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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

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Neunter Gesang.

Und er fand, daß die Schlange des Feldes listigstes Thier sey.
90Lange stritt er mit sich; nach vielen verschiednen Gedanken,

That er zuletzt den Ausspruch bey sich, sie sey das bequemste,
Tauglichste Thier, das beste Gefäß des Betruges, worein er
Fahren, und vor dem schärfsten Gesicht die schwarze Verführung
Sicher verbergen könne; denn nimmer würden der Schlange
95Listen verdächtig seyn; man würde glauben, es wären

Spiele verschlagner Erfindung nach ihrem natürlichen Witze;
Da sonst, wenn man die List an andern Thieren bemerket,
Leichter Zweifel entstünden, ob nicht durch teuflische Wirkung
Etwas hervorgebracht sey, daß über vernunftloser Thiere
100Schranken so weit zu reichen schien. Dieß also beschloß er,

Doch zuvor ergießt er sein Herz, das in ihm für Kummer
Und für Wehmuth beynahe zersprang, in folgende Klagen.

O wie bist du dem Himmel sogleich, o Erde! Wofern du
Jhm vielmehr nicht vorzuziehn bist; ein Wohnplatz, für Götter
105Würdiger! da man ihn auch nach anderm Grundriß gebaut hat,

Und das Alte darinnen verbeßert. Denn sollte der Schöpfer
Etwas schlechteres schaffen, nachdem er das Beßre gemacht hat?
Jrdischer Himmel! umtanzt von andern Himmeln, die leuchten;
Aber die hellen dienstbaren Lampen für dich nur entzünden;
110Licht auf Licht für dich nur allein, (so scheint es,) versammeln,

Und die theuren Stralen von heiligem Einfluß in dir nur,
Als im Mittelpunkte, vereinen. Wie Gott in dem Himmel
Als der Mittelpunkt alles beseelt, auf alles sich ausdehnt;
So

Neunter Geſang.

Und er fand, daß die Schlange des Feldes liſtigſtes Thier ſey.
90Lange ſtritt er mit ſich; nach vielen verſchiednen Gedanken,

That er zuletzt den Ausſpruch bey ſich, ſie ſey das bequemſte,
Tauglichſte Thier, das beſte Gefaͤß des Betruges, worein er
Fahren, und vor dem ſchaͤrfſten Geſicht die ſchwarze Verfuͤhrung
Sicher verbergen koͤnne; denn nimmer wuͤrden der Schlange
95Liſten verdaͤchtig ſeyn; man wuͤrde glauben, es waͤren

Spiele verſchlagner Erfindung nach ihrem natuͤrlichen Witze;
Da ſonſt, wenn man die Liſt an andern Thieren bemerket,
Leichter Zweifel entſtuͤnden, ob nicht durch teufliſche Wirkung
Etwas hervorgebracht ſey, daß uͤber vernunftloſer Thiere
100Schranken ſo weit zu reichen ſchien. Dieß alſo beſchloß er,

Doch zuvor ergießt er ſein Herz, das in ihm fuͤr Kummer
Und fuͤr Wehmuth beynahe zerſprang, in folgende Klagen.

O wie biſt du dem Himmel ſogleich, o Erde! Wofern du
Jhm vielmehr nicht vorzuziehn biſt; ein Wohnplatz, fuͤr Goͤtter
105Wuͤrdiger! da man ihn auch nach anderm Grundriß gebaut hat,

Und das Alte darinnen verbeßert. Denn ſollte der Schoͤpfer
Etwas ſchlechteres ſchaffen, nachdem er das Beßre gemacht hat?
Jrdiſcher Himmel! umtanzt von andern Himmeln, die leuchten;
Aber die hellen dienſtbaren Lampen fuͤr dich nur entzuͤnden;
110Licht auf Licht fuͤr dich nur allein, (ſo ſcheint es,) verſammeln,

Und die theuren Stralen von heiligem Einfluß in dir nur,
Als im Mittelpunkte, vereinen. Wie Gott in dem Himmel
Als der Mittelpunkt alles beſeelt, auf alles ſich ausdehnt;
So
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[71/0091] Neunter Geſang. Und er fand, daß die Schlange des Feldes liſtigſtes Thier ſey. Lange ſtritt er mit ſich; nach vielen verſchiednen Gedanken, That er zuletzt den Ausſpruch bey ſich, ſie ſey das bequemſte, Tauglichſte Thier, das beſte Gefaͤß des Betruges, worein er Fahren, und vor dem ſchaͤrfſten Geſicht die ſchwarze Verfuͤhrung Sicher verbergen koͤnne; denn nimmer wuͤrden der Schlange Liſten verdaͤchtig ſeyn; man wuͤrde glauben, es waͤren Spiele verſchlagner Erfindung nach ihrem natuͤrlichen Witze; Da ſonſt, wenn man die Liſt an andern Thieren bemerket, Leichter Zweifel entſtuͤnden, ob nicht durch teufliſche Wirkung Etwas hervorgebracht ſey, daß uͤber vernunftloſer Thiere Schranken ſo weit zu reichen ſchien. Dieß alſo beſchloß er, Doch zuvor ergießt er ſein Herz, das in ihm fuͤr Kummer Und fuͤr Wehmuth beynahe zerſprang, in folgende Klagen. O wie biſt du dem Himmel ſogleich, o Erde! Wofern du Jhm vielmehr nicht vorzuziehn biſt; ein Wohnplatz, fuͤr Goͤtter Wuͤrdiger! da man ihn auch nach anderm Grundriß gebaut hat, Und das Alte darinnen verbeßert. Denn ſollte der Schoͤpfer Etwas ſchlechteres ſchaffen, nachdem er das Beßre gemacht hat? Jrdiſcher Himmel! umtanzt von andern Himmeln, die leuchten; Aber die hellen dienſtbaren Lampen fuͤr dich nur entzuͤnden; Licht auf Licht fuͤr dich nur allein, (ſo ſcheint es,) verſammeln, Und die theuren Stralen von heiligem Einfluß in dir nur, Als im Mittelpunkte, vereinen. Wie Gott in dem Himmel Als der Mittelpunkt alles beſeelt, auf alles ſich ausdehnt; So

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/91>, abgerufen am 29.11.2024.