Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

Bild:
<< vorherige Seite

Achter Gesang.

Was hab' Jch denn also zu meinem Umgang, als meine
Von mir selbst gemachten Geschöpfe, die so viel geringer,
Und unendliche Grade viel tiefer unter mir stehen,
Als die andern Geschöpfe noch unter Dir sind, o Adam?.

415
Als der Allmächtge hier schwieg, gab ich mit Demuth zur Antwort:
Oberstes aller Dinge! die Höh und die Tiefe von deinen
Ewigen Wegen zu messen, sind alle Menschengedanken
Viel zu geringe; denn Du, du bist in dir selber vollkommen,
Und in dir wird kein Mangel bemerkt; nicht so mit dem Menschen,
420Welcher umschränkt ist, und, indem so vieles ihm mangelt,

Ein Verlangen hat, in der Gesellschaft von dem, was ihm gleich ist,
Sich zu helfen, und das, was ihm fehlt, dadurch zu ersetzen.
Fortzupflanzen brauchst du dich nicht; du bist schon unendlich,
Bist schon durch alle Zahlen vollkommen [Spaltenumbruch] m), obgleich du nur Eins bist;
425Aber der Mensch giebt schon durch die Zahl zu erkennen, wie sehr er

Unvollkommen noch ist; er zeuget Gleiches von Gleichen,
Und vermehrt durch sich selbst sein Ebenbild, das in der Einheit
Jmmer mangelhaft bleibt; er hat drum helfende Liebe,
Und die theureste Freundschaft vonnöthen. Und ob du allein gleich,
430Jn dir selber am besten mit deinem Umgang zufrieden,

Keiner Gesellschaft bedarfst; so kannst du doch deine Geschöpfe
Wenn dirs gefällt, zu dem und jenem Gipfel der Hoheit
Und Gemeinschaft, mit dir nach mancherley Graden erheben,
Und
m) Ein lateinischer Ausdruck, omni-
bus numeris absolutus, quod expletum
[Spaltenumbruch] est omnibus suis numeris et partibus.

N.
G 3

Achter Geſang.

Was hab’ Jch denn alſo zu meinem Umgang, als meine
Von mir ſelbſt gemachten Geſchoͤpfe, die ſo viel geringer,
Und unendliche Grade viel tiefer unter mir ſtehen,
Als die andern Geſchoͤpfe noch unter Dir ſind, o Adam?.

415
Als der Allmaͤchtge hier ſchwieg, gab ich mit Demuth zur Antwort:
Oberſtes aller Dinge! die Hoͤh und die Tiefe von deinen
Ewigen Wegen zu meſſen, ſind alle Menſchengedanken
Viel zu geringe; denn Du, du biſt in dir ſelber vollkommen,
Und in dir wird kein Mangel bemerkt; nicht ſo mit dem Menſchen,
420Welcher umſchraͤnkt iſt, und, indem ſo vieles ihm mangelt,

Ein Verlangen hat, in der Geſellſchaft von dem, was ihm gleich iſt,
Sich zu helfen, und das, was ihm fehlt, dadurch zu erſetzen.
Fortzupflanzen brauchſt du dich nicht; du biſt ſchon unendlich,
Biſt ſchon durch alle Zahlen vollkommen [Spaltenumbruch] m), obgleich du nur Eins biſt;
425Aber der Menſch giebt ſchon durch die Zahl zu erkennen, wie ſehr er

Unvollkommen noch iſt; er zeuget Gleiches von Gleichen,
Und vermehrt durch ſich ſelbſt ſein Ebenbild, das in der Einheit
Jmmer mangelhaft bleibt; er hat drum helfende Liebe,
Und die theureſte Freundſchaft vonnoͤthen. Und ob du allein gleich,
430Jn dir ſelber am beſten mit deinem Umgang zufrieden,

Keiner Geſellſchaft bedarfſt; ſo kannſt du doch deine Geſchoͤpfe
Wenn dirs gefaͤllt, zu dem und jenem Gipfel der Hoheit
Und Gemeinſchaft, mit dir nach mancherley Graden erheben,
Und
m) Ein lateiniſcher Ausdruck, omni-
bus numeris abſolutus, quod expletum
[Spaltenumbruch] eſt omnibus ſuis numeris et partibus.

