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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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Eingang; "ich meine schon von einer neuen Resolution
hören zu müssen, daß wir armen Tropfen am Ende
noch Karren schieben werden bei Wasser und Brod?"

"Nichts! Setzen wir uns, und hören Sie. Es
war an dem Abend unserer neulichen Zusammenkunft;
ich und Ferdinand hatten Sie kaum verlassen, das
Schloß lag hinter uns, ich wollte so eben in die Prin-
zenstraße einlenken, so zeigt mir ein zufälliger Seiten-
blick in die leere Kastanienallee, wo wir vorüber muß-
ten, ein weibliches Wesen ganz ruhig an einen der
Bäume gelehnt. Das Auge der Unbekannten begeg-
nete dem meinigen. Ich kam fast von Sinnen beim
Anblick dieser Physiognomie, denn -- doch zuvor muß
ich fragen -- Sie erinnern sich wohl des tollen Ge-
mäldes von Nolten?"

"Welches?"

"Der Organistin."

"Ganz wohl."

"Und wenn ich Ihnen nun sage, diese war's,
werden Sie mir glauben?"

"Nicht, bis ich erst ausgerechnet, wie viel Bouteil-
len wir damals getrunken."

"Spassen Sie; es war heller Mondschein, ich sah
das Gesicht deutlich wie am Tage, und was meine Nüch-
ternheit betrifft --"

"Schon gut!" unterbrach ihn Larkens aufstehend
und ging einigemal nachdenklich auf und ab, indessen
Leopold fortfuhr. "Noch muß ich Ihnen gleich eine

Eingang; „ich meine ſchon von einer neuen Reſolution
hören zu müſſen, daß wir armen Tropfen am Ende
noch Karren ſchieben werden bei Waſſer und Brod?“

„Nichts! Setzen wir uns, und hören Sie. Es
war an dem Abend unſerer neulichen Zuſammenkunft;
ich und Ferdinand hatten Sie kaum verlaſſen, das
Schloß lag hinter uns, ich wollte ſo eben in die Prin-
zenſtraße einlenken, ſo zeigt mir ein zufälliger Seiten-
blick in die leere Kaſtanienallee, wo wir vorüber muß-
ten, ein weibliches Weſen ganz ruhig an einen der
Bäume gelehnt. Das Auge der Unbekannten begeg-
nete dem meinigen. Ich kam faſt von Sinnen beim
Anblick dieſer Phyſiognomie, denn — doch zuvor muß
ich fragen — Sie erinnern ſich wohl des tollen Ge-
mäldes von Nolten?“

„Welches?“

„Der Organiſtin.“

„Ganz wohl.“

„Und wenn ich Ihnen nun ſage, dieſe war’s,
werden Sie mir glauben?“

„Nicht, bis ich erſt ausgerechnet, wie viel Bouteil-
len wir damals getrunken.“

„Spaſſen Sie; es war heller Mondſchein, ich ſah
das Geſicht deutlich wie am Tage, und was meine Nüch-
ternheit betrifft —“

„Schon gut!“ unterbrach ihn Larkens aufſtehend
und ging einigemal nachdenklich auf und ab, indeſſen
Leopold fortfuhr. „Noch muß ich Ihnen gleich eine

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[268/0276] Eingang; „ich meine ſchon von einer neuen Reſolution hören zu müſſen, daß wir armen Tropfen am Ende noch Karren ſchieben werden bei Waſſer und Brod?“ „Nichts! Setzen wir uns, und hören Sie. Es war an dem Abend unſerer neulichen Zuſammenkunft; ich und Ferdinand hatten Sie kaum verlaſſen, das Schloß lag hinter uns, ich wollte ſo eben in die Prin- zenſtraße einlenken, ſo zeigt mir ein zufälliger Seiten- blick in die leere Kaſtanienallee, wo wir vorüber muß- ten, ein weibliches Weſen ganz ruhig an einen der Bäume gelehnt. Das Auge der Unbekannten begeg- nete dem meinigen. Ich kam faſt von Sinnen beim Anblick dieſer Phyſiognomie, denn — doch zuvor muß ich fragen — Sie erinnern ſich wohl des tollen Ge- mäldes von Nolten?“ „Welches?“ „Der Organiſtin.“ „Ganz wohl.“ „Und wenn ich Ihnen nun ſage, dieſe war’s, werden Sie mir glauben?“ „Nicht, bis ich erſt ausgerechnet, wie viel Bouteil- len wir damals getrunken.“ „Spaſſen Sie; es war heller Mondſchein, ich ſah das Geſicht deutlich wie am Tage, und was meine Nüch- ternheit betrifft —“ „Schon gut!“ unterbrach ihn Larkens aufſtehend und ging einigemal nachdenklich auf und ab, indeſſen Leopold fortfuhr. „Noch muß ich Ihnen gleich eine

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/276>, abgerufen am 22.07.2024.