Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

Bild:
<< vorherige Seite
Achter Gesang.
500
Also hörte sie mich in meinen Entzückungen reden.
Aber obgleich der Schöpfer sie selbst mir unsichtbar brachte,
Wirkten Unschuld und Sittsamkeit doch, und der Adel der Tugend,
Und das Bewußtseyn des inneren Werths, wodurch sie sogleich nicht
Sich gewinnen zu lassen beschloß, noch selber sich anboth,
505Sondern bescheiden zurückhielt, um desto mehr noch zu reizen:

Oder um alles zu sagen, die unbefleckte Natur selbst
Wirkte so mächtig in ihr, daß sie, so wie sie mich sahe,
Schamhaft sich wegwandt'; ich folgt' ihr nach; sie kannte die Ehre,
Und ließ sich mit folgsamer Hoheit die Gründe gefallen,
510Die ich ihr vortrug. Jch leitete sie, indem sie erröthet [Spaltenumbruch] p),

Gleich dem Antlitz des Morgens, zur Hochzeitlaube. Der Himmel,
Alle Gestirne schütteten itzt den glücklichsten Einfluß
Auf die seligste Stunde herab; die Erde, die Hügel,
Gaben günstige Zeichen; es sangen fröhlich die Vögel;
515Und frischwehende Winde, mit sanften lieblichen Lüften,

Lispelten Freude den Wäldern zu, und schüttelten Rosen
Von den Fittichen; wehten Weyhrauch und süße Gerüche
Von dem balsamischen Busch; bis daß der zärtlich verliebte
Vogel der Nacht das Brautlied erhub, und über den Hügel
Schneller
p) Man hat wohl nicht nöthig, die
Leser auf diese ganze entzückende Schilde-
rey aufmerksam zu machen, die voll der
höchsten poetischen Schönheiten ist. Wie
[Spaltenumbruch] angemessen bleibt indeß diese Liebe der pa-
radiesischen Unschuld, und wie keusch und
rein ist Milton in seinem Ausdruck. Z.
II. Th. H
Achter Geſang.
500
Alſo hoͤrte ſie mich in meinen Entzuͤckungen reden.
Aber obgleich der Schoͤpfer ſie ſelbſt mir unſichtbar brachte,
Wirkten Unſchuld und Sittſamkeit doch, und der Adel der Tugend,
Und das Bewußtſeyn des inneren Werths, wodurch ſie ſogleich nicht
Sich gewinnen zu laſſen beſchloß, noch ſelber ſich anboth,
505Sondern beſcheiden zuruͤckhielt, um deſto mehr noch zu reizen:

Oder um alles zu ſagen, die unbefleckte Natur ſelbſt
Wirkte ſo maͤchtig in ihr, daß ſie, ſo wie ſie mich ſahe,
Schamhaft ſich wegwandt’; ich folgt’ ihr nach; ſie kannte die Ehre,
Und ließ ſich mit folgſamer Hoheit die Gruͤnde gefallen,
510Die ich ihr vortrug. Jch leitete ſie, indem ſie erroͤthet [Spaltenumbruch] p),

Gleich dem Antlitz des Morgens, zur Hochzeitlaube. Der Himmel,
Alle Geſtirne ſchuͤtteten itzt den gluͤcklichſten Einfluß
Auf die ſeligſte Stunde herab; die Erde, die Huͤgel,
Gaben guͤnſtige Zeichen; es ſangen froͤhlich die Voͤgel;
515Und friſchwehende Winde, mit ſanften lieblichen Luͤften,

