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Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

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Das verlohrne Paradies.

Nur dich noch länger zu sehn, indem ich sogar mich erkühne,
Dich zu ersuchen, gefällig auch mich erzählen zu hören.
210Ein vermeßnes Verlangen! geschäh's nicht allein in der Hoffnung,

Deiner Antwort darauf. Denn so, wie ich mit dir hier sitze,
Schein ich im Himmel zu seyn, und deine lieblichen Reden
Sind viel süßer dem Ohr, als wie die Früchte des Palmbaums,
Welche den Hunger und Durst am angenehmsten erquicken,
215Wenn nach der Arbeit nunmehr die Stunde der Nahrung uns rufet;

Diese sättigen bald, so süß sie auch schmecken, doch deine
Göttlichen, lieblichen Reden, so süß sie sind, sättigen nimmer.

Himmlisch freundlich erwiederte drauf ihm Raphael also:
Auch sind deine Lippen voll Reiz, o Vater der Menschen,
220Deine Zung' ist unberedt nicht, indem der Allmächtge

Mit den herrlichsten Gaben so reichlich von innen und außen [Spaltenumbruch] f)
Dich begnadigt; du bist sein heiliges Bildniß. Du magst nun
Reden, oder auch schweigen: so zieren Anmuth und Anstand
Jede Geberd' und jegliches Wort. Wir halten im Himmel
225Dich für geringer auch nicht, als unsern Gefährten im Dienste

Gottes; wir mögen auch gern die Wege des Höchsten auf Erden
Mit den Menschen erforschen; indem wir erkennen, daß Gott dich
Eben-
f) Warburton hat aus diesen Wor-
ten unserm Dichter eine Art von Anthro-
pomorphismus Schuld geben wollen;
Herr Wieland hat ihn aber hinlänglich
gerechtfertigt. Gesetzt, sagte er, es ge-
fiele Gott, sich zuweilen durch eine sicht-
bare Gestalt, in welcher seine relativen
Vollkommenheiten sich ungemein empfind-
[Spaltenumbruch] lich ausdrückten, den Engeln oder an-
dern seeligen Geistern zu offenbaren, und
der Mensch sey dem Leibe nach dieser voll-
kommnen Gestalt, obgleich in einem gros-
sen Absatz, nachgebildet, so haben wir ei-
ne Erklärung der Stelle Miltons ohne
die Ketzerey, die Warburton ihm aufbür-
den will. Z.

Das verlohrne Paradies.

Nur dich noch laͤnger zu ſehn, indem ich ſogar mich erkuͤhne,
Dich zu erſuchen, gefaͤllig auch mich erzaͤhlen zu hoͤren.
210Ein vermeßnes Verlangen! geſchaͤh’s nicht allein in der Hoffnung,

Deiner Antwort darauf. Denn ſo, wie ich mit dir hier ſitze,
Schein ich im Himmel zu ſeyn, und deine lieblichen Reden
Sind viel ſuͤßer dem Ohr, als wie die Fruͤchte des Palmbaums,
Welche den Hunger und Durſt am angenehmſten erquicken,
215Wenn nach der Arbeit nunmehr die Stunde der Nahrung uns rufet;

Dieſe ſaͤttigen bald, ſo ſuͤß ſie auch ſchmecken, doch deine
Goͤttlichen, lieblichen Reden, ſo ſuͤß ſie ſind, ſaͤttigen nimmer.

