Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

Bild:
<< vorherige Seite

Das verlohrne Paradies.

Jch vermisse dich hier, und bin sehr übel zufrieden,
Daß ich so einsam mich seh. Wie sehr bezeigtest du ehmals
Deine Pflicht mir von selbst. Komm' ich itzt weniger herrlich?
Oder welche Verändrung entfernt dich aus meinem Gesichte?
115Was für ein Zufall hält dich zurück? Komm näher, o Adam!.

Er kam näher, und Eva mit ihm, mit langsamem Schritte,
Ob sie vorher gleich die erste gewesen, die Sünde begangen.
Beyde waren entstellt, und verstört; in ihrem Gesichte
Sah man nicht Liebe zu Gott, nicht Liebe gegeneinander,
120Sondern Zeichen der Schuld, der Schaam, der Verzweiflung und Unruh,

Und des Zornes, der Hartnäckigkeit, der Falschheit, des Hasses;
Bis nach ängstlichem Stammeln dieß Adam kürzlich erwiedert:
Deine Stimme vernahm ich im Garten [Spaltenumbruch] e), und bebte vor Schrecken,
Denn ich bin nackt, und verbarg mich vor dir. Der gnädige Richter
125Gab ihm ohne Bitterkeit drauf zur Antwort: Wie oftmals

Hast du nicht meine Stimme gehört, sie niemals gefürchtet,
Sondern dich drüber erfreut; wie ist sie dir itzo so furchtbar?
Daß du nackt bist, wer sagte dir das [Spaltenumbruch] f) ? Wie? Hast du vom Baume
Etwan gegessen, den mein Befehl so sehr dir verbothen.
130
Mit belastetem Herzen gab Adam ihm also zur Antwort:
Himmel! wie seh ich heute mich nicht unschlüßig, verlegen,
Hier
e) 1 B. Mos. III, 10. Und er
sprach: Jch hörete deine Stimme im
Garten, und furchte mich, denn ich
bin nacket, darum versteckte ich mich.
f) 1 B. Mos. III, 11. Und er
sprach: Wer hat dirs gesagt, daß
du nacket bist? Hast du nicht gessen
von dem Baume, davon ich dir ge-
both, du solltest nicht davon essen?

Das verlohrne Paradies.

Jch vermiſſe dich hier, und bin ſehr uͤbel zufrieden,
Daß ich ſo einſam mich ſeh. Wie ſehr bezeigteſt du ehmals
Deine Pflicht mir von ſelbſt. Komm’ ich itzt weniger herrlich?
Oder welche Veraͤndrung entfernt dich aus meinem Geſichte?
115Was fuͤr ein Zufall haͤlt dich zuruͤck? Komm naͤher, o Adam!.

Er kam naͤher, und Eva mit ihm, mit langſamem Schritte,
Ob ſie vorher gleich die erſte geweſen, die Suͤnde begangen.
Beyde waren entſtellt, und verſtoͤrt; in ihrem Geſichte
Sah man nicht Liebe zu Gott, nicht Liebe gegeneinander,
120Sondern Zeichen der Schuld, der Schaam, der Verzweiflung und Unruh,

Und des Zornes, der Hartnaͤckigkeit, der Falſchheit, des Haſſes;
Bis nach aͤngſtlichem Stammeln dieß Adam kuͤrzlich erwiedert:
Deine Stimme vernahm ich im Garten [Spaltenumbruch] e), und bebte vor Schrecken,
Denn ich bin nackt, und verbarg mich vor dir. Der gnaͤdige Richter
125Gab ihm ohne Bitterkeit drauf zur Antwort: Wie oftmals

