Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

Bild:
<< vorherige Seite
Das verlohrne Paradies.
215
Adam, wir mögen auch noch so sehr in unseres Gartens
Bau beschäfftiget seyn; wir mögen der Pflanzen und Blumen
Auf das steißigste warten, der süßen, vom Schöpfer befohlnen
Arbeit; indeß, bis mehrere Hände zu helfen nicht da sind,
Wächst selbst unter der Arbeit das Werk, und wird vom Beschneiden
220Nur noch geiler; das, was wir des Tags von schossenden Zweigen

Brechen, schneiden, bebinden, und unterstützen, das sehn wir
Durch den üppigen Wuchs in wenigen Nächten vereitelt,
Und noch wilder geworden, als sonst. Gieb du denn hierüber
Deinen Rath; sonst höre von mir die ersten Gedanken,
225Welche mein Sinn mir gesagt. Laß uns die Arbeit vertheilen.

Geh du dahin, wo Neigung und Wahl am stärksten dich hinzieht,
Und es dir am nöthigsten scheint; das duftende Geisblatt
Leite du hier herum um den Stamm; dort zeige dem Ephen
Seinen schlängelnden Weg, wo er die Ulme hinaufwärts
230Fortkriecht; da ich indeß in jenem Frühling von Rosen,

Lieblich mit Myrthen vermischt, genug, bis der Mittag herannaht,
Zu verbessern finde. Denn wenn wir so nahe beysammen
Täglich die Arbeit uns wählen, was Wunder, wenn wir uns einander
Durch so manchen lächelnden Blick verführen, und oftmals
235Unvermuthet ein Gegenstand uns zu Gesprächen verleitet,

Welche die Arbeit verhindern, so daß wir sie manchmal nicht merken,
Wenn wir auch noch so früh sie begonnen; uns endlich, noch ehe
Wir es erwerben, die Stunde des Abendmahles uns rufet.
Adam
Das verlohrne Paradies.
215
Adam, wir moͤgen auch noch ſo ſehr in unſeres Gartens
Bau beſchaͤfftiget ſeyn; wir moͤgen der Pflanzen und Blumen
Auf das ſteißigſte warten, der ſuͤßen, vom Schoͤpfer befohlnen
Arbeit; indeß, bis mehrere Haͤnde zu helfen nicht da ſind,
Waͤchſt ſelbſt unter der Arbeit das Werk, und wird vom Beſchneiden
220Nur noch geiler; das, was wir des Tags von ſchoſſenden Zweigen

Brechen, ſchneiden, bebinden, und unterſtuͤtzen, das ſehn wir
Durch den uͤppigen Wuchs in wenigen Naͤchten vereitelt,
Und noch wilder geworden, als ſonſt. Gieb du denn hieruͤber
Deinen Rath; ſonſt hoͤre von mir die erſten Gedanken,
225Welche mein Sinn mir geſagt. Laß uns die Arbeit vertheilen.

Geh du dahin, wo Neigung und Wahl am ſtaͤrkſten dich hinzieht,
Und es dir am noͤthigſten ſcheint; das duftende Geisblatt
Leite du hier herum um den Stamm; dort zeige dem Ephen
Seinen ſchlaͤngelnden Weg, wo er die Ulme hinaufwaͤrts
230Fortkriecht; da ich indeß in jenem Fruͤhling von Roſen,

Lieblich mit Myrthen vermiſcht, genug, bis der Mittag herannaht,
Zu verbeſſern finde. Denn wenn wir ſo nahe beyſammen
Taͤglich die Arbeit uns waͤhlen, was Wunder, wenn wir uns einander
Durch ſo manchen laͤchelnden Blick verfuͤhren, und oftmals
235Unvermuthet ein Gegenſtand uns zu Geſpraͤchen verleitet,