Himmliſch freundlich erwiederte drauf ihm Raphael alſo:
Auch ſind deine Lippen voll Reiz, o Vater der Menſchen,
220Deine Zung’ iſt unberedt nicht, indem der Allmaͤchtge

Mit den herrlichſten Gaben ſo reichlich von innen und außen [Spaltenumbruch] f)
Dich begnadigt; du biſt ſein heiliges Bildniß. Du magſt nun
Reden, oder auch ſchweigen: ſo zieren Anmuth und Anſtand
Jede Geberd’ und jegliches Wort. Wir halten im Himmel
225Dich fuͤr geringer auch nicht, als unſern Gefaͤhrten im Dienſte

Gottes; wir moͤgen auch gern die Wege des Hoͤchſten auf Erden
Mit den Menſchen erforſchen; indem wir erkennen, daß Gott dich
Eben-
f) Warburton hat aus dieſen Wor-
ten unſerm Dichter eine Art von Anthro-
pomorphismus Schuld geben wollen;
Herr Wieland hat ihn aber hinlaͤnglich
gerechtfertigt. Geſetzt, ſagte er, es ge-
fiele Gott, ſich zuweilen durch eine ſicht-
bare Geſtalt, in welcher ſeine relativen
Vollkommenheiten ſich ungemein empfind-
[Spaltenumbruch] lich ausdruͤckten, den Engeln oder an-
dern ſeeligen Geiſtern zu offenbaren, und
der Menſch ſey dem Leibe nach dieſer voll-
kommnen Geſtalt, obgleich in einem groſ-
ſen Abſatz, nachgebildet, ſo haben wir ei-
ne Erklaͤrung der Stelle Miltons ohne
die Ketzerey, die Warburton ihm aufbuͤr-
den will. Z.
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[44/0062] Das verlohrne Paradies. Nur dich noch laͤnger zu ſehn, indem ich ſogar mich erkuͤhne, Dich zu erſuchen, gefaͤllig auch mich erzaͤhlen zu hoͤren. Ein vermeßnes Verlangen! geſchaͤh’s nicht allein in der Hoffnung, Deiner Antwort darauf. Denn ſo, wie ich mit dir hier ſitze, Schein ich im Himmel zu ſeyn, und deine lieblichen Reden Sind viel ſuͤßer dem Ohr, als wie die Fruͤchte des Palmbaums, Welche den Hunger und Durſt am angenehmſten erquicken, Wenn nach der Arbeit nunmehr die Stunde der Nahrung uns rufet; Dieſe ſaͤttigen bald, ſo ſuͤß ſie auch ſchmecken, doch deine Goͤttlichen, lieblichen Reden, ſo ſuͤß ſie ſind, ſaͤttigen nimmer. Himmliſch freundlich erwiederte drauf ihm Raphael alſo: Auch ſind deine Lippen voll Reiz, o Vater der Menſchen, Deine Zung’ iſt unberedt nicht, indem der Allmaͤchtge Mit den herrlichſten Gaben ſo reichlich von innen und außen f) Dich begnadigt; du biſt ſein heiliges Bildniß. Du magſt nun Reden, oder auch ſchweigen: ſo zieren Anmuth und Anſtand Jede Geberd’ und jegliches Wort. Wir halten im Himmel Dich fuͤr geringer auch nicht, als unſern Gefaͤhrten im Dienſte Gottes; wir moͤgen auch gern die Wege des Hoͤchſten auf Erden Mit den Menſchen erforſchen; indem wir erkennen, daß Gott dich Eben- f) Warburton hat aus dieſen Wor- ten unſerm Dichter eine Art von Anthro- pomorphismus Schuld geben wollen; Herr Wieland hat ihn aber hinlaͤnglich gerechtfertigt. Geſetzt, ſagte er, es ge- fiele Gott, ſich zuweilen durch eine ſicht- bare Geſtalt, in welcher ſeine relativen Vollkommenheiten ſich ungemein empfind- lich ausdruͤckten, den Engeln oder an- dern ſeeligen Geiſtern zu offenbaren, und der Menſch ſey dem Leibe nach dieſer voll- kommnen Geſtalt, obgleich in einem groſ- ſen Abſatz, nachgebildet, ſo haben wir ei- ne Erklaͤrung der Stelle Miltons ohne die Ketzerey, die Warburton ihm aufbuͤr- den will. Z.

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Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/62>, abgerufen am 04.05.2024.