Haſt du nicht meine Stimme gehoͤrt, ſie niemals gefuͤrchtet,
Sondern dich druͤber erfreut; wie iſt ſie dir itzo ſo furchtbar?
Daß du nackt biſt, wer ſagte dir das [Spaltenumbruch] f) ? Wie? Haſt du vom Baume
Etwan gegeſſen, den mein Befehl ſo ſehr dir verbothen.
130
Mit belaſtetem Herzen gab Adam ihm alſo zur Antwort:
Himmel! wie ſeh ich heute mich nicht unſchluͤßig, verlegen,
Hier
e) 1 B. Moſ. III, 10. Und er
ſprach: Jch hörete deine Stimme im
Garten, und furchte mich, denn ich
bin nacket, darum verſteckte ich mich.
f) 1 B. Moſ. III, 11. Und er
ſprach: Wer hat dirs geſagt, daß
du nacket biſt? Haſt du nicht geſſen
von dem Baume, davon ich dir ge-
both, du ſollteſt nicht davon eſſen?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="4">
            <l>
              <pb facs="#f0148" n="126"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi> </fw>
            </l><lb/>
            <l>Jch vermi&#x017F;&#x017F;e dich hier, und bin &#x017F;ehr u&#x0364;bel zufrieden,</l><lb/>
            <l>Daß ich &#x017F;o ein&#x017F;am mich &#x017F;eh. Wie &#x017F;ehr bezeigte&#x017F;t du ehmals</l><lb/>
            <l>Deine Pflicht mir von &#x017F;elb&#x017F;t. Komm&#x2019; ich itzt weniger herrlich?</l><lb/>
            <l>Oder welche Vera&#x0364;ndrung entfernt dich aus meinem Ge&#x017F;ichte?<lb/><note place="left">115</note>Was fu&#x0364;r ein Zufall ha&#x0364;lt dich zuru&#x0364;ck? Komm na&#x0364;her, o <hi rendition="#fr">Adam!</hi>.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="5">
            <l>Er kam na&#x0364;her, und <hi rendition="#fr">Eva</hi> mit ihm, mit lang&#x017F;amem Schritte,</l><lb/>
            <l>Ob &#x017F;ie vorher gleich die er&#x017F;te gewe&#x017F;en, die Su&#x0364;nde begangen.</l><lb/>
            <l>Beyde waren ent&#x017F;tellt, und ver&#x017F;to&#x0364;rt; in ihrem Ge&#x017F;ichte</l><lb/>
            <l>Sah man nicht Liebe zu Gott, nicht Liebe gegeneinander,<lb/><note place="left">120</note>Sondern Zeichen der Schuld, der Schaam, der Verzweiflung und Unruh,</l><lb/>
            <l>Und des Zornes, der Hartna&#x0364;ckigkeit, der Fal&#x017F;chheit, des Ha&#x017F;&#x017F;es;</l><lb/>
            <l>Bis nach a&#x0364;ng&#x017F;tlichem Stammeln dieß <hi rendition="#fr">Adam</hi> ku&#x0364;rzlich erwiedert:</l><lb/>
            <l>Deine Stimme vernahm ich im Garten <cb/>
<note place="foot" n="e)">1 B. Mo&#x017F;. <hi rendition="#aq">III,</hi> 10. <hi rendition="#fr">Und er<lb/>
&#x017F;prach: Jch hörete deine Stimme im<lb/>
Garten, und furchte mich, denn ich<lb/>
bin nacket, darum ver&#x017F;teckte ich mich.</hi></note>, und bebte vor Schrecken,</l><lb/>
            <l>Denn ich bin nackt, und verbarg mich vor dir. Der gna&#x0364;dige Richter<lb/><note place="left">125</note>Gab ihm ohne Bitterkeit drauf zur Antwort: Wie oftmals</l><lb/>
            <l>Ha&#x017F;t du nicht meine Stimme geho&#x0364;rt, &#x017F;ie niemals gefu&#x0364;rchtet,</l><lb/>
            <l>Sondern dich dru&#x0364;ber erfreut; wie i&#x017F;t &#x017F;ie dir itzo &#x017F;o furchtbar?</l><lb/>
            <l>Daß du nackt bi&#x017F;t, wer &#x017F;agte dir das <cb/>
<note place="foot" n="f)">1 B. Mo&#x017F;. <hi rendition="#aq">III,</hi> 11. <hi rendition="#fr">Und er<lb/>
&#x017F;prach: Wer hat dirs ge&#x017F;agt, daß<lb/>
du nacket bi&#x017F;t? Ha&#x017F;t du nicht ge&#x017F;&#x017F;en<lb/>
von dem Baume, davon ich dir ge-<lb/>
both, du &#x017F;ollte&#x017F;t nicht davon e&#x017F;&#x017F;en?</hi></note> ? Wie? Ha&#x017F;t du vom Baume</l><lb/>
            <l>Etwan gege&#x017F;&#x017F;en, den mein Befehl &#x017F;o &#x017F;ehr dir verbothen.</l>
          </lg><lb/>
          <note place="left">130</note>
          <lg n="6">
            <l>Mit bela&#x017F;tetem Herzen gab <hi rendition="#fr">Adam</hi> ihm al&#x017F;o zur Antwort:</l><lb/>
            <l>Himmel! wie &#x017F;eh ich heute mich nicht un&#x017F;chlu&#x0364;ßig, verlegen,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Hier</fw><lb/></l>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0148] Das verlohrne Paradies. Jch vermiſſe dich hier, und bin ſehr uͤbel zufrieden, Daß ich ſo einſam mich ſeh. Wie ſehr bezeigteſt du ehmals Deine Pflicht mir von ſelbſt. Komm’ ich itzt weniger herrlich? Oder welche Veraͤndrung entfernt dich aus meinem Geſichte? Was fuͤr ein Zufall haͤlt dich zuruͤck? Komm naͤher, o Adam!. Er kam naͤher, und Eva mit ihm, mit langſamem Schritte, Ob ſie vorher gleich die erſte geweſen, die Suͤnde begangen. Beyde waren entſtellt, und verſtoͤrt; in ihrem Geſichte Sah man nicht Liebe zu Gott, nicht Liebe gegeneinander, Sondern Zeichen der Schuld, der Schaam, der Verzweiflung und Unruh, Und des Zornes, der Hartnaͤckigkeit, der Falſchheit, des Haſſes; Bis nach aͤngſtlichem Stammeln dieß Adam kuͤrzlich erwiedert: Deine Stimme vernahm ich im Garten e), und bebte vor Schrecken, Denn ich bin nackt, und verbarg mich vor dir. Der gnaͤdige Richter Gab ihm ohne Bitterkeit drauf zur Antwort: Wie oftmals Haſt du nicht meine Stimme gehoͤrt, ſie niemals gefuͤrchtet, Sondern dich druͤber erfreut; wie iſt ſie dir itzo ſo furchtbar? Daß du nackt biſt, wer ſagte dir das f) ? Wie? Haſt du vom Baume Etwan gegeſſen, den mein Befehl ſo ſehr dir verbothen. Mit belaſtetem Herzen gab Adam ihm alſo zur Antwort: Himmel! wie ſeh ich heute mich nicht unſchluͤßig, verlegen, Hier e) 1 B. Moſ. III, 10. Und er ſprach: Jch hörete deine Stimme im Garten, und furchte mich, denn ich bin nacket, darum verſteckte ich mich. f) 1 B. Moſ. III, 11. Und er ſprach: Wer hat dirs geſagt, daß du nacket biſt? Haſt du nicht geſſen von dem Baume, davon ich dir ge- both, du ſollteſt nicht davon eſſen?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/148
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/148>, abgerufen am 24.11.2024.