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Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737.

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am Tage: Wenn man derer meisten Wandel ohn-
partheyisch ohne Vorurtheil ansiehet; und muß
sich über unverständiger Leute Urtheil verwundern;
wenn sie solchen äusserlichen Ceremonien eine ab-
solute
Macht oder Krafft selig zu machen beylegen
will, welches sich in der That und Wahrheit an
ihnen nicht befindet. Denn selig seyn ist Friede
mit GOtt und sich selbst; ja mit allen Menschen
haben, so viel an uns ist.
Nicander. Wo ich meine Meinung hievon eröff-
nen dörffte, wolte ich ein Gleichniß von denen Ta-
schenspielern nehmen, welche mit ihrem hocus pocus
denen Leuten die Augen zu verblenden suchen: aber
unser Herr Alamodanus würde sich über mich är-
gern und erzürnen: daß ich seine Heiligthümer nicht
besser respectirte. Allein er beliebe dabey zu erwe-
gen: daß das, was er als ein besonders Heilig-
thum ansiehet, bey mir eine gantz indifferente Sa-
che sey; als der ich mich nach meiner Freyheit zu
keiner andern, als einer der Vernunfft gemässen
Religion bekenne. Solte mich Herr Modestin oder
ein anderer convinciren: daß die Christliche die
wahrhafftigste und beste sey, werde ich mich dersel-
bigen gemäs zu betragen trachten.
Modestin. Mein werther Herr Nicander! Jch
als ein schwacher Mensch masse mir solches Ver-
mögen ihn zu bekehren oder zu verändern nicht an;
GOtt muß es durch sein Gnaden-Licht selbst in ihm
würcken; doch zweiffele ich nicht, daß wo er GOtt
nur aufrichtig und inständig anruffen wird, ohne
Vorurtheil das neue Testament lesende, und gegen
alle


am Tage: Wenn man derer meiſten Wandel ohn-
partheyiſch ohne Vorurtheil anſiehet; und muß
ſich uͤber unverſtaͤndiger Leute Urtheil verwundern;
wenn ſie ſolchen aͤuſſerlichen Ceremonien eine ab-
ſolute
Macht oder Krafft ſelig zu machen beylegen
will, welches ſich in der That und Wahrheit an
ihnen nicht befindet. Denn ſelig ſeyn iſt Friede
mit GOtt und ſich ſelbſt; ja mit allen Menſchen
haben, ſo viel an uns iſt.
Nicander. Wo ich meine Meinung hievon eroͤff-
nen doͤrffte, wolte ich ein Gleichniß von denen Ta-
ſchenſpielern nehmen, welche mit ihrem hocus pocus
denen Leuten die Augen zu verblenden ſuchen: aber
unſer Herr Alamodanus wuͤrde ſich uͤber mich aͤr-
gern und erzuͤrnen: daß ich ſeine Heiligthuͤmer nicht
beſſer reſpectirte. Allein er beliebe dabey zu erwe-
gen: daß das, was er als ein beſonders Heilig-
thum anſiehet, bey mir eine gantz indifferente Sa-
che ſey; als der ich mich nach meiner Freyheit zu
keiner andern, als einer der Vernunfft gemaͤſſen
Religion bekenne. Solte mich Herr Modeſtin oder
ein anderer convinciren: daß die Chriſtliche die
wahrhafftigſte und beſte ſey, werde ich mich derſel-
bigen gemaͤs zu betragen trachten.
Modeſtin. Mein werther Herr Nicander! Jch
als ein ſchwacher Menſch maſſe mir ſolches Ver-
moͤgen ihn zu bekehren oder zu veraͤndern nicht an;
GOtt muß es durch ſein Gnaden-Licht ſelbſt in ihm
wuͤrcken; doch zweiffele ich nicht, daß wo er GOtt
nur aufrichtig und inſtaͤndig anruffen wird, ohne
Vorurtheil das neue Teſtament leſende, und gegen
alle
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[61/0067] am Tage: Wenn man derer meiſten Wandel ohn- partheyiſch ohne Vorurtheil anſiehet; und muß ſich uͤber unverſtaͤndiger Leute Urtheil verwundern; wenn ſie ſolchen aͤuſſerlichen Ceremonien eine ab- ſolute Macht oder Krafft ſelig zu machen beylegen will, welches ſich in der That und Wahrheit an ihnen nicht befindet. Denn ſelig ſeyn iſt Friede mit GOtt und ſich ſelbſt; ja mit allen Menſchen haben, ſo viel an uns iſt. Nicander. Wo ich meine Meinung hievon eroͤff- nen doͤrffte, wolte ich ein Gleichniß von denen Ta- ſchenſpielern nehmen, welche mit ihrem hocus pocus denen Leuten die Augen zu verblenden ſuchen: aber unſer Herr Alamodanus wuͤrde ſich uͤber mich aͤr- gern und erzuͤrnen: daß ich ſeine Heiligthuͤmer nicht beſſer reſpectirte. Allein er beliebe dabey zu erwe- gen: daß das, was er als ein beſonders Heilig- thum anſiehet, bey mir eine gantz indifferente Sa- che ſey; als der ich mich nach meiner Freyheit zu keiner andern, als einer der Vernunfft gemaͤſſen Religion bekenne. Solte mich Herr Modeſtin oder ein anderer convinciren: daß die Chriſtliche die wahrhafftigſte und beſte ſey, werde ich mich derſel- bigen gemaͤs zu betragen trachten. Modeſtin. Mein werther Herr Nicander! Jch als ein ſchwacher Menſch maſſe mir ſolches Ver- moͤgen ihn zu bekehren oder zu veraͤndern nicht an; GOtt muß es durch ſein Gnaden-Licht ſelbſt in ihm wuͤrcken; doch zweiffele ich nicht, daß wo er GOtt nur aufrichtig und inſtaͤndig anruffen wird, ohne Vorurtheil das neue Teſtament leſende, und gegen alle

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Zitationshilfe: Modestinus, Theophilus: Freymüthige Doch Bescheidene Unterredungen Von Kirchen- Religions- Politischen- und Natur-Sachen. Frankfurt (Main) u. a., 1737. , S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/modestinus_unterredungen_1737/67>, abgerufen am 24.11.2024.