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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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der Braune mit dem bequemen Frauensattel ausge-
rüstet im Hofe. Man ließ das Pärchen ungehindert
ziehen. Der Alte brummte unter dem Fenster mit
einem geschmeichelten Blick auf die schlanke Reiterfigur
seines Mädchens bloß vor sich hin: "Narrheiten!"
Ernestine kreischte nur etwas Weniges zur Em-
pfehlung der zerbrechlichen, mit Mundvorrath gefüllten
Gefäße nach, welche der Knecht in einer Ledertasche
nebst den Schirmen hinten nachtrug, und die ehrlichen
Wolfsbühler, an das berittene Frauenzimmer längst
gewöhnt, grüßten durch's ganze Dorf auf das Freund-
lichste.

Die Sonne hielt sich brav hinter ihrem Versteck
und der Tag behielt zu Adelheids größter Zufrie-
denheit "sein mockiges Gesicht" bei.

"Indem ich," hob sie nach einer Weile an, "wohl
gute Lust hätte, recht wehmüthig zu seyn, wie dieser
graue Tag es selber ist, so rührt sich doch fast wider
meinen Willen ein wunderlicher Jubel in einem klei-
nen feinen Winkel meines Innersten, eine Freudigkeit,
deren Grund mir nicht einfällt. Es ist am Ende doch
nur die verkehrte Wirkung dieses melancholischen Herbst-
anblicks, welche sich von Kindheit an gar oft bei mir
gezeigt hat. Mir kommt es vor, an solchen trauer-
farbnen Tagen werde die Seele am meisten ihrer selbst
bewußt; es wandelt sie ein Heimweh an, sie weiß nicht
wornach, und sie bekommt plötzlich wieder einen Schwung
zur Fröhlichkeit, sie kann nicht sagen woher. Ich freue

der Braune mit dem bequemen Frauenſattel ausge-
rüſtet im Hofe. Man ließ das Pärchen ungehindert
ziehen. Der Alte brummte unter dem Fenſter mit
einem geſchmeichelten Blick auf die ſchlanke Reiterfigur
ſeines Mädchens bloß vor ſich hin: „Narrheiten!“
Erneſtine kreiſchte nur etwas Weniges zur Em-
pfehlung der zerbrechlichen, mit Mundvorrath gefüllten
Gefäße nach, welche der Knecht in einer Ledertaſche
nebſt den Schirmen hinten nachtrug, und die ehrlichen
Wolfsbühler, an das berittene Frauenzimmer längſt
gewöhnt, grüßten durch’s ganze Dorf auf das Freund-
lichſte.

Die Sonne hielt ſich brav hinter ihrem Verſteck
und der Tag behielt zu Adelheids größter Zufrie-
denheit „ſein mockiges Geſicht“ bei.

„Indem ich,“ hob ſie nach einer Weile an, „wohl
gute Luſt hätte, recht wehmüthig zu ſeyn, wie dieſer
graue Tag es ſelber iſt, ſo rührt ſich doch faſt wider
meinen Willen ein wunderlicher Jubel in einem klei-
nen feinen Winkel meines Innerſten, eine Freudigkeit,
deren Grund mir nicht einfällt. Es iſt am Ende doch
nur die verkehrte Wirkung dieſes melancholiſchen Herbſt-
anblicks, welche ſich von Kindheit an gar oft bei mir
gezeigt hat. Mir kommt es vor, an ſolchen trauer-
farbnen Tagen werde die Seele am meiſten ihrer ſelbſt
bewußt; es wandelt ſie ein Heimweh an, ſie weiß nicht
wornach, und ſie bekommt plötzlich wieder einen Schwung
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[280/0288] der Braune mit dem bequemen Frauenſattel ausge- rüſtet im Hofe. Man ließ das Pärchen ungehindert ziehen. Der Alte brummte unter dem Fenſter mit einem geſchmeichelten Blick auf die ſchlanke Reiterfigur ſeines Mädchens bloß vor ſich hin: „Narrheiten!“ Erneſtine kreiſchte nur etwas Weniges zur Em- pfehlung der zerbrechlichen, mit Mundvorrath gefüllten Gefäße nach, welche der Knecht in einer Ledertaſche nebſt den Schirmen hinten nachtrug, und die ehrlichen Wolfsbühler, an das berittene Frauenzimmer längſt gewöhnt, grüßten durch’s ganze Dorf auf das Freund- lichſte. Die Sonne hielt ſich brav hinter ihrem Verſteck und der Tag behielt zu Adelheids größter Zufrie- denheit „ſein mockiges Geſicht“ bei. „Indem ich,“ hob ſie nach einer Weile an, „wohl gute Luſt hätte, recht wehmüthig zu ſeyn, wie dieſer graue Tag es ſelber iſt, ſo rührt ſich doch faſt wider meinen Willen ein wunderlicher Jubel in einem klei- nen feinen Winkel meines Innerſten, eine Freudigkeit, deren Grund mir nicht einfällt. Es iſt am Ende doch nur die verkehrte Wirkung dieſes melancholiſchen Herbſt- anblicks, welche ſich von Kindheit an gar oft bei mir gezeigt hat. Mir kommt es vor, an ſolchen trauer- farbnen Tagen werde die Seele am meiſten ihrer ſelbſt bewußt; es wandelt ſie ein Heimweh an, ſie weiß nicht wornach, und ſie bekommt plötzlich wieder einen Schwung zur Fröhlichkeit, ſie kann nicht ſagen woher. Ich freue

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/288>, abgerufen am 22.07.2024.