ken auf's Beste gefallen. Am zweiten Abend meiner Wanderung befand ich mich bereits in einer anziehenden Gebirgsgegend und der darauf folgende Mittag sah mich schon tief in den herrlichsten Waldungen herum- schwärmen, wo ich nach Herzenslust den wilden Athem der Natur kostete, die Schauer der Einsamkeit empfand, mich hundert Zerstreuungen überließ. Unvermerkt sank die Dämmerung herein, da es mir denn erst einfiel, den Fußsteig wieder aufzusuchen, der, wie man mir ge- sagt hatte, nach einer guten, mitten im Walde gelege- nen Herberge führen mußte. Das ging aber nicht so leicht; eine volle halbe Stunde quälte ich mich ab, ohne eine Spur zu entdecken. Jezt war es fast Nacht. Meine Wahl ging nahe zusammen. Auf gut Glück lief ich noch eine Zeitlang vorwärts, bis das dicker werdende Ge- sträuch und eine große Müdigkeit mich verdrossen stille stehen machte. Ungeduld und Aerger über meine Un- vorsichtigkeit waren auf's Aeußerste gestiegen, da über- raschte mich mit Einemmal der Gedanke, daß ich mir ehedem oft eine solche Situation gewünscht, und daß dieser scheinbar widerwärtige Zufall recht eigentlich im Charakter meiner Reise sey. Hiemit gab ich mich denn auch wirklich zufrieden. Unbequem genug lagerte ich mich unter einer hohen Eiche, murmelte etwas von der Lieblichkeit der warmen Sommernacht, vom baldigen Aufgang des Mondes und konnte doch nicht verhüten, daß meine Gedanken einige Mal in dem verfehlten Wirthshaus einkehrten, wo ein ordentliches Abendbrod
ken auf’s Beſte gefallen. Am zweiten Abend meiner Wanderung befand ich mich bereits in einer anziehenden Gebirgsgegend und der darauf folgende Mittag ſah mich ſchon tief in den herrlichſten Waldungen herum- ſchwärmen, wo ich nach Herzensluſt den wilden Athem der Natur koſtete, die Schauer der Einſamkeit empfand, mich hundert Zerſtreuungen überließ. Unvermerkt ſank die Dämmerung herein, da es mir denn erſt einfiel, den Fußſteig wieder aufzuſuchen, der, wie man mir ge- ſagt hatte, nach einer guten, mitten im Walde gelege- nen Herberge führen mußte. Das ging aber nicht ſo leicht; eine volle halbe Stunde quälte ich mich ab, ohne eine Spur zu entdecken. Jezt war es faſt Nacht. Meine Wahl ging nahe zuſammen. Auf gut Glück lief ich noch eine Zeitlang vorwärts, bis das dicker werdende Ge- ſträuch und eine große Müdigkeit mich verdroſſen ſtille ſtehen machte. Ungeduld und Aerger über meine Un- vorſichtigkeit waren auf’s Aeußerſte geſtiegen, da über- raſchte mich mit Einemmal der Gedanke, daß ich mir ehedem oft eine ſolche Situation gewünſcht, und daß dieſer ſcheinbar widerwärtige Zufall recht eigentlich im Charakter meiner Reiſe ſey. Hiemit gab ich mich denn auch wirklich zufrieden. Unbequem genug lagerte ich mich unter einer hohen Eiche, murmelte etwas von der Lieblichkeit der warmen Sommernacht, vom baldigen Aufgang des Mondes und konnte doch nicht verhüten, daß meine Gedanken einige Mal in dem verfehlten Wirthshaus einkehrten, wo ein ordentliches Abendbrod
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ken auf’s Beſte gefallen. Am zweiten Abend meiner
Wanderung befand ich mich bereits in einer anziehenden
Gebirgsgegend und der darauf folgende Mittag ſah
mich ſchon tief in den herrlichſten Waldungen herum-
ſchwärmen, wo ich nach Herzensluſt den wilden Athem
der Natur koſtete, die Schauer der Einſamkeit empfand,
mich hundert Zerſtreuungen überließ. Unvermerkt ſank
die Dämmerung herein, da es mir denn erſt einfiel,
den Fußſteig wieder aufzuſuchen, der, wie man mir ge-
ſagt hatte, nach einer guten, mitten im Walde gelege-
nen Herberge führen mußte. Das ging aber nicht ſo
leicht; eine volle halbe Stunde quälte ich mich ab, ohne
eine Spur zu entdecken. Jezt war es faſt Nacht. Meine
Wahl ging nahe zuſammen. Auf gut Glück lief ich noch
eine Zeitlang vorwärts, bis das dicker werdende Ge-
ſträuch und eine große Müdigkeit mich verdroſſen ſtille
ſtehen machte. Ungeduld und Aerger über meine Un-
vorſichtigkeit waren auf’s Aeußerſte geſtiegen, da über-
raſchte mich mit Einemmal der Gedanke, daß ich mir
ehedem oft eine ſolche Situation gewünſcht, und daß
dieſer ſcheinbar widerwärtige Zufall recht eigentlich im
Charakter meiner Reiſe ſey. Hiemit gab ich mich denn
auch wirklich zufrieden. Unbequem genug lagerte ich
mich unter einer hohen Eiche, murmelte etwas von der
Lieblichkeit der warmen Sommernacht, vom baldigen
Aufgang des Mondes und konnte doch nicht verhüten,
daß meine Gedanken einige Mal in dem verfehlten
Wirthshaus einkehrten, wo ein ordentliches Abendbrod
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/309>, abgerufen am 30.01.2025.
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