Liſpelten Freude den Waͤldern zu, und ſchuͤttelten Roſen
Von den Fittichen; wehten Weyhrauch und ſuͤße Geruͤche
Von dem balſamiſchen Buſch; bis daß der zaͤrtlich verliebte
Vogel der Nacht das Brautlied erhub, und uͤber den Huͤgel
Schneller
p) Man hat wohl nicht noͤthig, die
Leſer auf dieſe ganze entzuͤckende Schilde-
rey aufmerkſam zu machen, die voll der
hoͤchſten poetiſchen Schoͤnheiten iſt. Wie
[Spaltenumbruch] angemeſſen bleibt indeß dieſe Liebe der pa-
radieſiſchen Unſchuld, und wie keuſch und
rein iſt Milton in ſeinem Ausdruck. Z.
II. Th. H
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0075" n="57"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Achter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw><lb/>
          <note place="left">500</note>
          <lg n="20">
            <l>Al&#x017F;o ho&#x0364;rte &#x017F;ie mich in meinen Entzu&#x0364;ckungen reden.</l><lb/>
            <l>Aber obgleich der Scho&#x0364;pfer &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t mir un&#x017F;ichtbar brachte,</l><lb/>
            <l>Wirkten Un&#x017F;chuld und Sitt&#x017F;amkeit doch, und der Adel der Tugend,</l><lb/>
            <l>Und das Bewußt&#x017F;eyn des inneren Werths, wodurch &#x017F;ie &#x017F;ogleich nicht</l><lb/>
            <l>Sich gewinnen zu la&#x017F;&#x017F;en be&#x017F;chloß, noch &#x017F;elber &#x017F;ich anboth,<lb/><note place="left">505</note>Sondern be&#x017F;cheiden zuru&#x0364;ckhielt, um de&#x017F;to mehr noch zu reizen:</l><lb/>
            <l>Oder um alles zu &#x017F;agen, die unbefleckte Natur &#x017F;elb&#x017F;t</l><lb/>
            <l>Wirkte &#x017F;o ma&#x0364;chtig in ihr, daß &#x017F;ie, &#x017F;o wie &#x017F;ie mich &#x017F;ahe,</l><lb/>
            <l>Schamhaft &#x017F;ich wegwandt&#x2019;; ich folgt&#x2019; ihr nach; &#x017F;ie kannte die Ehre,</l><lb/>
            <l>Und ließ &#x017F;ich mit folg&#x017F;amer Hoheit die Gru&#x0364;nde gefallen,<lb/><note place="left">510</note>Die ich ihr vortrug. Jch leitete &#x017F;ie, indem &#x017F;ie erro&#x0364;thet <cb/>
<note place="foot" n="p)">Man hat wohl nicht no&#x0364;thig, die<lb/>
Le&#x017F;er auf die&#x017F;e ganze entzu&#x0364;ckende Schilde-<lb/>
rey aufmerk&#x017F;am zu machen, die voll der<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;ten poeti&#x017F;chen Scho&#x0364;nheiten i&#x017F;t. Wie<lb/><cb/>
angeme&#x017F;&#x017F;en bleibt indeß die&#x017F;e Liebe der pa-<lb/>
radie&#x017F;i&#x017F;chen Un&#x017F;chuld, und wie keu&#x017F;ch und<lb/>
rein i&#x017F;t Milton in &#x017F;einem Ausdruck. <hi rendition="#fr">Z.</hi></note>,</l><lb/>
            <l>Gleich dem Antlitz des Morgens, zur Hochzeitlaube. Der Himmel,</l><lb/>
            <l>Alle Ge&#x017F;tirne &#x017F;chu&#x0364;tteten itzt den glu&#x0364;cklich&#x017F;ten Einfluß</l><lb/>
            <l>Auf die &#x017F;elig&#x017F;te Stunde herab; die Erde, die Hu&#x0364;gel,</l><lb/>
            <l>Gaben gu&#x0364;n&#x017F;tige Zeichen; es &#x017F;angen fro&#x0364;hlich die Vo&#x0364;gel;<lb/><note place="left">515</note>Und fri&#x017F;chwehende Winde, mit &#x017F;anften lieblichen Lu&#x0364;ften,</l><lb/>
            <l>Li&#x017F;pelten Freude den Wa&#x0364;ldern zu, und &#x017F;chu&#x0364;ttelten Ro&#x017F;en</l><lb/>
            <l>Von den Fittichen; wehten Weyhrauch und &#x017F;u&#x0364;ße Geru&#x0364;che</l><lb/>
            <l>Von dem bal&#x017F;ami&#x017F;chen Bu&#x017F;ch; bis daß der za&#x0364;rtlich verliebte</l><lb/>
            <l>Vogel der Nacht das Brautlied erhub, und u&#x0364;ber den Hu&#x0364;gel<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Schneller</fw><lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">II.</hi><hi rendition="#fr">Th.</hi> H</fw><lb/></l>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0075] Achter Geſang. Alſo hoͤrte ſie mich in meinen Entzuͤckungen reden. Aber obgleich der Schoͤpfer ſie ſelbſt mir unſichtbar brachte, Wirkten Unſchuld und Sittſamkeit doch, und der Adel der Tugend, Und das Bewußtſeyn des inneren Werths, wodurch ſie ſogleich nicht Sich gewinnen zu laſſen beſchloß, noch ſelber ſich anboth, Sondern beſcheiden zuruͤckhielt, um deſto mehr noch zu reizen: Oder um alles zu ſagen, die unbefleckte Natur ſelbſt Wirkte ſo maͤchtig in ihr, daß ſie, ſo wie ſie mich ſahe, Schamhaft ſich wegwandt’; ich folgt’ ihr nach; ſie kannte die Ehre, Und ließ ſich mit folgſamer Hoheit die Gruͤnde gefallen, Die ich ihr vortrug. Jch leitete ſie, indem ſie erroͤthet p), Gleich dem Antlitz des Morgens, zur Hochzeitlaube. Der Himmel, Alle Geſtirne ſchuͤtteten itzt den gluͤcklichſten Einfluß Auf die ſeligſte Stunde herab; die Erde, die Huͤgel, Gaben guͤnſtige Zeichen; es ſangen froͤhlich die Voͤgel; Und friſchwehende Winde, mit ſanften lieblichen Luͤften, Liſpelten Freude den Waͤldern zu, und ſchuͤttelten Roſen Von den Fittichen; wehten Weyhrauch und ſuͤße Geruͤche Von dem balſamiſchen Buſch; bis daß der zaͤrtlich verliebte Vogel der Nacht das Brautlied erhub, und uͤber den Huͤgel Schneller p) Man hat wohl nicht noͤthig, die Leſer auf dieſe ganze entzuͤckende Schilde- rey aufmerkſam zu machen, die voll der hoͤchſten poetiſchen Schoͤnheiten iſt. Wie angemeſſen bleibt indeß dieſe Liebe der pa- radieſiſchen Unſchuld, und wie keuſch und rein iſt Milton in ſeinem Ausdruck. Z. II. Th. H

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/75
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/75>, abgerufen am 05.12.2024.