Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832. Suntrard. Ja wohl. Als unsere Väter, vom Meersturm verschlagen, vor sechszig Jahren zufälliger Weise an dem Ufer dieser Insel, was das Einhorn heißt, an- langten, und tiefer landeinwärts dringend sich rings umschauten, da trafen sie nur eine leere steinerne Stadt an; das Volk und das Menschengeschlecht, welches diese Wohnungen und Keller für sich gebauet, ist wohl schon bald tausend Jahr' ausgestorben, durch ein be- sonderes Gerichte der Götter, meint man, denn weder Hungersnoth noch allzuschwere Krankheit entsteht auf dieser Insel. Löwener. Tausend Jahr, sagst du, Suntrard? Gedenk' ich so an diese alten Einwohner, so wird mir's, mein Seel, nicht anders, als wie wenn man das Klingen kriegt im linken Ohr. Suntrard. Mein Vater erzählt, wie er, ein Knabe damals noch, mit wenigen Leuten, fünf und siebenzig an der Zahl, auf einem zerbrochenen Schiffe angelangt, und wie er sich mit den Genossen verwunderte über eine solche Schönheit von Gebirgen, Thälern, Flüssen und Wachsthum, wie sie darauf fünf, sechs Tage herum- gezogen, bis von ferne sich auf einem blanken, spiegel- klaren See etwas Dunkeles gezeigt, welches etwan ausgesehen, wie ein steinernes Wundergewächs, oder auch wie die Krone der grauen Zackenblume. Als sie Suntrard. Ja wohl. Als unſere Väter, vom Meerſturm verſchlagen, vor ſechszig Jahren zufälliger Weiſe an dem Ufer dieſer Inſel, was das Einhorn heißt, an- langten, und tiefer landeinwärts dringend ſich rings umſchauten, da trafen ſie nur eine leere ſteinerne Stadt an; das Volk und das Menſchengeſchlecht, welches dieſe Wohnungen und Keller für ſich gebauet, iſt wohl ſchon bald tauſend Jahr’ ausgeſtorben, durch ein be- ſonderes Gerichte der Götter, meint man, denn weder Hungersnoth noch allzuſchwere Krankheit entſteht auf dieſer Inſel. Löwener. Tauſend Jahr, ſagſt du, Suntrard? Gedenk’ ich ſo an dieſe alten Einwohner, ſo wird mir’s, mein Seel, nicht anders, als wie wenn man das Klingen kriegt im linken Ohr. Suntrard. Mein Vater erzählt, wie er, ein Knabe damals noch, mit wenigen Leuten, fünf und ſiebenzig an der Zahl, auf einem zerbrochenen Schiffe angelangt, und wie er ſich mit den Genoſſen verwunderte über eine ſolche Schönheit von Gebirgen, Thälern, Flüſſen und Wachsthum, wie ſie darauf fünf, ſechs Tage herum- gezogen, bis von ferne ſich auf einem blanken, ſpiegel- klaren See etwas Dunkeles gezeigt, welches etwan ausgeſehen, wie ein ſteinernes Wundergewächs, oder auch wie die Krone der grauen Zackenblume. Als ſie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0157" n="149"/> <sp who="#sun"> <speaker><hi rendition="#g">Suntrard</hi>.</speaker><lb/> <p>Ja wohl. Als unſere Väter, vom Meerſturm<lb/> verſchlagen, vor ſechszig Jahren zufälliger Weiſe an<lb/> dem Ufer dieſer Inſel, was das Einhorn heißt, an-<lb/> langten, und tiefer landeinwärts dringend ſich rings<lb/> umſchauten, da trafen ſie nur eine leere ſteinerne Stadt<lb/> an; das Volk und das Menſchengeſchlecht, welches<lb/> dieſe Wohnungen und Keller für ſich gebauet, iſt wohl<lb/> ſchon bald tauſend Jahr’ ausgeſtorben, durch ein be-<lb/> ſonderes Gerichte der Götter, meint man, denn weder<lb/> Hungersnoth noch allzuſchwere Krankheit entſteht auf<lb/> dieſer Inſel.</p> </sp><lb/> <sp who="#loe"> <speaker><hi rendition="#g">Löwener</hi>.</speaker><lb/> <p>Tauſend Jahr, ſagſt du, Suntrard? Gedenk’ ich<lb/> ſo an dieſe alten Einwohner, ſo wird mir’s, mein<lb/> Seel, nicht anders, als wie wenn man das Klingen<lb/> kriegt im linken Ohr.</p> </sp><lb/> <sp who="#sun"> <speaker><hi rendition="#g">Suntrard</hi>.</speaker><lb/> <p>Mein Vater erzählt, wie er, ein Knabe damals<lb/> noch, mit wenigen Leuten, fünf und ſiebenzig an der<lb/> Zahl, auf einem zerbrochenen Schiffe angelangt, und<lb/> wie er ſich mit den Genoſſen verwunderte über eine<lb/> ſolche Schönheit von Gebirgen, Thälern, Flüſſen und<lb/> Wachsthum, wie ſie darauf fünf, ſechs Tage herum-<lb/> gezogen, bis von ferne ſich auf einem blanken, ſpiegel-<lb/> klaren See etwas Dunkeles gezeigt, welches etwan<lb/> ausgeſehen, wie ein ſteinernes Wundergewächs, oder<lb/> auch wie die Krone der grauen Zackenblume. Als ſie<lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [149/0157]
Suntrard.
Ja wohl. Als unſere Väter, vom Meerſturm
verſchlagen, vor ſechszig Jahren zufälliger Weiſe an
dem Ufer dieſer Inſel, was das Einhorn heißt, an-
langten, und tiefer landeinwärts dringend ſich rings
umſchauten, da trafen ſie nur eine leere ſteinerne Stadt
an; das Volk und das Menſchengeſchlecht, welches
dieſe Wohnungen und Keller für ſich gebauet, iſt wohl
ſchon bald tauſend Jahr’ ausgeſtorben, durch ein be-
ſonderes Gerichte der Götter, meint man, denn weder
Hungersnoth noch allzuſchwere Krankheit entſteht auf
dieſer Inſel.
Löwener.
Tauſend Jahr, ſagſt du, Suntrard? Gedenk’ ich
ſo an dieſe alten Einwohner, ſo wird mir’s, mein
Seel, nicht anders, als wie wenn man das Klingen
kriegt im linken Ohr.
Suntrard.
Mein Vater erzählt, wie er, ein Knabe damals
noch, mit wenigen Leuten, fünf und ſiebenzig an der
Zahl, auf einem zerbrochenen Schiffe angelangt, und
wie er ſich mit den Genoſſen verwunderte über eine
ſolche Schönheit von Gebirgen, Thälern, Flüſſen und
Wachsthum, wie ſie darauf fünf, ſechs Tage herum-
gezogen, bis von ferne ſich auf einem blanken, ſpiegel-
klaren See etwas Dunkeles gezeigt, welches etwan
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