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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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und ein leidlicheres Bette auf mich gewartet haben
würden. Mit solchen Bildern beschäftigt, bemerkte ich
jezt in einiger Entfernung durch das Gezweige hindurch
den Glanz eines Feuers. Meine ganze Einbildungs-
kraft entzündete sich in diesem Anblick unter tausend
mehr oder weniger angenehmen Vermuthungen; aber
bald entschloß ich mich zu einer genauern Untersuchung.
Nach einer mühsam zurückgelegten Strecke von etwa
fünfzehn Schritten unterschied ich eine bunte Gesellschaft
von Männern, Weibern und Kindern auf einem etwas
freien Platz um ein Feuer herumsitzend und zum Theil
von einer Art unordentlichen Gezeltes bedeckt; sie führ-
ten, so viel ich hörte, ein zufriedenes aber lebhaftes
Gespräch.

Das Herz hüpfte mir vor Freuden, hier einen
Trupp von Zigeunern anzutreffen, denn ein altes Vor-
urtheil für dieß eigenthümliche Volk wurde selbst durch
das Bewußtseyn meiner gänzlichen Schutzlosigkeit nicht
eingeschreckt. Ich weiß nicht, welches rasche zuversicht-
liche Gefühl mich überredete, daß wenigstens bei dieser
Versammlung durch eine offene Ansprache nichts zu
wagen sey. Mein kleiner Tubus trug in keinem Fall
etwas dazu bei, denn bei einer physiognomischen Unter-
suchung der vom rothen Schein der Flamme beleuchte-
ten Köpfe hätte mein Urtheil unentschieden bleiben müs-
sen, trotz der frappantesten Deutlichkeit, womit jeder
Zug sich vor mein Auge stellte. Ich trat hervor, ich
grüßte treuherzig und erfuhr ganz die gehoffte Auf-

und ein leidlicheres Bette auf mich gewartet haben
würden. Mit ſolchen Bildern beſchäftigt, bemerkte ich
jezt in einiger Entfernung durch das Gezweige hindurch
den Glanz eines Feuers. Meine ganze Einbildungs-
kraft entzündete ſich in dieſem Anblick unter tauſend
mehr oder weniger angenehmen Vermuthungen; aber
bald entſchloß ich mich zu einer genauern Unterſuchung.
Nach einer mühſam zurückgelegten Strecke von etwa
fünfzehn Schritten unterſchied ich eine bunte Geſellſchaft
von Männern, Weibern und Kindern auf einem etwas
freien Platz um ein Feuer herumſitzend und zum Theil
von einer Art unordentlichen Gezeltes bedeckt; ſie führ-
ten, ſo viel ich hörte, ein zufriedenes aber lebhaftes
Geſpräch.

Das Herz hüpfte mir vor Freuden, hier einen
Trupp von Zigeunern anzutreffen, denn ein altes Vor-
urtheil für dieß eigenthümliche Volk wurde ſelbſt durch
das Bewußtſeyn meiner gänzlichen Schutzloſigkeit nicht
eingeſchreckt. Ich weiß nicht, welches raſche zuverſicht-
liche Gefühl mich überredete, daß wenigſtens bei dieſer
Verſammlung durch eine offene Anſprache nichts zu
wagen ſey. Mein kleiner Tubus trug in keinem Fall
etwas dazu bei, denn bei einer phyſiognomiſchen Unter-
ſuchung der vom rothen Schein der Flamme beleuchte-
ten Köpfe hätte mein Urtheil unentſchieden bleiben müſ-
ſen, trotz der frappanteſten Deutlichkeit, womit jeder
Zug ſich vor mein Auge ſtellte. Ich trat hervor, ich
grüßte treuherzig und erfuhr ganz die gehoffte Auf-

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[302/0310] und ein leidlicheres Bette auf mich gewartet haben würden. Mit ſolchen Bildern beſchäftigt, bemerkte ich jezt in einiger Entfernung durch das Gezweige hindurch den Glanz eines Feuers. Meine ganze Einbildungs- kraft entzündete ſich in dieſem Anblick unter tauſend mehr oder weniger angenehmen Vermuthungen; aber bald entſchloß ich mich zu einer genauern Unterſuchung. Nach einer mühſam zurückgelegten Strecke von etwa fünfzehn Schritten unterſchied ich eine bunte Geſellſchaft von Männern, Weibern und Kindern auf einem etwas freien Platz um ein Feuer herumſitzend und zum Theil von einer Art unordentlichen Gezeltes bedeckt; ſie führ- ten, ſo viel ich hörte, ein zufriedenes aber lebhaftes Geſpräch. Das Herz hüpfte mir vor Freuden, hier einen Trupp von Zigeunern anzutreffen, denn ein altes Vor- urtheil für dieß eigenthümliche Volk wurde ſelbſt durch das Bewußtſeyn meiner gänzlichen Schutzloſigkeit nicht eingeſchreckt. Ich weiß nicht, welches raſche zuverſicht- liche Gefühl mich überredete, daß wenigſtens bei dieſer Verſammlung durch eine offene Anſprache nichts zu wagen ſey. Mein kleiner Tubus trug in keinem Fall etwas dazu bei, denn bei einer phyſiognomiſchen Unter- ſuchung der vom rothen Schein der Flamme beleuchte- ten Köpfe hätte mein Urtheil unentſchieden bleiben müſ- ſen, trotz der frappanteſten Deutlichkeit, womit jeder Zug ſich vor mein Auge ſtellte. Ich trat hervor, ich grüßte treuherzig und erfuhr ganz die gehoffte Auf-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/310>, abgerufen am 19.05.2024.