Schwachheit bekennen, lieber Larkens, und Sie mö- gen mich immerhin darüber ausschelten, aber wer in aller Welt ist ganz vor'm Aberglauben sicher, sonder- lich unter solchen Umständen? Kaum war mir vorgestern gesagt worden, Theobald habe sich gefährlich krank gelegt, so deutete ich mein Begegniß mit der gespensti- gen Orgelspielerin urplötzlich als ein Omen aus, denn mir fiel ein, was man von Trauerfällen sagt, welche auf ähnliche Weise angekündigt worden. Und dieser dummen Furcht bin ich noch heute nicht ganz los, ob- wohl ich recht gut weiß, daß die Erscheinung keine Vision, noch Gespenst oder dergleichen, sondern ein or- dentliches Menschenkind gewesen."
"Aufrichtig gesprochen, mein Bester," sagte Lar- kens, "ich zweifle an dieser Apparition so gar nicht im Mindesten, daß ich Ihnen vielleicht selber den Schlüssel zu dem Räthsel geben kann. Doch, schwei- gen Sie darüber gegen unsern Freund, versprechen Sie mir reinen Mund zu halten."
"Gewiß, wenn Sie's für nöthig finden."
"Nun denn -- aber zuvor wär' ich begierig, wie Ihr Abenteuer abgelaufen. Sie sprachen die Person?"
"Mein Gott, nicht doch! denn (beinahe schäme ich mich, es zu bekennen) die Erscheinung bestürzte mich dergestalt, daß ich mich wohl drei- viermal im Ring herum wirbelte, und während ich nach meinem zurück- gebliebenen Begleiter umsah, war das Nachtbild schon verschwunden, auch mit aller Mühe nicht mehr aufzu-
Schwachheit bekennen, lieber Larkens, und Sie mö- gen mich immerhin darüber ausſchelten, aber wer in aller Welt iſt ganz vor’m Aberglauben ſicher, ſonder- lich unter ſolchen Umſtänden? Kaum war mir vorgeſtern geſagt worden, Theobald habe ſich gefährlich krank gelegt, ſo deutete ich mein Begegniß mit der geſpenſti- gen Orgelſpielerin urplötzlich als ein Omen aus, denn mir fiel ein, was man von Trauerfällen ſagt, welche auf ähnliche Weiſe angekündigt worden. Und dieſer dummen Furcht bin ich noch heute nicht ganz los, ob- wohl ich recht gut weiß, daß die Erſcheinung keine Viſion, noch Geſpenſt oder dergleichen, ſondern ein or- dentliches Menſchenkind geweſen.“
„Aufrichtig geſprochen, mein Beſter,“ ſagte Lar- kens, „ich zweifle an dieſer Apparition ſo gar nicht im Mindeſten, daß ich Ihnen vielleicht ſelber den Schlüſſel zu dem Räthſel geben kann. Doch, ſchwei- gen Sie darüber gegen unſern Freund, verſprechen Sie mir reinen Mund zu halten.“
„Gewiß, wenn Sie’s für nöthig finden.“
„Nun denn — aber zuvor wär’ ich begierig, wie Ihr Abenteuer abgelaufen. Sie ſprachen die Perſon?“
„Mein Gott, nicht doch! denn (beinahe ſchäme ich mich, es zu bekennen) die Erſcheinung beſtürzte mich dergeſtalt, daß ich mich wohl drei- viermal im Ring herum wirbelte, und während ich nach meinem zurück- gebliebenen Begleiter umſah, war das Nachtbild ſchon verſchwunden, auch mit aller Mühe nicht mehr aufzu-
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Schwachheit bekennen, lieber Larkens, und Sie mö-
gen mich immerhin darüber ausſchelten, aber wer in
aller Welt iſt ganz vor’m Aberglauben ſicher, ſonder-
lich unter ſolchen Umſtänden? Kaum war mir vorgeſtern
geſagt worden, Theobald habe ſich gefährlich krank
gelegt, ſo deutete ich mein Begegniß mit der geſpenſti-
gen Orgelſpielerin urplötzlich als ein Omen aus, denn
mir fiel ein, was man von Trauerfällen ſagt, welche
auf ähnliche Weiſe angekündigt worden. Und dieſer
dummen Furcht bin ich noch heute nicht ganz los, ob-
wohl ich recht gut weiß, daß die Erſcheinung keine
Viſion, noch Geſpenſt oder dergleichen, ſondern ein or-
dentliches Menſchenkind geweſen.“
„Aufrichtig geſprochen, mein Beſter,“ ſagte Lar-
kens, „ich zweifle an dieſer Apparition ſo gar nicht
im Mindeſten, daß ich Ihnen vielleicht ſelber den
Schlüſſel zu dem Räthſel geben kann. Doch, ſchwei-
gen Sie darüber gegen unſern Freund, verſprechen Sie
mir reinen Mund zu halten.“
„Gewiß, wenn Sie’s für nöthig finden.“
„Nun denn — aber zuvor wär’ ich begierig, wie
Ihr Abenteuer abgelaufen. Sie ſprachen die Perſon?“
„Mein Gott, nicht doch! denn (beinahe ſchäme ich
mich, es zu bekennen) die Erſcheinung beſtürzte mich
dergeſtalt, daß ich mich wohl drei- viermal im Ring
herum wirbelte, und während ich nach meinem zurück-
gebliebenen Begleiter umſah, war das Nachtbild ſchon
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/277>, abgerufen am 16.02.2025.
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