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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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seiner Freunde im Städtchen und der Umgegend unbe-
kannt bleiben, eine ländliche Partie verdrängte die andere,
kurz der Förster sah seine Wünsche, die im Stillen
hauptsächlich nur auf Zerstreuung der Tochter gingen,
beinahe über alles Maaß und mehr als sie ertragen
konnte, erfüllt; eigentlich gab sie sich mehr nur aus
Gutmüthigkeit zu all der geräuschvollen Lustbarkeit
her, als daß sie mit ganzem Herzen Theil genommen
hätte.

Großen und schönen Eindruck machte bei ihr eines
Abends der erstmalige Anblick eines Theaters, wozu
eine wandernde Truppe das Wiedecker Publikum lud.
Das Stück war von der leichten, heitern Gattung und
wurde überdieß sehr brav gespielt. Agnes lachte
zum ersten Mal wieder recht herzlich und ging ganz
aufgeräumt zu Bette. Doch in der Nacht kam sie in
das Schlafzimmer des Vaters geschlichen, weckte ihn,
und wollte Anfangs auf die Frage, was ihr zugesto-
ßen sey, lange mit der Sprache nicht heraus. Sie
habe, gestand sie endlich, von Theobalden so lebhaft,
so deutlich geträumt; er sey trostlos gewesen und
habe sie um Gottes willen gebeten, ihn nicht zu ver-
lassen, zulezt sey sie aufgewacht, erstickt von seinen
Küssen. "Nun seht, Vater," fuhr sie unter heißen
Thränen fort, "Euch darf ich wohl bekennen, daß er
mich unbeschreiblich dauert, ob ich ihn gleich nicht
mehr liebe; er wird sein Glück gewiß bei einer An-
dern finden, aber das sieht er jezt nicht ein, und es

ſeiner Freunde im Städtchen und der Umgegend unbe-
kannt bleiben, eine ländliche Partie verdrängte die andere,
kurz der Förſter ſah ſeine Wünſche, die im Stillen
hauptſächlich nur auf Zerſtreuung der Tochter gingen,
beinahe über alles Maaß und mehr als ſie ertragen
konnte, erfüllt; eigentlich gab ſie ſich mehr nur aus
Gutmüthigkeit zu all der geräuſchvollen Luſtbarkeit
her, als daß ſie mit ganzem Herzen Theil genommen
hätte.

Großen und ſchönen Eindruck machte bei ihr eines
Abends der erſtmalige Anblick eines Theaters, wozu
eine wandernde Truppe das Wiedecker Publikum lud.
Das Stück war von der leichten, heitern Gattung und
wurde überdieß ſehr brav geſpielt. Agnes lachte
zum erſten Mal wieder recht herzlich und ging ganz
aufgeräumt zu Bette. Doch in der Nacht kam ſie in
das Schlafzimmer des Vaters geſchlichen, weckte ihn,
und wollte Anfangs auf die Frage, was ihr zugeſto-
ßen ſey, lange mit der Sprache nicht heraus. Sie
habe, geſtand ſie endlich, von Theobalden ſo lebhaft,
ſo deutlich geträumt; er ſey troſtlos geweſen und
habe ſie um Gottes willen gebeten, ihn nicht zu ver-
laſſen, zulezt ſey ſie aufgewacht, erſtickt von ſeinen
Küſſen. „Nun ſeht, Vater,“ fuhr ſie unter heißen
Thränen fort, „Euch darf ich wohl bekennen, daß er
mich unbeſchreiblich dauert, ob ich ihn gleich nicht
mehr liebe; er wird ſein Glück gewiß bei einer An-
dern finden, aber das ſieht er jezt nicht ein, und es

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[84/0092] ſeiner Freunde im Städtchen und der Umgegend unbe- kannt bleiben, eine ländliche Partie verdrängte die andere, kurz der Förſter ſah ſeine Wünſche, die im Stillen hauptſächlich nur auf Zerſtreuung der Tochter gingen, beinahe über alles Maaß und mehr als ſie ertragen konnte, erfüllt; eigentlich gab ſie ſich mehr nur aus Gutmüthigkeit zu all der geräuſchvollen Luſtbarkeit her, als daß ſie mit ganzem Herzen Theil genommen hätte. Großen und ſchönen Eindruck machte bei ihr eines Abends der erſtmalige Anblick eines Theaters, wozu eine wandernde Truppe das Wiedecker Publikum lud. Das Stück war von der leichten, heitern Gattung und wurde überdieß ſehr brav geſpielt. Agnes lachte zum erſten Mal wieder recht herzlich und ging ganz aufgeräumt zu Bette. Doch in der Nacht kam ſie in das Schlafzimmer des Vaters geſchlichen, weckte ihn, und wollte Anfangs auf die Frage, was ihr zugeſto- ßen ſey, lange mit der Sprache nicht heraus. Sie habe, geſtand ſie endlich, von Theobalden ſo lebhaft, ſo deutlich geträumt; er ſey troſtlos geweſen und habe ſie um Gottes willen gebeten, ihn nicht zu ver- laſſen, zulezt ſey ſie aufgewacht, erſtickt von ſeinen Küſſen. „Nun ſeht, Vater,“ fuhr ſie unter heißen Thränen fort, „Euch darf ich wohl bekennen, daß er mich unbeſchreiblich dauert, ob ich ihn gleich nicht mehr liebe; er wird ſein Glück gewiß bei einer An- dern finden, aber das ſieht er jezt nicht ein, und es

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/92>, abgerufen am 27.11.2024.