Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.
Wahre
Wahre
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="22"> <l> <pb facs="#f0078" n="60"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi> </fw> </l><lb/> <l>Wie du ſelber begreifft, ſolche einen Vorzug ertheileſt.</l><lb/> <l>Was bewunderſt du ſo? und was entzuͤckt dich ſo ſehr donn?<lb/><note place="left">570</note>Dieſes Außere? ſchoͤn in der That, und deiner Bewundrung,</l><lb/> <l>Deiner Wahl, und Liebe, wohl werth; jedoch nicht auch deiner</l><lb/> <l>Unterwerfung; waͤge mit ihr dich ſelber; dann ſchaͤtze</l><lb/> <l>Beyde; nichts nuͤtzet oft mehr, als daß man ſelber ſich hochſchaͤtzt,</l><lb/> <l>Wenn die Achtung ſich nur auf innere Billigkeit gruͤndet;<lb/><note place="left">575</note>Und nicht ihre Schranken verkennt: jemehr die Erfahrung</l><lb/> <l>Dich hierinnen geuͤbt, je mehr wird ſie in der Folge</l><lb/> <l>Dich fuͤr ihr Oberhaupt halten, und deinem wirklichen Vorzug</l><lb/> <l>All’ ihr Aeußeres opfern. Sie ward mit Schoͤnheit geſchmuͤcket,</l><lb/> <l>Um dein Auge zu reizen; ſie ward mit Hoheit begabet,<lb/><note place="left">580</note>Daß du faͤhig ſeyſt, deine Gehuͤlfinn mit Achtung zu lieben,</l><lb/> <l>Die es wohl wahrnimmt, wenn du der Weisheit weniger folgeſt.</l><lb/> <l>Aber wofern das Gefuͤhl, wodurch das Menſchengeſchlechte</l><lb/> <l>Fortgepflanzt wird, ſo ſehr dich entzuͤckt — vor allen Vergnuͤgen</l><lb/> <l>Dich entzuͤckt; ſo bedenke zugleich, daß dieſes Ergoͤtzen<lb/><note place="left">585</note>Auch den bloͤckenden Heerden und jedem Thiere verliehn iſt.</l><lb/> <l>Und doch waͤr es gewiß nicht ſo erniedriget worden,</l><lb/> <l>Nicht ſo gemein gemacht, waͤr etw<supplied>as</supplied> in dieſem Genuſſe,</l><lb/> <l>Welches verdiente, die Seele des Menſchen zu uͤberwaͤltgen,</l><lb/> <l>Oder Affekten voll Sturw in ihm zu erregen. Das hoͤhre,<lb/><note place="left">590</note>Was du in ihrem Umgang entdeckſt; was edel und menſchlich,</l><lb/> <l>Reizend, vernuͤ<supplied>n</supplied>ftig, gewinnend iſt, das liebe beſtaͤndig,</l><lb/> <l>Denn zu lieben iſt gut, doch nicht, mit Leidenſchaft lieben.<lb/> <fw place="bottom" type="catch">Wahre</fw><lb/></l> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [60/0078]
Das verlohrne Paradies.
Wie du ſelber begreifft, ſolche einen Vorzug ertheileſt.
Was bewunderſt du ſo? und was entzuͤckt dich ſo ſehr donn?
Dieſes Außere? ſchoͤn in der That, und deiner Bewundrung,
Deiner Wahl, und Liebe, wohl werth; jedoch nicht auch deiner
Unterwerfung; waͤge mit ihr dich ſelber; dann ſchaͤtze
Beyde; nichts nuͤtzet oft mehr, als daß man ſelber ſich hochſchaͤtzt,
Wenn die Achtung ſich nur auf innere Billigkeit gruͤndet;
Und nicht ihre Schranken verkennt: jemehr die Erfahrung
Dich hierinnen geuͤbt, je mehr wird ſie in der Folge
Dich fuͤr ihr Oberhaupt halten, und deinem wirklichen Vorzug
All’ ihr Aeußeres opfern. Sie ward mit Schoͤnheit geſchmuͤcket,
Um dein Auge zu reizen; ſie ward mit Hoheit begabet,
Daß du faͤhig ſeyſt, deine Gehuͤlfinn mit Achtung zu lieben,
Die es wohl wahrnimmt, wenn du der Weisheit weniger folgeſt.
Aber wofern das Gefuͤhl, wodurch das Menſchengeſchlechte
Fortgepflanzt wird, ſo ſehr dich entzuͤckt — vor allen Vergnuͤgen
Dich entzuͤckt; ſo bedenke zugleich, daß dieſes Ergoͤtzen
Auch den bloͤckenden Heerden und jedem Thiere verliehn iſt.
Und doch waͤr es gewiß nicht ſo erniedriget worden,
Nicht ſo gemein gemacht, waͤr etwas in dieſem Genuſſe,
Welches verdiente, die Seele des Menſchen zu uͤberwaͤltgen,
Oder Affekten voll Sturw in ihm zu erregen. Das hoͤhre,
Was du in ihrem Umgang entdeckſt; was edel und menſchlich,
Reizend, vernuͤnftig, gewinnend iſt, das liebe beſtaͤndig,
Denn zu lieben iſt gut, doch nicht, mit Leidenſchaft lieben.
Wahre
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