bei ihm, als er seine sittliche und physische Natur längst mit den besten Hoffnungen aus dem Schiffbruch gerettet hatte. Des heiteren geistreichen Mannes be- mächtigte sich eine tiefe Hypochondrie, er glaubte sei- nen Körper zerrüttet, er glaubte die ursprüngliche Stärke seines Geistes für immer eingebüßt zu haben, obgleich er den zwiefachen Irrthum durch tägliche Proben widerlegte. Wie oft hielt er Theobalden, wenn dieser bemüht war, seine Grillen zu verjagen, mit wehmüthigem Lachen das traurige Argument ent- gegen: "Das Bischen, was noch aus mir glänzt und flimmt, ist nur ein desperates Vexir-Lichtchen, durch optischen Betrug in euren Augen vergrößert und ver- schönert, weil sich's im trüben Hexendunste meiner Katzen-Melancholieen bricht." Mit solchen Ausdrücken konnte er sich ganze Stunden gegen Theobald er- hitzen, und erst nachdem er sich gleichsam völlig zer- fezt und vernichtet hatte, gewann er einige Ruhe, eine natürliche Heiterkeit wieder, wobei er, nach dem Zeugniß Aller, die ihn umgaben, unglaublich sanft und liebenswürdig gewesen seyn soll. Außer Theobald und etwa einem andern früheren Vertrauten kannte ihn jedoch keine Seele von dieser schwermüthigen Seite, er wußte sie trefflich zu verbergen, und sein Betragen auf diesen Punkt gab selbst dem Menschenkenner nie- mals eine Blöße. Inzwischen war der gute Einfluß nicht zu mißkennen, den Noltens Umgang, sein kräf- tiger Sinn, auf jenes verdunkelte Temperament aus-
bei ihm, als er ſeine ſittliche und phyſiſche Natur längſt mit den beſten Hoffnungen aus dem Schiffbruch gerettet hatte. Des heiteren geiſtreichen Mannes be- mächtigte ſich eine tiefe Hypochondrie, er glaubte ſei- nen Körper zerrüttet, er glaubte die urſprüngliche Stärke ſeines Geiſtes für immer eingebüßt zu haben, obgleich er den zwiefachen Irrthum durch tägliche Proben widerlegte. Wie oft hielt er Theobalden, wenn dieſer bemüht war, ſeine Grillen zu verjagen, mit wehmüthigem Lachen das traurige Argument ent- gegen: „Das Bischen, was noch aus mir glänzt und flimmt, iſt nur ein deſperates Vexir-Lichtchen, durch optiſchen Betrug in euren Augen vergrößert und ver- ſchönert, weil ſich’s im trüben Hexendunſte meiner Katzen-Melancholieen bricht.“ Mit ſolchen Ausdrücken konnte er ſich ganze Stunden gegen Theobald er- hitzen, und erſt nachdem er ſich gleichſam völlig zer- fezt und vernichtet hatte, gewann er einige Ruhe, eine natürliche Heiterkeit wieder, wobei er, nach dem Zeugniß Aller, die ihn umgaben, unglaublich ſanft und liebenswürdig geweſen ſeyn ſoll. Außer Theobald und etwa einem andern früheren Vertrauten kannte ihn jedoch keine Seele von dieſer ſchwermüthigen Seite, er wußte ſie trefflich zu verbergen, und ſein Betragen auf dieſen Punkt gab ſelbſt dem Menſchenkenner nie- mals eine Blöße. Inzwiſchen war der gute Einfluß nicht zu mißkennen, den Noltens Umgang, ſein kräf- tiger Sinn, auf jenes verdunkelte Temperament aus-
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bei ihm, als er ſeine ſittliche und phyſiſche Natur
längſt mit den beſten Hoffnungen aus dem Schiffbruch
gerettet hatte. Des heiteren geiſtreichen Mannes be-
mächtigte ſich eine tiefe Hypochondrie, er glaubte ſei-
nen Körper zerrüttet, er glaubte die urſprüngliche
Stärke ſeines Geiſtes für immer eingebüßt zu haben,
obgleich er den zwiefachen Irrthum durch tägliche
Proben widerlegte. Wie oft hielt er Theobalden,
wenn dieſer bemüht war, ſeine Grillen zu verjagen,
mit wehmüthigem Lachen das traurige Argument ent-
gegen: „Das Bischen, was noch aus mir glänzt und
flimmt, iſt nur ein deſperates Vexir-Lichtchen, durch
optiſchen Betrug in euren Augen vergrößert und ver-
ſchönert, weil ſich’s im trüben Hexendunſte meiner
Katzen-Melancholieen bricht.“ Mit ſolchen Ausdrücken
konnte er ſich ganze Stunden gegen Theobald er-
hitzen, und erſt nachdem er ſich gleichſam völlig zer-
fezt und vernichtet hatte, gewann er einige Ruhe,
eine natürliche Heiterkeit wieder, wobei er, nach dem
Zeugniß Aller, die ihn umgaben, unglaublich ſanft und
liebenswürdig geweſen ſeyn ſoll. Außer Theobald
und etwa einem andern früheren Vertrauten kannte
ihn jedoch keine Seele von dieſer ſchwermüthigen Seite,
er wußte ſie trefflich zu verbergen, und ſein Betragen
auf dieſen Punkt gab ſelbſt dem Menſchenkenner nie-
mals eine Blöße. Inzwiſchen war der gute Einfluß
nicht zu mißkennen, den Noltens Umgang, ſein kräf-
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/267>, abgerufen am 22.11.2024.
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