Wenn du es über dich vermöchtest," sagte er, "ihm deine volle Liebe wieder zu schenken, da wäre freilich am besten geholfen. Siehst du, noch ist im Grunde nichts verloren, noch verdorben; ja, prüfe dich, mein Kind! sey mein verständiges Mäd- chen wieder! nimm auf's Neue meinen Segen mit Theobald hin; schreib' ihm gleich morgen einen un- befangenen heitern Brief, so wie dein lezter vor drei Wochen war, das wird ihn freuen."
Nach einigem Nachdenken antwortete Agnes: "Ihr wißt nicht, Vater, wie es um die Zukunft steht, drum mögt Ihr wohl so sprechen. Aber seht, ich denke nun, Theobald muß ja mein Mann nicht eben seyn, und ich darf ihn dennoch lieb behalten. Ist's ja doch ohnehin noch nicht an der Zeit, daß wir uns die Brautschaft förmlich aufsagen, und warum
wäre vergeblich, ihn überreden zu wollen; man muß nur abwarten, bis er von ſelbſt zur Ueberzeugung kommt. Aber (hier brach ſie in lautes Schluchzen aus) wenn er während der Zeit verzweifelte! wenn er ſich ein Leid anthäte — nein! nein! das wird er nicht, das kann er nicht! nicht wahr, Vater, ſo weit kann es unmöglich kommen? Ach, könnt’ ich ihn über dieſe Zwiſchenzeit nur ſchnell wegheben, ihn mit irgend was beruhigen, ihm einen Troſt zuſenden!“
Der Alte vernahm dieſe Worte mit heimlicher Zufriedenheit, denn ſie waren ihm nichts anders als das Zeichen der wiedererwachten Neigung für den Bräutigam. „Wenn du es über dich vermöchteſt,“ ſagte er, „ihm deine volle Liebe wieder zu ſchenken, da wäre freilich am beſten geholfen. Siehſt du, noch iſt im Grunde nichts verloren, noch verdorben; ja, prüfe dich, mein Kind! ſey mein verſtändiges Mäd- chen wieder! nimm auf’s Neue meinen Segen mit Theobald hin; ſchreib’ ihm gleich morgen einen un- befangenen heitern Brief, ſo wie dein lezter vor drei Wochen war, das wird ihn freuen.“
Nach einigem Nachdenken antwortete Agnes: „Ihr wißt nicht, Vater, wie es um die Zukunft ſteht, drum mögt Ihr wohl ſo ſprechen. Aber ſeht, ich denke nun, Theobald muß ja mein Mann nicht eben ſeyn, und ich darf ihn dennoch lieb behalten. Iſt’s ja doch ohnehin noch nicht an der Zeit, daß wir uns die Brautſchaft förmlich aufſagen, und warum
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wäre vergeblich, ihn überreden zu wollen; man muß
nur abwarten, bis er von ſelbſt zur Ueberzeugung
kommt. Aber (hier brach ſie in lautes Schluchzen
aus) wenn er während der Zeit verzweifelte! wenn
er ſich ein Leid anthäte — nein! nein! das wird er
nicht, das kann er nicht! nicht wahr, Vater, ſo weit kann
es unmöglich kommen? Ach, könnt’ ich ihn über dieſe
Zwiſchenzeit nur ſchnell wegheben, ihn mit irgend was
beruhigen, ihm einen Troſt zuſenden!“
Der Alte vernahm dieſe Worte mit heimlicher
Zufriedenheit, denn ſie waren ihm nichts anders als
das Zeichen der wiedererwachten Neigung für den
Bräutigam. „Wenn du es über dich vermöchteſt,“
ſagte er, „ihm deine volle Liebe wieder zu ſchenken,
da wäre freilich am beſten geholfen. Siehſt du, noch
iſt im Grunde nichts verloren, noch verdorben; ja,
prüfe dich, mein Kind! ſey mein verſtändiges Mäd-
chen wieder! nimm auf’s Neue meinen Segen mit
Theobald hin; ſchreib’ ihm gleich morgen einen un-
befangenen heitern Brief, ſo wie dein lezter vor drei
Wochen war, das wird ihn freuen.“
Nach einigem Nachdenken antwortete Agnes:
„Ihr wißt nicht, Vater, wie es um die Zukunft ſteht,
drum mögt Ihr wohl ſo ſprechen. Aber ſeht, ich
denke nun, Theobald muß ja mein Mann nicht
eben ſeyn, und ich darf ihn dennoch lieb behalten.
Iſt’s ja doch ohnehin noch nicht an der Zeit, daß wir
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/93>, abgerufen am 27.11.2024.
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