N.
G 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="14">
            <l>
              <pb facs="#f0071" n="53"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Achter Ge&#x017F;ang.</hi> </fw>
            </l><lb/>
            <l>Was hab&#x2019; Jch denn al&#x017F;o zu meinem Umgang, als meine</l><lb/>
            <l>Von mir &#x017F;elb&#x017F;t gemachten Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe, die &#x017F;o viel geringer,</l><lb/>
            <l>Und unendliche Grade viel tiefer unter mir &#x017F;tehen,</l><lb/>
            <l>Als die andern Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe noch unter Dir &#x017F;ind, o <hi rendition="#fr">Adam?</hi>.</l>
          </lg><lb/>
          <note place="left">415</note>
          <lg n="15">
            <l>Als der Allma&#x0364;chtge hier &#x017F;chwieg, gab ich mit Demuth zur Antwort:</l><lb/>
            <l>Ober&#x017F;tes aller Dinge! die Ho&#x0364;h und die Tiefe von deinen</l><lb/>
            <l>Ewigen Wegen zu me&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ind alle Men&#x017F;chengedanken</l><lb/>
            <l>Viel zu geringe; denn Du, du bi&#x017F;t in dir &#x017F;elber vollkommen,</l><lb/>
            <l>Und in dir wird kein Mangel bemerkt; nicht &#x017F;o mit dem Men&#x017F;chen,<lb/><note place="left">420</note>Welcher um&#x017F;chra&#x0364;nkt i&#x017F;t, und, indem &#x017F;o vieles ihm mangelt,</l><lb/>
            <l>Ein Verlangen hat, in der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft von dem, was ihm gleich i&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Sich zu helfen, und das, was ihm fehlt, dadurch zu er&#x017F;etzen.</l><lb/>
            <l>Fortzupflanzen brauch&#x017F;t du dich nicht; du bi&#x017F;t &#x017F;chon unendlich,</l><lb/>
            <l>Bi&#x017F;t &#x017F;chon durch alle Zahlen vollkommen <cb/>
<note place="foot" n="m)">Ein lateini&#x017F;cher Ausdruck, <hi rendition="#aq">omni-<lb/>
bus numeris ab&#x017F;olutus, quod expletum<lb/><cb/>
e&#x017F;t omnibus &#x017F;uis numeris et partibus.</hi><lb/><hi rendition="#et"><hi rendition="#fr">N.</hi></hi></note>, obgleich du nur Eins bi&#x017F;t;<lb/><note place="left">425</note>Aber der Men&#x017F;ch giebt &#x017F;chon durch die Zahl zu erkennen, wie &#x017F;ehr er</l><lb/>
            <l>Unvollkommen noch i&#x017F;t; er zeuget Gleiches von Gleichen,</l><lb/>
            <l>Und vermehrt durch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ein Ebenbild, das in der Einheit</l><lb/>
            <l>Jmmer mangelhaft bleibt; er hat drum helfende Liebe,</l><lb/>
            <l>Und die theure&#x017F;te Freund&#x017F;chaft vonno&#x0364;then. Und ob du allein gleich,<lb/><note place="left">430</note>Jn dir &#x017F;elber am be&#x017F;ten mit deinem Umgang zufrieden,</l><lb/>
            <l>Keiner Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft bedarf&#x017F;t; &#x017F;o kann&#x017F;t du doch deine Ge&#x017F;cho&#x0364;pfe</l><lb/>
            <l>Wenn dirs gefa&#x0364;llt, zu dem und jenem Gipfel der Hoheit</l><lb/>
            <l>Und Gemein&#x017F;chaft, mit dir nach mancherley Graden erheben,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/></l>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0071] Achter Geſang. Was hab’ Jch denn alſo zu meinem Umgang, als meine Von mir ſelbſt gemachten Geſchoͤpfe, die ſo viel geringer, Und unendliche Grade viel tiefer unter mir ſtehen, Als die andern Geſchoͤpfe noch unter Dir ſind, o Adam?. Als der Allmaͤchtge hier ſchwieg, gab ich mit Demuth zur Antwort: Oberſtes aller Dinge! die Hoͤh und die Tiefe von deinen Ewigen Wegen zu meſſen, ſind alle Menſchengedanken Viel zu geringe; denn Du, du biſt in dir ſelber vollkommen, Und in dir wird kein Mangel bemerkt; nicht ſo mit dem Menſchen, Welcher umſchraͤnkt iſt, und, indem ſo vieles ihm mangelt, Ein Verlangen hat, in der Geſellſchaft von dem, was ihm gleich iſt, Sich zu helfen, und das, was ihm fehlt, dadurch zu erſetzen. Fortzupflanzen brauchſt du dich nicht; du biſt ſchon unendlich, Biſt ſchon durch alle Zahlen vollkommen m), obgleich du nur Eins biſt; Aber der Menſch giebt ſchon durch die Zahl zu erkennen, wie ſehr er Unvollkommen noch iſt; er zeuget Gleiches von Gleichen, Und vermehrt durch ſich ſelbſt ſein Ebenbild, das in der Einheit Jmmer mangelhaft bleibt; er hat drum helfende Liebe, Und die theureſte Freundſchaft vonnoͤthen. Und ob du allein gleich, Jn dir ſelber am beſten mit deinem Umgang zufrieden, Keiner Geſellſchaft bedarfſt; ſo kannſt du doch deine Geſchoͤpfe Wenn dirs gefaͤllt, zu dem und jenem Gipfel der Hoheit Und Gemeinſchaft, mit dir nach mancherley Graden erheben, Und m) Ein lateiniſcher Ausdruck, omni- bus numeris abſolutus, quod expletum eſt omnibus ſuis numeris et partibus. N. G 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/71
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/71>, abgerufen am 05.12.2024.