kende Frau von solcher Ungebühr bewegt, entrüstet schien, erwachte Aerger und Verdruß in ihm, er ent- hielt sich der empfindlichsten Ausdrücke nicht, wieder- holt dankte er der Geliebten ihre Aufrichtigkeit, die er als natürliche Folge einer zärtlich aufgeschlossenen Stimmung auslegte. Ihm ahnete nicht, von wel- chem Aufruhr widersprechender Gefühle die Gräfin innerlich zerrissen war, seitdem sie das Entscheidende ausgesprochen. Wie versteinert vor sich hinstarrend, blieb sie auf Einer Stelle sitzen, war mehr als Ein- mal versucht zu Milderung, zu völliger Widerrufung des Gesagten, aber ein unbegreiflich Etwas band ihr die Zunge. Plötzlich hört man den Wagen des Gra- fen vor dem Haus anrollen, ein eiliger Kuß, ein schmeichelhaft Wort versiegelt von Seiten des Her- zogs das Geheimniß dieser Stunde.
Ehe wir noch auf die Folgen zu reden kommen, welche diese Vorgänge rasch genug nach sich gezogen, enthalten wir uns nicht, einen allgemeinen Blick auf die Gemüther zu werfen, zwischen denen sich durch die fatalste Verschränkung der Umstände, durch ein doppeltes und dreifaches Mißverständniß eine so un- geheure Kluft gebildet hatte.
Indem unser Maler sich den Aussichten eines unbegränzten Glückes überläßt, mit jedem Tage der völligen Entscheidung desselben entgegenblickt und so-
kende Frau von ſolcher Ungebühr bewegt, entrüſtet ſchien, erwachte Aerger und Verdruß in ihm, er ent- hielt ſich der empfindlichſten Ausdrücke nicht, wieder- holt dankte er der Geliebten ihre Aufrichtigkeit, die er als natürliche Folge einer zärtlich aufgeſchloſſenen Stimmung auslegte. Ihm ahnete nicht, von wel- chem Aufruhr widerſprechender Gefühle die Gräfin innerlich zerriſſen war, ſeitdem ſie das Entſcheidende ausgeſprochen. Wie verſteinert vor ſich hinſtarrend, blieb ſie auf Einer Stelle ſitzen, war mehr als Ein- mal verſucht zu Milderung, zu völliger Widerrufung des Geſagten, aber ein unbegreiflich Etwas band ihr die Zunge. Plötzlich hört man den Wagen des Gra- fen vor dem Haus anrollen, ein eiliger Kuß, ein ſchmeichelhaft Wort verſiegelt von Seiten des Her- zogs das Geheimniß dieſer Stunde.
Ehe wir noch auf die Folgen zu reden kommen, welche dieſe Vorgänge raſch genug nach ſich gezogen, enthalten wir uns nicht, einen allgemeinen Blick auf die Gemüther zu werfen, zwiſchen denen ſich durch die fatalſte Verſchränkung der Umſtände, durch ein doppeltes und dreifaches Mißverſtändniß eine ſo un- geheure Kluft gebildet hatte.
Indem unſer Maler ſich den Ausſichten eines unbegränzten Glückes überläßt, mit jedem Tage der völligen Entſcheidung deſſelben entgegenblickt und ſo-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0254"n="246"/>
kende Frau von ſolcher Ungebühr bewegt, entrüſtet<lb/>ſchien, erwachte Aerger und Verdruß in ihm, er ent-<lb/>
hielt ſich der empfindlichſten Ausdrücke nicht, wieder-<lb/>
holt dankte er der Geliebten ihre Aufrichtigkeit, die<lb/>
er als natürliche Folge einer zärtlich aufgeſchloſſenen<lb/>
Stimmung auslegte. Ihm ahnete nicht, von wel-<lb/>
chem Aufruhr widerſprechender Gefühle die Gräfin<lb/>
innerlich zerriſſen war, ſeitdem ſie das Entſcheidende<lb/>
ausgeſprochen. Wie verſteinert vor ſich hinſtarrend,<lb/>
blieb ſie auf Einer Stelle ſitzen, war mehr als Ein-<lb/>
mal verſucht zu Milderung, zu völliger Widerrufung<lb/>
des Geſagten, aber ein unbegreiflich Etwas band ihr<lb/>
die Zunge. Plötzlich hört man den Wagen des Gra-<lb/>
fen vor dem Haus anrollen, ein eiliger Kuß, ein<lb/>ſchmeichelhaft Wort verſiegelt von Seiten des Her-<lb/>
zogs das Geheimniß dieſer Stunde.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Ehe wir noch auf die Folgen zu reden kommen,<lb/>
welche dieſe Vorgänge raſch genug nach ſich gezogen,<lb/>
enthalten wir uns nicht, einen allgemeinen Blick auf<lb/>
die Gemüther zu werfen, zwiſchen denen ſich durch<lb/>
die fatalſte Verſchränkung der Umſtände, durch ein<lb/>
doppeltes und dreifaches Mißverſtändniß eine ſo un-<lb/>
geheure Kluft gebildet hatte.</p><lb/><p>Indem unſer Maler ſich den Ausſichten eines<lb/>
unbegränzten Glückes überläßt, mit jedem Tage der<lb/>
völligen Entſcheidung deſſelben entgegenblickt und ſo-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[246/0254]
kende Frau von ſolcher Ungebühr bewegt, entrüſtet
ſchien, erwachte Aerger und Verdruß in ihm, er ent-
hielt ſich der empfindlichſten Ausdrücke nicht, wieder-
holt dankte er der Geliebten ihre Aufrichtigkeit, die
er als natürliche Folge einer zärtlich aufgeſchloſſenen
Stimmung auslegte. Ihm ahnete nicht, von wel-
chem Aufruhr widerſprechender Gefühle die Gräfin
innerlich zerriſſen war, ſeitdem ſie das Entſcheidende
ausgeſprochen. Wie verſteinert vor ſich hinſtarrend,
blieb ſie auf Einer Stelle ſitzen, war mehr als Ein-
mal verſucht zu Milderung, zu völliger Widerrufung
des Geſagten, aber ein unbegreiflich Etwas band ihr
die Zunge. Plötzlich hört man den Wagen des Gra-
fen vor dem Haus anrollen, ein eiliger Kuß, ein
ſchmeichelhaft Wort verſiegelt von Seiten des Her-
zogs das Geheimniß dieſer Stunde.
Ehe wir noch auf die Folgen zu reden kommen,
welche dieſe Vorgänge raſch genug nach ſich gezogen,
enthalten wir uns nicht, einen allgemeinen Blick auf
die Gemüther zu werfen, zwiſchen denen ſich durch
die fatalſte Verſchränkung der Umſtände, durch ein
doppeltes und dreifaches Mißverſtändniß eine ſo un-
geheure Kluft gebildet hatte.
Indem unſer Maler ſich den Ausſichten eines
unbegränzten Glückes überläßt, mit jedem Tage der
völligen Entſcheidung deſſelben entgegenblickt und ſo-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/254>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.