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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.

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kende Frau von solcher Ungebühr bewegt, entrüstet
schien, erwachte Aerger und Verdruß in ihm, er ent-
hielt sich der empfindlichsten Ausdrücke nicht, wieder-
holt dankte er der Geliebten ihre Aufrichtigkeit, die
er als natürliche Folge einer zärtlich aufgeschlossenen
Stimmung auslegte. Ihm ahnete nicht, von wel-
chem Aufruhr widersprechender Gefühle die Gräfin
innerlich zerrissen war, seitdem sie das Entscheidende
ausgesprochen. Wie versteinert vor sich hinstarrend,
blieb sie auf Einer Stelle sitzen, war mehr als Ein-
mal versucht zu Milderung, zu völliger Widerrufung
des Gesagten, aber ein unbegreiflich Etwas band ihr
die Zunge. Plötzlich hört man den Wagen des Gra-
fen vor dem Haus anrollen, ein eiliger Kuß, ein
schmeichelhaft Wort versiegelt von Seiten des Her-
zogs das Geheimniß dieser Stunde.


Ehe wir noch auf die Folgen zu reden kommen,
welche diese Vorgänge rasch genug nach sich gezogen,
enthalten wir uns nicht, einen allgemeinen Blick auf
die Gemüther zu werfen, zwischen denen sich durch
die fatalste Verschränkung der Umstände, durch ein
doppeltes und dreifaches Mißverständniß eine so un-
geheure Kluft gebildet hatte.

Indem unser Maler sich den Aussichten eines
unbegränzten Glückes überläßt, mit jedem Tage der
völligen Entscheidung desselben entgegenblickt und so-

kende Frau von ſolcher Ungebühr bewegt, entrüſtet
ſchien, erwachte Aerger und Verdruß in ihm, er ent-
hielt ſich der empfindlichſten Ausdrücke nicht, wieder-
holt dankte er der Geliebten ihre Aufrichtigkeit, die
er als natürliche Folge einer zärtlich aufgeſchloſſenen
Stimmung auslegte. Ihm ahnete nicht, von wel-
chem Aufruhr widerſprechender Gefühle die Gräfin
innerlich zerriſſen war, ſeitdem ſie das Entſcheidende
ausgeſprochen. Wie verſteinert vor ſich hinſtarrend,
blieb ſie auf Einer Stelle ſitzen, war mehr als Ein-
mal verſucht zu Milderung, zu völliger Widerrufung
des Geſagten, aber ein unbegreiflich Etwas band ihr
die Zunge. Plötzlich hört man den Wagen des Gra-
fen vor dem Haus anrollen, ein eiliger Kuß, ein
ſchmeichelhaft Wort verſiegelt von Seiten des Her-
zogs das Geheimniß dieſer Stunde.


Ehe wir noch auf die Folgen zu reden kommen,
welche dieſe Vorgänge raſch genug nach ſich gezogen,
enthalten wir uns nicht, einen allgemeinen Blick auf
die Gemüther zu werfen, zwiſchen denen ſich durch
die fatalſte Verſchränkung der Umſtände, durch ein
doppeltes und dreifaches Mißverſtändniß eine ſo un-
geheure Kluft gebildet hatte.

Indem unſer Maler ſich den Ausſichten eines
unbegränzten Glückes überläßt, mit jedem Tage der
völligen Entſcheidung deſſelben entgegenblickt und ſo-

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[246/0254] kende Frau von ſolcher Ungebühr bewegt, entrüſtet ſchien, erwachte Aerger und Verdruß in ihm, er ent- hielt ſich der empfindlichſten Ausdrücke nicht, wieder- holt dankte er der Geliebten ihre Aufrichtigkeit, die er als natürliche Folge einer zärtlich aufgeſchloſſenen Stimmung auslegte. Ihm ahnete nicht, von wel- chem Aufruhr widerſprechender Gefühle die Gräfin innerlich zerriſſen war, ſeitdem ſie das Entſcheidende ausgeſprochen. Wie verſteinert vor ſich hinſtarrend, blieb ſie auf Einer Stelle ſitzen, war mehr als Ein- mal verſucht zu Milderung, zu völliger Widerrufung des Geſagten, aber ein unbegreiflich Etwas band ihr die Zunge. Plötzlich hört man den Wagen des Gra- fen vor dem Haus anrollen, ein eiliger Kuß, ein ſchmeichelhaft Wort verſiegelt von Seiten des Her- zogs das Geheimniß dieſer Stunde. Ehe wir noch auf die Folgen zu reden kommen, welche dieſe Vorgänge raſch genug nach ſich gezogen, enthalten wir uns nicht, einen allgemeinen Blick auf die Gemüther zu werfen, zwiſchen denen ſich durch die fatalſte Verſchränkung der Umſtände, durch ein doppeltes und dreifaches Mißverſtändniß eine ſo un- geheure Kluft gebildet hatte. Indem unſer Maler ſich den Ausſichten eines unbegränzten Glückes überläßt, mit jedem Tage der völligen Entſcheidung deſſelben entgegenblickt und ſo-

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Zitationshilfe: Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/254>, abgerufen am 10.06.2024.