Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.Achter Gesang. Adam, nun ganz von Zweifeln befreyt, antwortet ihm also: Wie vollkommen hat deine Huld mir Gnüge geleistet, Reine, himmlische Kraft, gefälliger Engel! du hast mir 185Jede Schwierigkeit aufgelöst, und hast mich gelehret, Ruhig zu seyn, und nicht mit kühnen verworrnen Gedanken Selbst mir die Anmuth des Lebens zu stören; indem der Allmächtge Aller nagenden Sorge geboth, fern von uns zu bleiben, Und uns nicht in Unruh zu setzen, wofern wir nicht selber 190Mit verirrtem Vernünfteln, und leerem Forschen, sie suchen. Aber die Phantasie und der Geist ist allzugeneigt nur Auszuschweifen, wofern man sie nicht beherrschet; sie hören Auszuschweifen nicht eher auf, als bis sie gewarnt sind, Oder Erfahrung sie lehrt, daß nicht Erkenntniß an Dingen, 195Welche zu weit entfernt, zu unnütz, zu dunkel, zu fein sind, Sondern Erkenntniß von dem, was in dem täglichen Leben Da liegt, wahre Weisheit sey; was weiter hinaus strebt, Jst bloß Eitelkeit, Rauch, und kühne Thorheit; und macht uns Unbereitet, und ungeübt, zu forschen in Dingen, 200Die uns die wichtigsten sind. Laß drum mit niedrigem Flug uns Von den erhabenen Höhn der Betrachtung herunter sinken, Um von Dingen, die vor uns liegen, und Nutzen mir bringen, Uns zu beschäfftgen; sie geben vielleicht Gelegenheit, manches, Was mir nützet, und deine Gunst erlaubet, zu fragen. 205Von dir hab' ich gehört, was vor mir geschehn ist; vernimm itzt Meine Geschichte; von der du vielleicht nicht alles erfahren. Noch ist der Tag nicht verflossen; du siehst es, was ich ersinne, Nur F 2
Achter Geſang. Adam, nun ganz von Zweifeln befreyt, antwortet ihm alſo: Wie vollkommen hat deine Huld mir Gnuͤge geleiſtet, Reine, himmliſche Kraft, gefaͤlliger Engel! du haſt mir 185Jede Schwierigkeit aufgeloͤſt, und haſt mich gelehret, Ruhig zu ſeyn, und nicht mit kuͤhnen verworrnen Gedanken Selbſt mir die Anmuth des Lebens zu ſtoͤren; indem der Allmaͤchtge Aller nagenden Sorge geboth, fern von uns zu bleiben, Und uns nicht in Unruh zu ſetzen, wofern wir nicht ſelber 190Mit verirrtem Vernuͤnfteln, und leerem Forſchen, ſie ſuchen. Aber die Phantaſie und der Geiſt iſt allzugeneigt nur Auszuſchweifen, wofern man ſie nicht beherrſchet; ſie hoͤren Auszuſchweifen nicht eher auf, als bis ſie gewarnt ſind, Oder Erfahrung ſie lehrt, daß nicht Erkenntniß an Dingen, 195Welche zu weit entfernt, zu unnuͤtz, zu dunkel, zu fein ſind, Sondern Erkenntniß von dem, was in dem taͤglichen Leben Da liegt, wahre Weisheit ſey; was weiter hinaus ſtrebt, Jſt bloß Eitelkeit, Rauch, und kuͤhne Thorheit; und macht uns Unbereitet, und ungeuͤbt, zu forſchen in Dingen, 200Die uns die wichtigſten ſind. Laß drum mit niedrigem Flug uns Von den erhabenen Hoͤhn der Betrachtung herunter ſinken, Um von Dingen, die vor uns liegen, und Nutzen mir bringen, Uns zu beſchaͤfftgen; ſie geben vielleicht Gelegenheit, manches, Was mir nuͤtzet, und deine Gunſt erlaubet, zu fragen. 205Von dir hab’ ich gehoͤrt, was vor mir geſchehn iſt; vernimm itzt Meine Geſchichte; von der du vielleicht nicht alles erfahren. Noch iſt der Tag nicht verfloſſen; du ſiehſt es, was ich erſinne, Nur F 2
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Achter Geſang.
Adam, nun ganz von Zweifeln befreyt, antwortet ihm alſo:
Wie vollkommen hat deine Huld mir Gnuͤge geleiſtet,
Reine, himmliſche Kraft, gefaͤlliger Engel! du haſt mir
Jede Schwierigkeit aufgeloͤſt, und haſt mich gelehret,
Ruhig zu ſeyn, und nicht mit kuͤhnen verworrnen Gedanken
Selbſt mir die Anmuth des Lebens zu ſtoͤren; indem der Allmaͤchtge
Aller nagenden Sorge geboth, fern von uns zu bleiben,
Und uns nicht in Unruh zu ſetzen, wofern wir nicht ſelber
Mit verirrtem Vernuͤnfteln, und leerem Forſchen, ſie ſuchen.
Aber die Phantaſie und der Geiſt iſt allzugeneigt nur
Auszuſchweifen, wofern man ſie nicht beherrſchet; ſie hoͤren
Auszuſchweifen nicht eher auf, als bis ſie gewarnt ſind,
Oder Erfahrung ſie lehrt, daß nicht Erkenntniß an Dingen,
Welche zu weit entfernt, zu unnuͤtz, zu dunkel, zu fein ſind,
Sondern Erkenntniß von dem, was in dem taͤglichen Leben
Da liegt, wahre Weisheit ſey; was weiter hinaus ſtrebt,
Jſt bloß Eitelkeit, Rauch, und kuͤhne Thorheit; und macht uns
Unbereitet, und ungeuͤbt, zu forſchen in Dingen,
Die uns die wichtigſten ſind. Laß drum mit niedrigem Flug uns
Von den erhabenen Hoͤhn der Betrachtung herunter ſinken,
Um von Dingen, die vor uns liegen, und Nutzen mir bringen,
Uns zu beſchaͤfftgen; ſie geben vielleicht Gelegenheit, manches,
Was mir nuͤtzet, und deine Gunſt erlaubet, zu fragen.
Von dir hab’ ich gehoͤrt, was vor mir geſchehn iſt; vernimm itzt
Meine Geſchichte; von der du vielleicht nicht alles erfahren.
Noch iſt der Tag nicht verfloſſen; du ſiehſt es, was ich erſinne,
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