den in der Stadt anlangte. Sie unterhielten sich, in ziemlicher Entfernung auseinander sitzend, über alltäg- liche Dinge, wobei sich Leopold, so nennen wir den Reisenden, bald über die zerstreute Einsylbigkeit des Alten heimlich ärgerte, bald mit einem gewissen Mit- leiden auf die krankhaften Verzerrungen seines Gesichts, auf die rastlose Geschäftigkeit seiner Hände blicken mußte, die jezt ein Fältchen am fein schwarzen Kleide auszuglätten, jezt eine Partie Whistkarten zu mischen, oder eine Prise Spaniol aus der agatnen Dose zu greifen hatten. Das Gespräch war auf diese Weise ganz in's Stocken gerathen, und um ihm wieder ei- nigermaßen aufzuhelfen, fing der Bildhauer an: "Un- ter den Künstlern dieser Stadt und des Vaterlandes soll, wie ich mit Vergnügen höre, der junge Maler Nolten gegenwärtig große Aufmerksamkeit erregen?"
Diese Worte schienen den alten Herrn gleichsam zu sich selber zu bringen. Seine Augen funkelten lebhaft unter ihrer grauen Bedeckung hervor. Da er jedoch noch wie gespannt stille schwieg und eine Ant- wort nur erst unter den schlaffen Lippen zurecht kaute, fuhr der Andere fort: "Ich habe seit drei Jahren nichts von seiner Hand gesehen und bin nun äußerst begierig, mich zu überzeugen, was an diesem aus- schweifenden Lobe, wie an den heftigen Urtheilen der Kritiker Wahres seyn mag."
"Befehlen Sie," sagte der Alte fast höhnisch, "daß ich nun mit einem hübschen Sätzchen antworte,
den in der Stadt anlangte. Sie unterhielten ſich, in ziemlicher Entfernung auseinander ſitzend, über alltäg- liche Dinge, wobei ſich Leopold, ſo nennen wir den Reiſenden, bald über die zerſtreute Einſylbigkeit des Alten heimlich ärgerte, bald mit einem gewiſſen Mit- leiden auf die krankhaften Verzerrungen ſeines Geſichts, auf die raſtloſe Geſchäftigkeit ſeiner Hände blicken mußte, die jezt ein Fältchen am fein ſchwarzen Kleide auszuglätten, jezt eine Partie Whiſtkarten zu miſchen, oder eine Priſe Spaniol aus der agatnen Doſe zu greifen hatten. Das Geſpräch war auf dieſe Weiſe ganz in’s Stocken gerathen, und um ihm wieder ei- nigermaßen aufzuhelfen, fing der Bildhauer an: „Un- ter den Künſtlern dieſer Stadt und des Vaterlandes ſoll, wie ich mit Vergnügen höre, der junge Maler Nolten gegenwärtig große Aufmerkſamkeit erregen?“
Dieſe Worte ſchienen den alten Herrn gleichſam zu ſich ſelber zu bringen. Seine Augen funkelten lebhaft unter ihrer grauen Bedeckung hervor. Da er jedoch noch wie geſpannt ſtille ſchwieg und eine Ant- wort nur erſt unter den ſchlaffen Lippen zurecht kaute, fuhr der Andere fort: „Ich habe ſeit drei Jahren nichts von ſeiner Hand geſehen und bin nun äußerſt begierig, mich zu überzeugen, was an dieſem aus- ſchweifenden Lobe, wie an den heftigen Urtheilen der Kritiker Wahres ſeyn mag.“
„Befehlen Sie,“ ſagte der Alte faſt höhniſch, „daß ich nun mit einem hübſchen Sätzchen antworte,
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den in der Stadt anlangte. Sie unterhielten ſich, in
ziemlicher Entfernung auseinander ſitzend, über alltäg-
liche Dinge, wobei ſich Leopold, ſo nennen wir den
Reiſenden, bald über die zerſtreute Einſylbigkeit des
Alten heimlich ärgerte, bald mit einem gewiſſen Mit-
leiden auf die krankhaften Verzerrungen ſeines Geſichts,
auf die raſtloſe Geſchäftigkeit ſeiner Hände blicken
mußte, die jezt ein Fältchen am fein ſchwarzen Kleide
auszuglätten, jezt eine Partie Whiſtkarten zu miſchen,
oder eine Priſe Spaniol aus der agatnen Doſe zu
greifen hatten. Das Geſpräch war auf dieſe Weiſe
ganz in’s Stocken gerathen, und um ihm wieder ei-
nigermaßen aufzuhelfen, fing der Bildhauer an: „Un-
ter den Künſtlern dieſer Stadt und des Vaterlandes
ſoll, wie ich mit Vergnügen höre, der junge Maler
Nolten gegenwärtig große Aufmerkſamkeit erregen?“
Dieſe Worte ſchienen den alten Herrn gleichſam
zu ſich ſelber zu bringen. Seine Augen funkelten
lebhaft unter ihrer grauen Bedeckung hervor. Da er
jedoch noch wie geſpannt ſtille ſchwieg und eine Ant-
wort nur erſt unter den ſchlaffen Lippen zurecht kaute,
fuhr der Andere fort: „Ich habe ſeit drei Jahren
nichts von ſeiner Hand geſehen und bin nun äußerſt
begierig, mich zu überzeugen, was an dieſem aus-
ſchweifenden Lobe, wie an den heftigen Urtheilen der
Kritiker Wahres ſeyn mag.“
„Befehlen Sie,“ ſagte der Alte faſt höhniſch,
„daß ich nun mit einem hübſchen Sätzchen antworte,
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/38>, abgerufen am 29.01.2025.
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