"Sie scheinen," erwiderte Leopold gelassen, "wenn ich Sie anders recht fasse, mehr die Gegen- stände zu tadeln, unter denen sich dieser Künstler, nur vielleicht etwas zu vorliebig, bewegt, als daß Sie sein Talent angreifen wollten; nun läßt sich aber ohne Zweifel auf dem angedeuteten Felde so gut als auf irgend einem das Charakteristische und das Rein- Schöne mit großem Glücke zeigen, abgeschmackte und häßliche Formen jedoch, geflissentliches Aufsuchen sinn- widriger Zusammenstellungen kann man von Nolten nicht erwarten; ich kenne sein Wesen von früher und kam in der Absicht hieher, ihn mit einem gemein- schaftlichen Freunde, der auch Maler ist, zu besuchen und uns an seiner bisherigen Ausbildung zu erfreuen."
Der alte Herr hatte diese Worte wahrscheinlich ganz überhört, denn er ging mit lautem Kichern nur wieder in den Refrain seines vorhin Gesagten über: "Hat sie sämmtlich kopirt, ja ja, zum Todtlachen! Ei, das muß er täglich von mir selber hören."
In diesem Augenblicke trat Ferdinand, der Reisegefährte des Bildhauers, ein und rief diesem mit einem glänzenden Blicke voll Freude zu: "Er kommt! er folgt mir auf dem Fuße nach! Er ist der gute Nolten noch, sag ich dir! o gar nicht der achsel- blickende junge Glückspilz, wie man ihn schildern wollte. Stelle dir vor, er vergaß vorhin im Jubel über unsre Ankunft eine Einladung zum Herzog, mit dem er
„Sie ſcheinen,“ erwiderte Leopold gelaſſen, „wenn ich Sie anders recht faſſe, mehr die Gegen- ſtände zu tadeln, unter denen ſich dieſer Künſtler, nur vielleicht etwas zu vorliebig, bewegt, als daß Sie ſein Talent angreifen wollten; nun läßt ſich aber ohne Zweifel auf dem angedeuteten Felde ſo gut als auf irgend einem das Charakteriſtiſche und das Rein- Schöne mit großem Glücke zeigen, abgeſchmackte und häßliche Formen jedoch, gefliſſentliches Aufſuchen ſinn- widriger Zuſammenſtellungen kann man von Nolten nicht erwarten; ich kenne ſein Weſen von früher und kam in der Abſicht hieher, ihn mit einem gemein- ſchaftlichen Freunde, der auch Maler iſt, zu beſuchen und uns an ſeiner bisherigen Ausbildung zu erfreuen.“
Der alte Herr hatte dieſe Worte wahrſcheinlich ganz überhört, denn er ging mit lautem Kichern nur wieder in den Refrain ſeines vorhin Geſagten über: „Hat ſie ſämmtlich kopirt, ja ja, zum Todtlachen! Ei, das muß er täglich von mir ſelber hören.“
In dieſem Augenblicke trat Ferdinand, der Reiſegefährte des Bildhauers, ein und rief dieſem mit einem glänzenden Blicke voll Freude zu: „Er kommt! er folgt mir auf dem Fuße nach! Er iſt der gute Nolten noch, ſag ich dir! o gar nicht der achſel- blickende junge Glückspilz, wie man ihn ſchildern wollte. Stelle dir vor, er vergaß vorhin im Jubel über unſre Ankunft eine Einladung zum Herzog, mit dem er
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„Sie ſcheinen,“ erwiderte Leopold gelaſſen,
„wenn ich Sie anders recht faſſe, mehr die Gegen-
ſtände zu tadeln, unter denen ſich dieſer Künſtler, nur
vielleicht etwas zu vorliebig, bewegt, als daß Sie ſein
Talent angreifen wollten; nun läßt ſich aber ohne
Zweifel auf dem angedeuteten Felde ſo gut als auf
irgend einem das Charakteriſtiſche und das Rein-
Schöne mit großem Glücke zeigen, abgeſchmackte und
häßliche Formen jedoch, gefliſſentliches Aufſuchen ſinn-
widriger Zuſammenſtellungen kann man von Nolten
nicht erwarten; ich kenne ſein Weſen von früher und
kam in der Abſicht hieher, ihn mit einem gemein-
ſchaftlichen Freunde, der auch Maler iſt, zu beſuchen
und uns an ſeiner bisherigen Ausbildung zu erfreuen.“
Der alte Herr hatte dieſe Worte wahrſcheinlich
ganz überhört, denn er ging mit lautem Kichern nur
wieder in den Refrain ſeines vorhin Geſagten über:
„Hat ſie ſämmtlich kopirt, ja ja, zum Todtlachen! Ei,
das muß er täglich von mir ſelber hören.“
In dieſem Augenblicke trat Ferdinand, der
Reiſegefährte des Bildhauers, ein und rief dieſem mit
einem glänzenden Blicke voll Freude zu: „Er kommt!
er folgt mir auf dem Fuße nach! Er iſt der gute
Nolten noch, ſag ich dir! o gar nicht der achſel-
blickende junge Glückspilz, wie man ihn ſchildern wollte.
Stelle dir vor, er vergaß vorhin im Jubel über unſre
Ankunft eine Einladung zum Herzog, mit dem er
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/40>, abgerufen am 02.02.2025.
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