mich der Freiheit auf meinem guten Pferde, ich wickle mich mit kindischem Vergnügen in mein Mäntelchen gegen die rauhe Luft, die da auf uns zustreicht, und halte mir das sichre Herze warm und wiege mich in meinen Gedanken. Aber nicht wahr, als wir noch in Rißthal wohnten, da war es ein Anderes, auszureiten? Enges Thal, dichter Wald, wohin man immer sah. Hier das platte Feld und lauter Fruchtbaum. Wir haben anderthalb gute Stunden, bis es ein wenig krauser hergeht. Glücklich, daß wir wenigstens die Landstraße nicht brauchen."
Beide Geschwister durchliefen jezt in unerschöpflichen Gesprächen die Lichtpunkte ihres früheren Lebens in Rißthal, einem dürftigen Orte, wo der Vater zwölf Jahre lang Pfarrer gewesen. Sie begegneten sich mit der innigsten Freude bei so mancher angenehmen, kaum noch in schwachen Anklängen vorhandenen Erinnerung, es wagten sich nach und nach gegenseitige Worte der Rührung und Frömmigkeit über die Lippen, wie sie sonst, von einer Art falscher Schaam bewacht, zwischen jungen Leuten nicht gewechselt werden.
Endlich sagte der Bruder: "Indem wir da so offen- herzig plaudern, läßt mich's nicht ruhen, dir zu geste- hen, daß ich doch Ein Geheimniß auch vor dir habe, Adelheid! Es ist nichts Verdächtiges, nichts, was ich verheimlichen müßte, eine Grille hat mich bisher abgehalten, dir es mitzutheilen. Aber heute sollst du es hören, und zwar unter den Mauern des alten
mich der Freiheit auf meinem guten Pferde, ich wickle mich mit kindiſchem Vergnügen in mein Mäntelchen gegen die rauhe Luft, die da auf uns zuſtreicht, und halte mir das ſichre Herze warm und wiege mich in meinen Gedanken. Aber nicht wahr, als wir noch in Rißthal wohnten, da war es ein Anderes, auszureiten? Enges Thal, dichter Wald, wohin man immer ſah. Hier das platte Feld und lauter Fruchtbaum. Wir haben anderthalb gute Stunden, bis es ein wenig krauſer hergeht. Glücklich, daß wir wenigſtens die Landſtraße nicht brauchen.“
Beide Geſchwiſter durchliefen jezt in unerſchöpflichen Geſprächen die Lichtpunkte ihres früheren Lebens in Rißthal, einem dürftigen Orte, wo der Vater zwölf Jahre lang Pfarrer geweſen. Sie begegneten ſich mit der innigſten Freude bei ſo mancher angenehmen, kaum noch in ſchwachen Anklängen vorhandenen Erinnerung, es wagten ſich nach und nach gegenſeitige Worte der Rührung und Frömmigkeit über die Lippen, wie ſie ſonſt, von einer Art falſcher Schaam bewacht, zwiſchen jungen Leuten nicht gewechſelt werden.
Endlich ſagte der Bruder: „Indem wir da ſo offen- herzig plaudern, läßt mich’s nicht ruhen, dir zu geſte- hen, daß ich doch Ein Geheimniß auch vor dir habe, Adelheid! Es iſt nichts Verdächtiges, nichts, was ich verheimlichen müßte, eine Grille hat mich bisher abgehalten, dir es mitzutheilen. Aber heute ſollſt du es hören, und zwar unter den Mauern des alten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0289"n="281"/>
mich der Freiheit auf meinem guten Pferde, ich wickle<lb/>
mich mit kindiſchem Vergnügen in mein Mäntelchen<lb/>
gegen die rauhe Luft, die da auf uns zuſtreicht, und<lb/>
halte mir das ſichre Herze warm und wiege mich in<lb/>
meinen Gedanken. Aber nicht wahr, als wir noch in<lb/>
Rißthal wohnten, da war es ein Anderes, auszureiten?<lb/>
Enges Thal, dichter Wald, wohin man immer ſah. Hier<lb/>
das platte Feld und lauter Fruchtbaum. Wir haben<lb/>
anderthalb gute Stunden, bis es ein wenig krauſer<lb/>
hergeht. Glücklich, daß wir wenigſtens die Landſtraße<lb/>
nicht brauchen.“</p><lb/><p>Beide Geſchwiſter durchliefen jezt in unerſchöpflichen<lb/>
Geſprächen die Lichtpunkte ihres früheren Lebens in<lb/>
Rißthal, einem dürftigen Orte, wo der Vater zwölf<lb/>
Jahre lang Pfarrer geweſen. Sie begegneten ſich mit<lb/>
der innigſten Freude bei ſo mancher angenehmen, kaum<lb/>
noch in ſchwachen Anklängen vorhandenen Erinnerung,<lb/>
es wagten ſich nach und nach gegenſeitige Worte der<lb/>
Rührung und Frömmigkeit über die Lippen, wie ſie<lb/>ſonſt, von einer Art falſcher Schaam bewacht, zwiſchen<lb/>
jungen Leuten nicht gewechſelt werden.</p><lb/><p>Endlich ſagte der Bruder: „Indem wir da ſo offen-<lb/>
herzig plaudern, läßt mich’s nicht ruhen, dir zu geſte-<lb/>
hen, daß ich doch Ein Geheimniß auch vor dir habe,<lb/><hirendition="#g">Adelheid</hi>! Es iſt nichts Verdächtiges, nichts, was<lb/>
ich verheimlichen müßte, eine Grille hat mich bisher<lb/>
abgehalten, dir es mitzutheilen. Aber heute ſollſt du<lb/>
es hören, und zwar unter den Mauern des alten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[281/0289]
mich der Freiheit auf meinem guten Pferde, ich wickle
mich mit kindiſchem Vergnügen in mein Mäntelchen
gegen die rauhe Luft, die da auf uns zuſtreicht, und
halte mir das ſichre Herze warm und wiege mich in
meinen Gedanken. Aber nicht wahr, als wir noch in
Rißthal wohnten, da war es ein Anderes, auszureiten?
Enges Thal, dichter Wald, wohin man immer ſah. Hier
das platte Feld und lauter Fruchtbaum. Wir haben
anderthalb gute Stunden, bis es ein wenig krauſer
hergeht. Glücklich, daß wir wenigſtens die Landſtraße
nicht brauchen.“
Beide Geſchwiſter durchliefen jezt in unerſchöpflichen
Geſprächen die Lichtpunkte ihres früheren Lebens in
Rißthal, einem dürftigen Orte, wo der Vater zwölf
Jahre lang Pfarrer geweſen. Sie begegneten ſich mit
der innigſten Freude bei ſo mancher angenehmen, kaum
noch in ſchwachen Anklängen vorhandenen Erinnerung,
es wagten ſich nach und nach gegenſeitige Worte der
Rührung und Frömmigkeit über die Lippen, wie ſie
ſonſt, von einer Art falſcher Schaam bewacht, zwiſchen
jungen Leuten nicht gewechſelt werden.
Endlich ſagte der Bruder: „Indem wir da ſo offen-
herzig plaudern, läßt mich’s nicht ruhen, dir zu geſte-
hen, daß ich doch Ein Geheimniß auch vor dir habe,
Adelheid! Es iſt nichts Verdächtiges, nichts, was
ich verheimlichen müßte, eine Grille hat mich bisher
abgehalten, dir es mitzutheilen. Aber heute ſollſt du
es hören, und zwar unter den Mauern des alten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/289>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.