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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

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Achter Gesang.

Ebenfalls ehrt, und mit gleicher Liebe den Menschen beseeligt.
Laß mich denn deine Geschichte vernehmen! Jch war an dem Tage
230Deiner Erschaffung entfernt. Zu einer beschwerlichen Reise

War ich gesandt, und zog mit meinen geschlossenen Schaaren
Fernhin nach den Pforten der Hölle; wir hatten Befehle,
Dahin zu sehn, daß keiner als Feind von der höllischen Rotte
Aus dem Abgrund sich reiße [Spaltenumbruch] g), so lange der Schöpfer im Werke
235Seiner Erschaffung begriffen sey, damit er im Zorne

Ueber so freche Verwegenheit, nicht Zerstörung und Schöpfung
Mit einander vermische. Zwar nicht, als hätten sie dürfen
Ohn' Erlaubniß von ihm dieß unternehmen; nein, oftmals
Sendet er bloß uns zur Pracht, mit seinen hohen Befehlen,
240Unsern fertgen Gehorsam, als unser oberster König,

Auf die Probe zu stellen; die scheußlichen Thore der Hölle
Fanden wir fest verwahrt, und fest verriegelt; doch fern noch
Hörten wir schon ein Getöse darinn, nicht wie das Getöse
Von Gesängen und Tänzen; nein, jammerndes Klagen, und Brüllen h)
245Rasender Wuth. Wir kehrten hierauf zu den Küsten des Lichtes

Noch vor dem Abend des Sabbaths, (so lauteten unsre Befehle,)
Fröhlich zurück. Doch hebe nun deine Geschicht' an, o Adam,

Mich
g) Wie dieses eine gute Ursache zu des
Engels Abwesenheit war, so macht sie
auch zugleich dem Menschen Ehre, mit
dem er sich unterhielt. N.
h) Nach dem Virgil im VI. Buche der
Aeneis, wo Aeneas und die Sybille vor
der Hölle stehn.
[Spaltenumbruch] Hinc exaudiri gemitus et saeva sonare
Verbera: tum stridor ferri, tractae-
que catenae.

Jammerndes Klagen erscholl; man hörte
das laute Gewinsel
Von den Verdammten unter den Mar-
tern; und fernher das Raffeln
Schwerer geschleppter Ketten etc. N.
F 3

Achter Geſang.

Ebenfalls ehrt, und mit gleicher Liebe den Menſchen beſeeligt.
Laß mich denn deine Geſchichte vernehmen! Jch war an dem Tage
230Deiner Erſchaffung entfernt. Zu einer beſchwerlichen Reiſe

War ich geſandt, und zog mit meinen geſchloſſenen Schaaren
Fernhin nach den Pforten der Hoͤlle; wir hatten Befehle,
Dahin zu ſehn, daß keiner als Feind von der hoͤlliſchen Rotte
Aus dem Abgrund ſich reiße [Spaltenumbruch] g), ſo lange der Schoͤpfer im Werke
235Seiner Erſchaffung begriffen ſey, damit er im Zorne

Ueber ſo freche Verwegenheit, nicht Zerſtoͤrung und Schoͤpfung
Mit einander vermiſche. Zwar nicht, als haͤtten ſie duͤrfen
Ohn’ Erlaubniß von ihm dieß unternehmen; nein, oftmals
Sendet er bloß uns zur Pracht, mit ſeinen hohen Befehlen,
240Unſern fertgen Gehorſam, als unſer oberſter Koͤnig,

Auf die Probe zu ſtellen; die ſcheußlichen Thore der Hoͤlle
Fanden wir feſt verwahrt, und feſt verriegelt; doch fern noch
Hoͤrten wir ſchon ein Getoͤſe darinn, nicht wie das Getoͤſe
Von Geſaͤngen und Taͤnzen; nein, jammerndes Klagen, und Bruͤllen h)
245Raſender Wuth. Wir kehrten hierauf zu den Kuͤſten des Lichtes

Noch vor dem Abend des Sabbaths, (ſo lauteten unſre Befehle,)
Froͤhlich zuruͤck. Doch hebe nun deine Geſchicht’ an, o Adam,

Mich
g) Wie dieſes eine gute Urſache zu des
Engels Abweſenheit war, ſo macht ſie
auch zugleich dem Menſchen Ehre, mit
dem er ſich unterhielt. N.
h) Nach dem Virgil im VI. Buche der
Aeneis, wo Aeneas und die Sybille vor
der Hoͤlle ſtehn.
[Spaltenumbruch] Hinc exaudiri gemitus et ſaeva ſonare
Verbera: tum ſtridor ferri, tractae-
que catenae.

Jammerndes Klagen erſcholl; man hoͤrte
das laute Gewinſel
Von den Verdammten unter den Mar-
tern; und fernher das Raffeln
Schwerer geſchleppter Ketten ꝛc. N.
F 3
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[45/0063] Achter Geſang. Ebenfalls ehrt, und mit gleicher Liebe den Menſchen beſeeligt. Laß mich denn deine Geſchichte vernehmen! Jch war an dem Tage Deiner Erſchaffung entfernt. Zu einer beſchwerlichen Reiſe War ich geſandt, und zog mit meinen geſchloſſenen Schaaren Fernhin nach den Pforten der Hoͤlle; wir hatten Befehle, Dahin zu ſehn, daß keiner als Feind von der hoͤlliſchen Rotte Aus dem Abgrund ſich reiße g), ſo lange der Schoͤpfer im Werke Seiner Erſchaffung begriffen ſey, damit er im Zorne Ueber ſo freche Verwegenheit, nicht Zerſtoͤrung und Schoͤpfung Mit einander vermiſche. Zwar nicht, als haͤtten ſie duͤrfen Ohn’ Erlaubniß von ihm dieß unternehmen; nein, oftmals Sendet er bloß uns zur Pracht, mit ſeinen hohen Befehlen, Unſern fertgen Gehorſam, als unſer oberſter Koͤnig, Auf die Probe zu ſtellen; die ſcheußlichen Thore der Hoͤlle Fanden wir feſt verwahrt, und feſt verriegelt; doch fern noch Hoͤrten wir ſchon ein Getoͤſe darinn, nicht wie das Getoͤſe Von Geſaͤngen und Taͤnzen; nein, jammerndes Klagen, und Bruͤllen h) Raſender Wuth. Wir kehrten hierauf zu den Kuͤſten des Lichtes Noch vor dem Abend des Sabbaths, (ſo lauteten unſre Befehle,) Froͤhlich zuruͤck. Doch hebe nun deine Geſchicht’ an, o Adam, Mich g) Wie dieſes eine gute Urſache zu des Engels Abweſenheit war, ſo macht ſie auch zugleich dem Menſchen Ehre, mit dem er ſich unterhielt. N. h) Nach dem Virgil im VI. Buche der Aeneis, wo Aeneas und die Sybille vor der Hoͤlle ſtehn. Hinc exaudiri gemitus et ſaeva ſonare Verbera: tum ſtridor ferri, tractae- que catenae. Jammerndes Klagen erſcholl; man hoͤrte das laute Gewinſel Von den Verdammten unter den Mar- tern; und fernher das Raffeln Schwerer geſchleppter Ketten ꝛc. N. F 3

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/63>, abgerufen am 04.05.2024.