fige Ausmittelung der Sache ihm anbefohlen, daß er das Manuscript und was dazu gehöre, bereits in Be- schlag genommen, daß er aber nach wiederholtem Le- sen und genauer Prüfung alles Einzelnen noch nicht ganz habe mit sich einig werden können. Er sey zu- lezt auf den Einfall gerathen, Alles von der Entschei- dung einer "eben so scharfsinnigen, als unbefangenen Dame" abhängen zu lassen, und er werde dießfalls auf seiner Bitte beharren, ihrem Ausspruch werde er unbedingt vertrauen. "Freilich," sezte er mit einem pikanten Accente hinzu, "freilich, wenn meine getroste Voraussetzung von der gänzlichen Unbefangenheit mei- ner geliebten Freundin mich denn doch etwas trügte, wenn ihr Einer oder der Andere von den Beklagten mehr als billig am Herzen läge, dann, meine Gnädige, wäre es wirklich höchst undelikat, trotz Ihrer Weigerung einen gerechten Spruch aus Ihrem Munde zu ver- langen."
Gelassen schaute die Gräfin ihn an und erwiderte: "Beide Männer waren mir sehr viel werth; Sie selbst haben diesen Nolten begünstigt, und schon um Ih- retwillen, Adolph, sollte es mir leid seyn, wenn Ihnen ein Freund unschuldig gekränkt würde. Was aber jenen Fehler, ich sagte füglich, jenes Verbrechen, betrifft, das man diesen Leuten Schuld gibt, so will ich keineswegs der Gerechtigkeit im Wege stehen, nur sie zu befördern bin ich außer Stande. Sie selbst können, dünkt mich, doch wohl am besten wissen, was
fige Ausmittelung der Sache ihm anbefohlen, daß er das Manuſcript und was dazu gehöre, bereits in Be- ſchlag genommen, daß er aber nach wiederholtem Le- ſen und genauer Prüfung alles Einzelnen noch nicht ganz habe mit ſich einig werden können. Er ſey zu- lezt auf den Einfall gerathen, Alles von der Entſchei- dung einer „eben ſo ſcharfſinnigen, als unbefangenen Dame“ abhängen zu laſſen, und er werde dießfalls auf ſeiner Bitte beharren, ihrem Ausſpruch werde er unbedingt vertrauen. „Freilich,“ ſezte er mit einem pikanten Accente hinzu, „freilich, wenn meine getroſte Vorausſetzung von der gänzlichen Unbefangenheit mei- ner geliebten Freundin mich denn doch etwas trügte, wenn ihr Einer oder der Andere von den Beklagten mehr als billig am Herzen läge, dann, meine Gnädige, wäre es wirklich höchſt undelikat, trotz Ihrer Weigerung einen gerechten Spruch aus Ihrem Munde zu ver- langen.“
Gelaſſen ſchaute die Gräfin ihn an und erwiderte: „Beide Männer waren mir ſehr viel werth; Sie ſelbſt haben dieſen Nolten begünſtigt, und ſchon um Ih- retwillen, Adolph, ſollte es mir leid ſeyn, wenn Ihnen ein Freund unſchuldig gekränkt würde. Was aber jenen Fehler, ich ſagte füglich, jenes Verbrechen, betrifft, das man dieſen Leuten Schuld gibt, ſo will ich keineswegs der Gerechtigkeit im Wege ſtehen, nur ſie zu befördern bin ich außer Stande. Sie ſelbſt können, dünkt mich, doch wohl am beſten wiſſen, was
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fige Ausmittelung der Sache ihm anbefohlen, daß er
das Manuſcript und was dazu gehöre, bereits in Be-
ſchlag genommen, daß er aber nach wiederholtem Le-
ſen und genauer Prüfung alles Einzelnen noch nicht
ganz habe mit ſich einig werden können. Er ſey zu-
lezt auf den Einfall gerathen, Alles von der Entſchei-
dung einer „eben ſo ſcharfſinnigen, als unbefangenen
Dame“ abhängen zu laſſen, und er werde dießfalls
auf ſeiner Bitte beharren, ihrem Ausſpruch werde
er unbedingt vertrauen. „Freilich,“ ſezte er mit einem
pikanten Accente hinzu, „freilich, wenn meine getroſte
Vorausſetzung von der gänzlichen Unbefangenheit mei-
ner geliebten Freundin mich denn doch etwas trügte,
wenn ihr Einer oder der Andere von den Beklagten
mehr als billig am Herzen läge, dann, meine Gnädige,
wäre es wirklich höchſt undelikat, trotz Ihrer Weigerung
einen gerechten Spruch aus Ihrem Munde zu ver-
langen.“
Gelaſſen ſchaute die Gräfin ihn an und erwiderte:
„Beide Männer waren mir ſehr viel werth; Sie ſelbſt
haben dieſen Nolten begünſtigt, und ſchon um Ih-
retwillen, Adolph, ſollte es mir leid ſeyn, wenn
Ihnen ein Freund unſchuldig gekränkt würde. Was
aber jenen Fehler, ich ſagte füglich, jenes Verbrechen,
betrifft, das man dieſen Leuten Schuld gibt, ſo will
ich keineswegs der Gerechtigkeit im Wege ſtehen, nur
ſie zu befördern bin ich außer Stande. Sie ſelbſt
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/245>, abgerufen am 23.02.2025.
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