nicht genügen? Das wäre mir doch kaum gedenk- bar."
"Sprechen Sie's geradezu aus, gnädige Frau: Es wäre unbillig. Wohl, es ist wahr, ich könnte glücklich seyn, aber ich weiß nicht eigentlich zu sagen, warum ich es nicht bin. Ich wäre undankbar, wollte ich nicht gerne bekennen, daß während meines ganzen Lebens sich alle Umstände vereinigten, mich endlich bis zu dem Punkte zu führen, auf dem ich jezt stehe, in eine Lage, die mancher andere und würdigere Mann vergebens suchte. Ein günstiges Schicksal, so grillenhaft und mißwollend es mitunter scheinen mochte, trug nur dazu bei, ein Talent in mir zu fördern, in dessen freier Ausübung ich von jeher das einzige Ziel meiner Wünsche erblickt hatte. Manche Arbeit ist mir gelungen, ich habe, wenn ich meinen Freunden glauben darf, den höheren For- derungen der Kunst einiges Genüge gethan, und, was mir fast eben so lieb seyn sollte, man hat von der Zu- kunft größere Erwartungen, ohne daß mir vor ihrer Erfüllung bange wäre. Ein unendliches Feld dehnt sich vor mir aus, und wenn ich sonst an der Möglich- keit verzweifelte, die Welt, welche sich in mir drängte, jemals in heiterer Gestaltung an das Licht hervorzuführen, so seh' ich, daß sie jezt, sobald ich recht will, von selber leicht und zwanglos unter meinem Pinsel sich befreit. Aber wie kommt es, daß eben jezt mein Fleiß und meine Lust nachläßt? Warum so manche Arbeit ange- fangen, ohne sie zu vollenden? Woher die Ungeduld,
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nicht genügen? Das wäre mir doch kaum gedenk- bar.“
„Sprechen Sie’s geradezu aus, gnädige Frau: Es wäre unbillig. Wohl, es iſt wahr, ich könnte glücklich ſeyn, aber ich weiß nicht eigentlich zu ſagen, warum ich es nicht bin. Ich wäre undankbar, wollte ich nicht gerne bekennen, daß während meines ganzen Lebens ſich alle Umſtände vereinigten, mich endlich bis zu dem Punkte zu führen, auf dem ich jezt ſtehe, in eine Lage, die mancher andere und würdigere Mann vergebens ſuchte. Ein günſtiges Schickſal, ſo grillenhaft und mißwollend es mitunter ſcheinen mochte, trug nur dazu bei, ein Talent in mir zu fördern, in deſſen freier Ausübung ich von jeher das einzige Ziel meiner Wünſche erblickt hatte. Manche Arbeit iſt mir gelungen, ich habe, wenn ich meinen Freunden glauben darf, den höheren For- derungen der Kunſt einiges Genüge gethan, und, was mir faſt eben ſo lieb ſeyn ſollte, man hat von der Zu- kunft größere Erwartungen, ohne daß mir vor ihrer Erfüllung bange wäre. Ein unendliches Feld dehnt ſich vor mir aus, und wenn ich ſonſt an der Möglich- keit verzweifelte, die Welt, welche ſich in mir drängte, jemals in heiterer Geſtaltung an das Licht hervorzuführen, ſo ſeh’ ich, daß ſie jezt, ſobald ich recht will, von ſelber leicht und zwanglos unter meinem Pinſel ſich befreit. Aber wie kommt es, daß eben jezt mein Fleiß und meine Luſt nachläßt? Warum ſo manche Arbeit ange- fangen, ohne ſie zu vollenden? Woher die Ungeduld,
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nicht genügen? Das wäre mir doch kaum gedenk-
bar.“
„Sprechen Sie’s geradezu aus, gnädige Frau: Es
wäre unbillig. Wohl, es iſt wahr, ich könnte glücklich
ſeyn, aber ich weiß nicht eigentlich zu ſagen, warum ich
es nicht bin. Ich wäre undankbar, wollte ich nicht gerne
bekennen, daß während meines ganzen Lebens ſich alle
Umſtände vereinigten, mich endlich bis zu dem Punkte
zu führen, auf dem ich jezt ſtehe, in eine Lage, die
mancher andere und würdigere Mann vergebens ſuchte.
Ein günſtiges Schickſal, ſo grillenhaft und mißwollend
es mitunter ſcheinen mochte, trug nur dazu bei, ein
Talent in mir zu fördern, in deſſen freier Ausübung
ich von jeher das einzige Ziel meiner Wünſche erblickt
hatte. Manche Arbeit iſt mir gelungen, ich habe, wenn
ich meinen Freunden glauben darf, den höheren For-
derungen der Kunſt einiges Genüge gethan, und, was
mir faſt eben ſo lieb ſeyn ſollte, man hat von der Zu-
kunft größere Erwartungen, ohne daß mir vor ihrer
Erfüllung bange wäre. Ein unendliches Feld dehnt
ſich vor mir aus, und wenn ich ſonſt an der Möglich-
keit verzweifelte, die Welt, welche ſich in mir drängte,
jemals in heiterer Geſtaltung an das Licht hervorzuführen,
ſo ſeh’ ich, daß ſie jezt, ſobald ich recht will, von ſelber
leicht und zwanglos unter meinem Pinſel ſich befreit.
Aber wie kommt es, daß eben jezt mein Fleiß und
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/121>, abgerufen am 30.11.2024.
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