Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832.
aber mit zweien Kähnen darauf zugefahren, war es eine felsige Stadt von fremder und großer Bauart. Knabe. Eine Stadt, Vater? Suntrard. Wie fragst du, Kind? Eben diese, in der du wohnest. -- Deß erschracken sie nicht wenig, vermei- nend, man käme übel an; lagen auch die ganze Nacht, wo es in Einem fort regnete, vor den Mauern ruhig, denn sie getrauten sich nicht. Nun es aber gegen Morgen dämmerte, kam sie beinahe noch ein ärger Grauen an; es kräheten keine Hähne, kein Wagen ließ sich hören, kein Bäcker schlug den Laden auf, es stieg kein Rauch aus dem Schornstein. Es brauchte dazumal Jemand das Gleichniß, der Himmel habe über der Stadt gelegen, wie eine graue Augbraun über einem erstarrten und todten Auge. Endlich traten sie Alle durch die Wölbung der offenen Thore; man ver- nahm keinen Sterbenslaut als den des eigenen Fußtritts und den Regen, der von den Dächern niederstrollte, obgleich nunmehr die Sonne schon hell und goldig in den Straßen lag. Nichts regte sich auch im Innern der Häuser. Knabe. Nicht einmal Mäuse? Suntrard. Nun, Mäuse wohl vielleicht, mein Kind. (Er küßt den Knaben.)
aber mit zweien Kähnen darauf zugefahren, war es eine felſige Stadt von fremder und großer Bauart. Knabe. Eine Stadt, Vater? Suntrard. Wie fragſt du, Kind? Eben dieſe, in der du wohneſt. — Deß erſchracken ſie nicht wenig, vermei- nend, man käme übel an; lagen auch die ganze Nacht, wo es in Einem fort regnete, vor den Mauern ruhig, denn ſie getrauten ſich nicht. Nun es aber gegen Morgen dämmerte, kam ſie beinahe noch ein ärger Grauen an; es kräheten keine Hähne, kein Wagen ließ ſich hören, kein Bäcker ſchlug den Laden auf, es ſtieg kein Rauch aus dem Schornſtein. Es brauchte dazumal Jemand das Gleichniß, der Himmel habe über der Stadt gelegen, wie eine graue Augbraun über einem erſtarrten und todten Auge. Endlich traten ſie Alle durch die Wölbung der offenen Thore; man ver- nahm keinen Sterbenslaut als den des eigenen Fußtritts und den Regen, der von den Dächern niederſtrollte, obgleich nunmehr die Sonne ſchon hell und goldig in den Straßen lag. Nichts regte ſich auch im Innern der Häuſer. Knabe. Nicht einmal Mäuſe? Suntrard. Nun, Mäuſe wohl vielleicht, mein Kind. (Er küßt den Knaben.) <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#sun"> <p><pb facs="#f0158" n="150"/> aber mit zweien Kähnen darauf zugefahren, war es<lb/> eine felſige Stadt von fremder und großer Bauart.</p> </sp><lb/> <sp who="#kab"> <speaker><hi rendition="#g">Knabe</hi>.</speaker><lb/> <p>Eine Stadt, Vater?</p> </sp><lb/> <sp who="#sun"> <speaker><hi rendition="#g">Suntrard</hi>.</speaker><lb/> <p>Wie fragſt du, Kind? Eben dieſe, in der du<lb/> wohneſt. — Deß erſchracken ſie nicht wenig, vermei-<lb/> nend, man käme übel an; lagen auch die ganze Nacht,<lb/> wo es in Einem fort regnete, vor den Mauern ruhig,<lb/> denn ſie getrauten ſich nicht. Nun es aber gegen<lb/> Morgen dämmerte, kam ſie beinahe noch ein ärger<lb/> Grauen an; es kräheten keine Hähne, kein Wagen<lb/> ließ ſich hören, kein Bäcker ſchlug den Laden auf, es<lb/> ſtieg kein Rauch aus dem Schornſtein. Es brauchte<lb/> dazumal Jemand das Gleichniß, der Himmel habe über<lb/> der Stadt gelegen, wie eine graue Augbraun über<lb/> einem erſtarrten und todten Auge. Endlich traten ſie<lb/> Alle durch die Wölbung der offenen Thore; man ver-<lb/> nahm keinen Sterbenslaut als den des eigenen Fußtritts<lb/> und den Regen, der von den Dächern niederſtrollte,<lb/> obgleich nunmehr die Sonne ſchon hell und goldig in<lb/> den Straßen lag. Nichts regte ſich auch im Innern<lb/> der Häuſer.</p> </sp><lb/> <sp who="#kab"> <speaker><hi rendition="#g">Knabe</hi>.</speaker><lb/> <p>Nicht einmal Mäuſe?</p> </sp><lb/> <sp who="#sun"> <speaker><hi rendition="#g">Suntrard</hi>.</speaker><lb/> <p>Nun, Mäuſe wohl vielleicht, mein Kind.</p><lb/> <stage>(Er küßt den Knaben.)</stage> </sp><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [150/0158]
aber mit zweien Kähnen darauf zugefahren, war es
eine felſige Stadt von fremder und großer Bauart.
Knabe.
Eine Stadt, Vater?
Suntrard.
Wie fragſt du, Kind? Eben dieſe, in der du
wohneſt. — Deß erſchracken ſie nicht wenig, vermei-
nend, man käme übel an; lagen auch die ganze Nacht,
wo es in Einem fort regnete, vor den Mauern ruhig,
denn ſie getrauten ſich nicht. Nun es aber gegen
Morgen dämmerte, kam ſie beinahe noch ein ärger
Grauen an; es kräheten keine Hähne, kein Wagen
ließ ſich hören, kein Bäcker ſchlug den Laden auf, es
ſtieg kein Rauch aus dem Schornſtein. Es brauchte
dazumal Jemand das Gleichniß, der Himmel habe über
der Stadt gelegen, wie eine graue Augbraun über
einem erſtarrten und todten Auge. Endlich traten ſie
Alle durch die Wölbung der offenen Thore; man ver-
nahm keinen Sterbenslaut als den des eigenen Fußtritts
und den Regen, der von den Dächern niederſtrollte,
obgleich nunmehr die Sonne ſchon hell und goldig in
den Straßen lag. Nichts regte ſich auch im Innern
der Häuſer.
Knabe.
Nicht einmal Mäuſe?
Suntrard.
Nun, Mäuſe wohl vielleicht, mein Kind.
(Er küßt den Knaben.)
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |