Ihrem Freunde allenfalls zuzutrauen wäre, Sie dür- fen von ihm aus dann getrost auf die Gesinnungen des Schauspielers schließen, denn Beide sind ja Ein Sinn und Ein Gedanke. Richten Sie also. Sie waren zwar nicht Zeuge jenes Abends, aber die Do- kumente liegen in Ihren Händen, was hätt' ich dem- nach vor Ihnen voraus, das mich zu einem Urtheil geschickter machte?"
Der Herzog stand auf, machte einige Schritte und sagte dann im freundlichsten Tone: Ich that Ih- nen Unrecht, meine Liebe! vergeben Sie's. Ich sehe, wir sind Beide in einer und derselben Verlegenheit, und wären so ziemlich gleich geneigt, das Ganze zu entschuldigen, wenigstens zum Guten zu wenden. Ich finde nun erst, wie unbillig es von meinem Bruder war, mich in diesen schlimmen Fall zu setzen, wie thöricht von mir, den Auftrag anzunehmen. Zwar auch meine Ehre mußte dabei interessirt seyn, aber je leidenschaftlicher ich die Sache aufnahm, um so weniger konnt' ich hoffen, klar darin zu sehen, und meinem Unwillen hielt auf der andern Seite die Nei- gung für Nolten kaum das Gleichgewicht, da diese, in der lezten Zeit gar zu lässig von ihm gepflegt, so gut wie eingeschlafen war; um so schlimmer für Nol- tens Recht, wenn ich ohnehin Ursache hatte, ihm böse zu seyn. Bei Ihnen, Beste, spricht ein reines menschliches Gefühl zu Gunsten des übrigens so bra- ven Künstlerpaares, und ich gestehe Ihnen, auch mich
Ihrem Freunde allenfalls zuzutrauen wäre, Sie dür- fen von ihm aus dann getroſt auf die Geſinnungen des Schauſpielers ſchließen, denn Beide ſind ja Ein Sinn und Ein Gedanke. Richten Sie alſo. Sie waren zwar nicht Zeuge jenes Abends, aber die Do- kumente liegen in Ihren Händen, was hätt’ ich dem- nach vor Ihnen voraus, das mich zu einem Urtheil geſchickter machte?“
Der Herzog ſtand auf, machte einige Schritte und ſagte dann im freundlichſten Tone: Ich that Ih- nen Unrecht, meine Liebe! vergeben Sie’s. Ich ſehe, wir ſind Beide in einer und derſelben Verlegenheit, und wären ſo ziemlich gleich geneigt, das Ganze zu entſchuldigen, wenigſtens zum Guten zu wenden. Ich finde nun erſt, wie unbillig es von meinem Bruder war, mich in dieſen ſchlimmen Fall zu ſetzen, wie thöricht von mir, den Auftrag anzunehmen. Zwar auch meine Ehre mußte dabei intereſſirt ſeyn, aber je leidenſchaftlicher ich die Sache aufnahm, um ſo weniger konnt’ ich hoffen, klar darin zu ſehen, und meinem Unwillen hielt auf der andern Seite die Nei- gung für Nolten kaum das Gleichgewicht, da dieſe, in der lezten Zeit gar zu läſſig von ihm gepflegt, ſo gut wie eingeſchlafen war; um ſo ſchlimmer für Nol- tens Recht, wenn ich ohnehin Urſache hatte, ihm böſe zu ſeyn. Bei Ihnen, Beſte, ſpricht ein reines menſchliches Gefühl zu Gunſten des übrigens ſo bra- ven Künſtlerpaares, und ich geſtehe Ihnen, auch mich
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Ihrem Freunde allenfalls zuzutrauen wäre, Sie dür-
fen von ihm aus dann getroſt auf die Geſinnungen
des Schauſpielers ſchließen, denn Beide ſind ja Ein
Sinn und Ein Gedanke. Richten Sie alſo. Sie
waren zwar nicht Zeuge jenes Abends, aber die Do-
kumente liegen in Ihren Händen, was hätt’ ich dem-
nach vor Ihnen voraus, das mich zu einem Urtheil
geſchickter machte?“
Der Herzog ſtand auf, machte einige Schritte
und ſagte dann im freundlichſten Tone: Ich that Ih-
nen Unrecht, meine Liebe! vergeben Sie’s. Ich ſehe,
wir ſind Beide in einer und derſelben Verlegenheit,
und wären ſo ziemlich gleich geneigt, das Ganze zu
entſchuldigen, wenigſtens zum Guten zu wenden. Ich
finde nun erſt, wie unbillig es von meinem Bruder
war, mich in dieſen ſchlimmen Fall zu ſetzen, wie
thöricht von mir, den Auftrag anzunehmen. Zwar
auch meine Ehre mußte dabei intereſſirt ſeyn, aber
je leidenſchaftlicher ich die Sache aufnahm, um ſo
weniger konnt’ ich hoffen, klar darin zu ſehen, und
meinem Unwillen hielt auf der andern Seite die Nei-
gung für Nolten kaum das Gleichgewicht, da dieſe,
in der lezten Zeit gar zu läſſig von ihm gepflegt, ſo
gut wie eingeſchlafen war; um ſo ſchlimmer für Nol-
tens Recht, wenn ich ohnehin Urſache hatte, ihm
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/246>, abgerufen am 22.02.2025.
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