genes und fröhliches Willkommen Statt fand. Nie war ihm die Gräfin so reizend, so anmuthig vorgekommen, sie trug ein mild graues Kleid mit rothen Schnüren, Gürtel und Schleifen, deren Faltung und Farbe ihm flüchtig die Granatblüthe wieder in das Gedächtniß rief; an die zarte Wange, von der frischen Luft mit einem leisen Karmin überhaucht, legte sich ein weißer Pelz, und der zurückgeschlagene Schleier ließ dem Be- schauer den Anblick des holdesten Gesichtes frei. Man kehrte für's Erste zu den neuen Sehenswürdigkeiten und ihrem tollen Meister zurück, an dessen Art und Weise der Graf sich dergestalt erbaute, daß die Schwe- ster, sich mit einiger Ungeduld nach Anderem umsehend, den Vorschlag Noltens, in den mannichfaltigen Sälen hin und wieder zu wandeln, nicht ungerne annahm. Gar bald ging ihre Unterhaltung auf eigene Verhält- nisse und Persönlichkeiten über, denn Noltens lei- denschaftlich beengte und zurückhaltende Stimmung gab Constanzen Anlaß, einen leichten Vorwurf gegen ihn auszusprechen, den er sogleich ergriff und in's Allge- meine über sich ausdehnte.
"Sie haben Recht!" sagte er, "und nicht heute, nicht in gewissen Augenblicken bloß bemächtigt sich mei- ner dieser lästige, mir selbst verhaßte Mißmuth; es ist keine Laune, die nur kommt und geht, es ist ein stetes unruhiges Gefühl, daß es anders mit mir seyn sollte und könnte, als es ist."
"Wie meinen Sie das? Sollte Ihnen Ihre Lage
genes und fröhliches Willkommen Statt fand. Nie war ihm die Gräfin ſo reizend, ſo anmuthig vorgekommen, ſie trug ein mild graues Kleid mit rothen Schnüren, Gürtel und Schleifen, deren Faltung und Farbe ihm flüchtig die Granatblüthe wieder in das Gedächtniß rief; an die zarte Wange, von der friſchen Luft mit einem leiſen Karmin überhaucht, legte ſich ein weißer Pelz, und der zurückgeſchlagene Schleier ließ dem Be- ſchauer den Anblick des holdeſten Geſichtes frei. Man kehrte für’s Erſte zu den neuen Sehenswürdigkeiten und ihrem tollen Meiſter zurück, an deſſen Art und Weiſe der Graf ſich dergeſtalt erbaute, daß die Schwe- ſter, ſich mit einiger Ungeduld nach Anderem umſehend, den Vorſchlag Noltens, in den mannichfaltigen Sälen hin und wieder zu wandeln, nicht ungerne annahm. Gar bald ging ihre Unterhaltung auf eigene Verhält- niſſe und Perſönlichkeiten über, denn Noltens lei- denſchaftlich beengte und zurückhaltende Stimmung gab Conſtanzen Anlaß, einen leichten Vorwurf gegen ihn auszuſprechen, den er ſogleich ergriff und in’s Allge- meine über ſich ausdehnte.
„Sie haben Recht!“ ſagte er, „und nicht heute, nicht in gewiſſen Augenblicken bloß bemächtigt ſich mei- ner dieſer läſtige, mir ſelbſt verhaßte Mißmuth; es iſt keine Laune, die nur kommt und geht, es iſt ein ſtetes unruhiges Gefühl, daß es anders mit mir ſeyn ſollte und könnte, als es iſt.“
„Wie meinen Sie das? Sollte Ihnen Ihre Lage
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genes und fröhliches Willkommen Statt fand. Nie war
ihm die Gräfin ſo reizend, ſo anmuthig vorgekommen,
ſie trug ein mild graues Kleid mit rothen Schnüren,
Gürtel und Schleifen, deren Faltung und Farbe ihm
flüchtig die Granatblüthe wieder in das Gedächtniß
rief; an die zarte Wange, von der friſchen Luft mit
einem leiſen Karmin überhaucht, legte ſich ein weißer
Pelz, und der zurückgeſchlagene Schleier ließ dem Be-
ſchauer den Anblick des holdeſten Geſichtes frei. Man
kehrte für’s Erſte zu den neuen Sehenswürdigkeiten
und ihrem tollen Meiſter zurück, an deſſen Art und
Weiſe der Graf ſich dergeſtalt erbaute, daß die Schwe-
ſter, ſich mit einiger Ungeduld nach Anderem umſehend,
den Vorſchlag Noltens, in den mannichfaltigen Sälen
hin und wieder zu wandeln, nicht ungerne annahm.
Gar bald ging ihre Unterhaltung auf eigene Verhält-
niſſe und Perſönlichkeiten über, denn Noltens lei-
denſchaftlich beengte und zurückhaltende Stimmung gab
Conſtanzen Anlaß, einen leichten Vorwurf gegen ihn
auszuſprechen, den er ſogleich ergriff und in’s Allge-
meine über ſich ausdehnte.
„Sie haben Recht!“ ſagte er, „und nicht heute,
nicht in gewiſſen Augenblicken bloß bemächtigt ſich mei-
ner dieſer läſtige, mir ſelbſt verhaßte Mißmuth; es iſt
keine Laune, die nur kommt und geht, es iſt ein ſtetes
unruhiges Gefühl, daß es anders mit mir ſeyn ſollte
und könnte, als es iſt.“
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Mörike, Eduard: Maler Nolten. Bd. 1. Stuttgart, 1832, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moerike_nolten01_1832/120>, abgerufen am 30.11.2024.
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