diese lezte Freistatt rechnen konnte, und je ruhiger er nach und nach den entsetzlichen Gedanken beherrschen lernte, desto mehr gewann sein Gemüth auf der an- dern Seite an Freiheit und an Muth, die nächste Zukunft duldend abzuwarten; sein Zustand wurde mil- der, sogar heiterer.
Eine unerwartete Unterbrechung dieses brütenden Stillesitzens, so angenehm sie erschien, wollte ihn doch beinahe störend überraschen, da er die ersten Fäden einer allmähligen Verpuppung durch den Zudrang frischen Lebenshauches wieder zerrissen, und sich selbst zu neuer Hoffnung aufgemuntert sah. Denn eines Morgens, in der vierten Woche der Gefangenschaft, trat der Kommandant in's Zimmer, mit der Nachricht: es solle beiden Herren erlaubt seyn, zuweilen einen und den andern Freund bei sich zu sehen, doch Jeder nur auf seinem eigenen Zimmer und ohne daß die Gefangenen selbst zusammengeführt würden. Larkens dankte so gut er konnte, besonders verdroß ihn die lezte Bedingung; auch hatte der Offizier einem weite- ren guten Vorurtheil, das man aus dieser Vergün- stigung ziehen mochte, nicht undeutlich vorgebeugt, und überdieß vermuthete Larkens, daß man diese Gunst nur der besonderen Attention des Herzogs ge- gen Nolten zu verdanken habe.
Den ersten Abend brachten Ferdinand und Leopold bei Theobald zu, den folgenden bei dem Schauspieler, wozu sich noch ein dritter Freund an-
dieſe lezte Freiſtatt rechnen konnte, und je ruhiger er nach und nach den entſetzlichen Gedanken beherrſchen lernte, deſto mehr gewann ſein Gemüth auf der an- dern Seite an Freiheit und an Muth, die nächſte Zukunft duldend abzuwarten; ſein Zuſtand wurde mil- der, ſogar heiterer.
Eine unerwartete Unterbrechung dieſes brütenden Stilleſitzens, ſo angenehm ſie erſchien, wollte ihn doch beinahe ſtörend überraſchen, da er die erſten Fäden einer allmähligen Verpuppung durch den Zudrang friſchen Lebenshauches wieder zerriſſen, und ſich ſelbſt zu neuer Hoffnung aufgemuntert ſah. Denn eines Morgens, in der vierten Woche der Gefangenſchaft, trat der Kommandant in’s Zimmer, mit der Nachricht: es ſolle beiden Herren erlaubt ſeyn, zuweilen einen und den andern Freund bei ſich zu ſehen, doch Jeder nur auf ſeinem eigenen Zimmer und ohne daß die Gefangenen ſelbſt zuſammengeführt würden. Larkens dankte ſo gut er konnte, beſonders verdroß ihn die lezte Bedingung; auch hatte der Offizier einem weite- ren guten Vorurtheil, das man aus dieſer Vergün- ſtigung ziehen mochte, nicht undeutlich vorgebeugt, und überdieß vermuthete Larkens, daß man dieſe Gunſt nur der beſonderen Attention des Herzogs ge- gen Nolten zu verdanken habe.
Den erſten Abend brachten Ferdinand und Leopold bei Theobald zu, den folgenden bei dem Schauſpieler, wozu ſich noch ein dritter Freund an-
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dieſe lezte Freiſtatt rechnen konnte, und je ruhiger er
nach und nach den entſetzlichen Gedanken beherrſchen
lernte, deſto mehr gewann ſein Gemüth auf der an-
dern Seite an Freiheit und an Muth, die nächſte
Zukunft duldend abzuwarten; ſein Zuſtand wurde mil-
der, ſogar heiterer.
Eine unerwartete Unterbrechung dieſes brütenden
Stilleſitzens, ſo angenehm ſie erſchien, wollte ihn doch
beinahe ſtörend überraſchen, da er die erſten Fäden
einer allmähligen Verpuppung durch den Zudrang
friſchen Lebenshauches wieder zerriſſen, und ſich ſelbſt
zu neuer Hoffnung aufgemuntert ſah. Denn eines
Morgens, in der vierten Woche der Gefangenſchaft,
trat der Kommandant in’s Zimmer, mit der Nachricht:
es ſolle beiden Herren erlaubt ſeyn, zuweilen einen
und den andern Freund bei ſich zu ſehen, doch Jeder
nur auf ſeinem eigenen Zimmer und ohne daß die
Gefangenen ſelbſt zuſammengeführt würden. Larkens
dankte ſo gut er konnte, beſonders verdroß ihn die
lezte Bedingung; auch hatte der Offizier einem weite-
ren guten Vorurtheil, das man aus dieſer Vergün-
ſtigung ziehen mochte, nicht undeutlich vorgebeugt,
und überdieß vermuthete Larkens, daß man dieſe
Gunſt nur der beſonderen Attention des Herzogs ge-
gen Nolten zu verdanken habe.
Den erſten Abend brachten Ferdinand und
Leopold bei Theobald zu, den folgenden bei dem
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/270>, abgerufen am 22.11.2024.
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