beiden Hinterfüßen nach dem armen Mann ausge- schlagen habe. Indessen, was ist im Traum nicht Alles möglich? Gib mir aber keck eine Ohrfeige! ich hatte fürwahr ganz andere Gedanken. Höre! und daß du es nur weißt, wir gehen heute auf den Rehstock. Noch nie hab' ich ihn an einem Tag gesehen, wie der heutige ist, und mich däucht, da muß sich das alte Gemäuer, die herbstliche Waldung ganz absonderlich ausnehmen; mir ist, als könnten wir heut Einmal die Freude haben, so ein paar stille heimliche Wolken zu belauschen und zu überraschen, wenn sie sich eben recht breit in die hohlen Fenster lagern wollen. Wie meinst du? Schlag ein. Wir werden's vom Papa schon erhalten, daß mir Johann das Pferd satteln darf und du selbst bist ja rüstig auf den Füßen. Wir gehen gleich nach dem Frühstück wo möglich ganz allein, und kommen erst mit dem Abend wieder."
Dem Bruder war der Vorschlag recht; es wurde verabredet, man wolle alles Erdenkliche von Gefällig- keit thun, um die Uebrigen günstig zu stimmen. Adel- heid flocht der ältern Schwester, der eiteln Erne- stine, dießmal den Zopf mit ungewöhnlichem Fleiße, verlangte nicht einmal den Gegendienst, und der Kuß, den sie dafür erhielt, war für die Beiden ungefähr dasselbe gute Zeichen, was für Andere, wenn sie ein gleiches Vorhaben gehabt hätten, der erste Sonnenblick gewe- sen wäre. Ehe man es dachte, hat Theobald die Sache bereits beim Vater vermittelt und bald stand
beiden Hinterfüßen nach dem armen Mann ausge- ſchlagen habe. Indeſſen, was iſt im Traum nicht Alles möglich? Gib mir aber keck eine Ohrfeige! ich hatte fürwahr ganz andere Gedanken. Höre! und daß du es nur weißt, wir gehen heute auf den Rehſtock. Noch nie hab’ ich ihn an einem Tag geſehen, wie der heutige iſt, und mich däucht, da muß ſich das alte Gemäuer, die herbſtliche Waldung ganz abſonderlich ausnehmen; mir iſt, als könnten wir heut Einmal die Freude haben, ſo ein paar ſtille heimliche Wolken zu belauſchen und zu überraſchen, wenn ſie ſich eben recht breit in die hohlen Fenſter lagern wollen. Wie meinſt du? Schlag ein. Wir werden’s vom Papa ſchon erhalten, daß mir Johann das Pferd ſatteln darf und du ſelbſt biſt ja rüſtig auf den Füßen. Wir gehen gleich nach dem Frühſtück wo möglich ganz allein, und kommen erſt mit dem Abend wieder.“
Dem Bruder war der Vorſchlag recht; es wurde verabredet, man wolle alles Erdenkliche von Gefällig- keit thun, um die Uebrigen günſtig zu ſtimmen. Adel- heid flocht der ältern Schweſter, der eiteln Erne- ſtine, dießmal den Zopf mit ungewöhnlichem Fleiße, verlangte nicht einmal den Gegendienſt, und der Kuß, den ſie dafür erhielt, war für die Beiden ungefähr daſſelbe gute Zeichen, was für Andere, wenn ſie ein gleiches Vorhaben gehabt hätten, der erſte Sonnenblick gewe- ſen wäre. Ehe man es dachte, hat Theobald die Sache bereits beim Vater vermittelt und bald ſtand
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beiden Hinterfüßen nach dem armen Mann ausge-
ſchlagen habe. Indeſſen, was iſt im Traum nicht
Alles möglich? Gib mir aber keck eine Ohrfeige! ich
hatte fürwahr ganz andere Gedanken. Höre! und daß
du es nur weißt, wir gehen heute auf den Rehſtock.
Noch nie hab’ ich ihn an einem Tag geſehen, wie der
heutige iſt, und mich däucht, da muß ſich das alte
Gemäuer, die herbſtliche Waldung ganz abſonderlich
ausnehmen; mir iſt, als könnten wir heut Einmal
die Freude haben, ſo ein paar ſtille heimliche Wolken
zu belauſchen und zu überraſchen, wenn ſie ſich eben
recht breit in die hohlen Fenſter lagern wollen. Wie
meinſt du? Schlag ein. Wir werden’s vom Papa
ſchon erhalten, daß mir Johann das Pferd ſatteln
darf und du ſelbſt biſt ja rüſtig auf den Füßen. Wir
gehen gleich nach dem Frühſtück wo möglich ganz
allein, und kommen erſt mit dem Abend wieder.“
Dem Bruder war der Vorſchlag recht; es wurde
verabredet, man wolle alles Erdenkliche von Gefällig-
keit thun, um die Uebrigen günſtig zu ſtimmen. Adel-
heid flocht der ältern Schweſter, der eiteln Erne-
ſtine, dießmal den Zopf mit ungewöhnlichem Fleiße,
verlangte nicht einmal den Gegendienſt, und der Kuß,
den ſie dafür erhielt, war für die Beiden ungefähr daſſelbe
gute Zeichen, was für Andere, wenn ſie ein gleiches
Vorhaben gehabt hätten, der erſte Sonnenblick gewe-
ſen wäre. Ehe man es dachte, hat Theobald die
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/287>, abgerufen am 22.11.2024.
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