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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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einem allgemeinen Gespräche fanden die Freunde durch
einige beiläufige Fragen zu ihrer nicht geringen Ver-
wunderung, daß die Sage von einem gespensterhaften
Nachtwächter dem Aberglauben dieser Leute längst
nichts Fremdes war, wiewohl sie die Versicherung,
man habe heute einen Besuch der Art zu erwarten,
bloß für einen angelegten Spaß der Herren nehmen
wollten. Indessen kam die Unterhaltung auf ähnliche
Mährchen und Geschichten, wahre Leckerbissen für
Larkens, und selbst Nolten konnte sich seine Mu-
sterkarte phantastischer Stoffe mit manchem neuen Zuge
bereichern, wäre er weniger stumpf gegen Alles ge-
wesen, was seiner gegenwärtigen Laune keine Nahrung
gab. Desto aufmerksamer waren die Uebrigen, die in
solchen Erzählungen gleichsam einen abenteuerlichen
Widerschein jener bunten Gaukelbilder des Masken-
saals zu finden glaubten. Ein solches Geschichtchen
aus dem Munde eines jungen hübschen Burschen aus
der Gesellschaft war auch folgendes:

"In der Lohgasse, wenn sie den Herren bekannt
ist, wo noch zwei Reihen der urältesten Gebäude un-
serer Stadt stehen, sieht man ein kleines Haus, schmal
und spitz und neuerdings ganz baufällig; es ist die
Werkstatt eines Schlossers. Im obersten Theile des-
selben soll aber ehmals ein junger Mann, nur allein,
gewohnt haben, dessen Lebensweise Niemanden näher
bekannt gewesen, der sich auch niemals blicken lassen,
außer jedes Mal vor dem Ausbruche einer Feuers-

einem allgemeinen Geſpräche fanden die Freunde durch
einige beiläufige Fragen zu ihrer nicht geringen Ver-
wunderung, daß die Sage von einem geſpenſterhaften
Nachtwächter dem Aberglauben dieſer Leute längſt
nichts Fremdes war, wiewohl ſie die Verſicherung,
man habe heute einen Beſuch der Art zu erwarten,
bloß für einen angelegten Spaß der Herren nehmen
wollten. Indeſſen kam die Unterhaltung auf ähnliche
Mährchen und Geſchichten, wahre Leckerbiſſen für
Larkens, und ſelbſt Nolten konnte ſich ſeine Mu-
ſterkarte phantaſtiſcher Stoffe mit manchem neuen Zuge
bereichern, wäre er weniger ſtumpf gegen Alles ge-
weſen, was ſeiner gegenwärtigen Laune keine Nahrung
gab. Deſto aufmerkſamer waren die Uebrigen, die in
ſolchen Erzählungen gleichſam einen abenteuerlichen
Widerſchein jener bunten Gaukelbilder des Masken-
ſaals zu finden glaubten. Ein ſolches Geſchichtchen
aus dem Munde eines jungen hübſchen Burſchen aus
der Geſellſchaft war auch folgendes:

„In der Lohgaſſe, wenn ſie den Herren bekannt
iſt, wo noch zwei Reihen der urälteſten Gebäude un-
ſerer Stadt ſtehen, ſieht man ein kleines Haus, ſchmal
und ſpitz und neuerdings ganz baufällig; es iſt die
Werkſtatt eines Schloſſers. Im oberſten Theile deſ-
ſelben ſoll aber ehmals ein junger Mann, nur allein,
gewohnt haben, deſſen Lebensweiſe Niemanden näher
bekannt geweſen, der ſich auch niemals blicken laſſen,
außer jedes Mal vor dem Ausbruche einer Feuers-

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[44/0052] einem allgemeinen Geſpräche fanden die Freunde durch einige beiläufige Fragen zu ihrer nicht geringen Ver- wunderung, daß die Sage von einem geſpenſterhaften Nachtwächter dem Aberglauben dieſer Leute längſt nichts Fremdes war, wiewohl ſie die Verſicherung, man habe heute einen Beſuch der Art zu erwarten, bloß für einen angelegten Spaß der Herren nehmen wollten. Indeſſen kam die Unterhaltung auf ähnliche Mährchen und Geſchichten, wahre Leckerbiſſen für Larkens, und ſelbſt Nolten konnte ſich ſeine Mu- ſterkarte phantaſtiſcher Stoffe mit manchem neuen Zuge bereichern, wäre er weniger ſtumpf gegen Alles ge- weſen, was ſeiner gegenwärtigen Laune keine Nahrung gab. Deſto aufmerkſamer waren die Uebrigen, die in ſolchen Erzählungen gleichſam einen abenteuerlichen Widerſchein jener bunten Gaukelbilder des Masken- ſaals zu finden glaubten. Ein ſolches Geſchichtchen aus dem Munde eines jungen hübſchen Burſchen aus der Geſellſchaft war auch folgendes: „In der Lohgaſſe, wenn ſie den Herren bekannt iſt, wo noch zwei Reihen der urälteſten Gebäude un- ſerer Stadt ſtehen, ſieht man ein kleines Haus, ſchmal und ſpitz und neuerdings ganz baufällig; es iſt die Werkſtatt eines Schloſſers. Im oberſten Theile deſ- ſelben ſoll aber ehmals ein junger Mann, nur allein, gewohnt haben, deſſen Lebensweiſe Niemanden näher bekannt geweſen, der ſich auch niemals blicken laſſen, außer jedes Mal vor dem Ausbruche einer Feuers-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/52>, abgerufen am 24.11.2024.