Welche die Arbeit verhindern, ſo daß wir ſie manchmal nicht merken,
Wenn wir auch noch ſo fruͤh ſie begonnen; uns endlich, noch ehe
Wir es erwerben, die Stunde des Abendmahles uns rufet.
Adam
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0096" n="76"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi> </fw><lb/>
          <note place="left">215</note>
          <lg n="5">
            <l><hi rendition="#fr">Adam,</hi> wir mo&#x0364;gen auch noch &#x017F;o &#x017F;ehr in un&#x017F;eres Gartens</l><lb/>
            <l>Bau be&#x017F;cha&#x0364;fftiget &#x017F;eyn; wir mo&#x0364;gen der Pflanzen und Blumen</l><lb/>
            <l>Auf das &#x017F;teißig&#x017F;te warten, der &#x017F;u&#x0364;ßen, vom Scho&#x0364;pfer befohlnen</l><lb/>
            <l>Arbeit; indeß, bis mehrere Ha&#x0364;nde zu helfen nicht da &#x017F;ind,</l><lb/>
            <l>Wa&#x0364;ch&#x017F;t &#x017F;elb&#x017F;t unter der Arbeit das Werk, und wird vom Be&#x017F;chneiden<lb/><note place="left">220</note>Nur noch geiler; das, was wir des Tags von &#x017F;cho&#x017F;&#x017F;enden Zweigen</l><lb/>
            <l>Brechen, &#x017F;chneiden, bebinden, und unter&#x017F;tu&#x0364;tzen, das &#x017F;ehn wir</l><lb/>
            <l>Durch den u&#x0364;ppigen Wuchs in wenigen Na&#x0364;chten vereitelt,</l><lb/>
            <l>Und noch wilder geworden, als &#x017F;on&#x017F;t. Gieb du denn hieru&#x0364;ber</l><lb/>
            <l>Deinen Rath; &#x017F;on&#x017F;t ho&#x0364;re von mir die er&#x017F;ten Gedanken,<lb/><note place="left">225</note>Welche mein Sinn mir ge&#x017F;agt. Laß uns die Arbeit vertheilen.</l><lb/>
            <l>Geh du dahin, wo Neigung und Wahl am &#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;ten dich hinzieht,</l><lb/>
            <l>Und es dir am no&#x0364;thig&#x017F;ten &#x017F;cheint; das duftende Geisblatt</l><lb/>
            <l>Leite du hier herum um den Stamm; dort zeige dem Ephen</l><lb/>
            <l>Seinen &#x017F;chla&#x0364;ngelnden Weg, wo er die Ulme hinaufwa&#x0364;rts<lb/><note place="left">230</note>Fortkriecht; da ich indeß in jenem Fru&#x0364;hling von Ro&#x017F;en,</l><lb/>
            <l>Lieblich mit Myrthen vermi&#x017F;cht, genug, bis der Mittag herannaht,</l><lb/>
            <l>Zu verbe&#x017F;&#x017F;ern finde. Denn wenn wir &#x017F;o nahe bey&#x017F;ammen</l><lb/>
            <l>Ta&#x0364;glich die Arbeit uns wa&#x0364;hlen, was Wunder, wenn wir uns einander</l><lb/>
            <l>Durch &#x017F;o manchen la&#x0364;chelnden Blick verfu&#x0364;hren, und oftmals<lb/><note place="left">235</note>Unvermuthet ein Gegen&#x017F;tand uns zu Ge&#x017F;pra&#x0364;chen verleitet,</l><lb/>
            <l>Welche die Arbeit verhindern, &#x017F;o daß wir &#x017F;ie manchmal nicht merken,</l><lb/>
            <l>Wenn wir auch noch &#x017F;o fru&#x0364;h &#x017F;ie begonnen; uns endlich, noch ehe</l><lb/>
            <l>Wir es erwerben, die Stunde des Abendmahles uns rufet.</l>
          </lg><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Adam</hi> </fw><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[76/0096] Das verlohrne Paradies. Adam, wir moͤgen auch noch ſo ſehr in unſeres Gartens Bau beſchaͤfftiget ſeyn; wir moͤgen der Pflanzen und Blumen Auf das ſteißigſte warten, der ſuͤßen, vom Schoͤpfer befohlnen Arbeit; indeß, bis mehrere Haͤnde zu helfen nicht da ſind, Waͤchſt ſelbſt unter der Arbeit das Werk, und wird vom Beſchneiden Nur noch geiler; das, was wir des Tags von ſchoſſenden Zweigen Brechen, ſchneiden, bebinden, und unterſtuͤtzen, das ſehn wir Durch den uͤppigen Wuchs in wenigen Naͤchten vereitelt, Und noch wilder geworden, als ſonſt. Gieb du denn hieruͤber Deinen Rath; ſonſt hoͤre von mir die erſten Gedanken, Welche mein Sinn mir geſagt. Laß uns die Arbeit vertheilen. Geh du dahin, wo Neigung und Wahl am ſtaͤrkſten dich hinzieht, Und es dir am noͤthigſten ſcheint; das duftende Geisblatt Leite du hier herum um den Stamm; dort zeige dem Ephen Seinen ſchlaͤngelnden Weg, wo er die Ulme hinaufwaͤrts Fortkriecht; da ich indeß in jenem Fruͤhling von Roſen, Lieblich mit Myrthen vermiſcht, genug, bis der Mittag herannaht, Zu verbeſſern finde. Denn wenn wir ſo nahe beyſammen Taͤglich die Arbeit uns waͤhlen, was Wunder, wenn wir uns einander Durch ſo manchen laͤchelnden Blick verfuͤhren, und oftmals Unvermuthet ein Gegenſtand uns zu Geſpraͤchen verleitet, Welche die Arbeit verhindern, ſo daß wir ſie manchmal nicht merken, Wenn wir auch noch ſo fruͤh ſie begonnen; uns endlich, noch ehe Wir es erwerben, die Stunde des Abendmahles uns rufet. Adam

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/96
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/96>, abgerufen am 04.05.2024.