Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

Bild:
<< vorherige Seite
Zehnter Gefang.
Also sprach er, und stand von seinem stralenden Stuhl auf,
90Wo er neben dem Vater in gleicher Herrlichkeit thronte.

Jhn begleiten die himmlischen Mächte, die dienenden Kräfte,
Bis zu den Thoren des Himmels, von da die Aussicht von Eden,
Und der Gegend umher, sich ihm eröffnete. Plötzlich
Eilt er hinab; die Schnelle der Götter berechnet die Zeit nicht,
95Wenn sie sich auch mit den flüchtigsten schnellsten Minuten beflügelt

Und schon sank die Sonne zu ihrer westlichen Neige
Tief vom Mittag herab, und zu der gewöhnlichen Stunde
Machten lispelnde Lüfte sich auf [Spaltenumbruch] c), die Erde zu fächeln,
Und aus Westen herzu die Kühlung des Abends zu führen:
100Als er mit kühlerm Gemüth, der milde Richter und Mittler,

Unter den Bäumen sich naht, den schuldigen Menschen zu richten.
Sie vernahmen die Stimme Gottes, indem sie im Garten
Wandelte; durch sanftwehende Winde gelangte sie itzo,
Da sich der Tag zu neigen begonnen, zu ihren Ohren.
105Zitternd hörten sie sie, und suchten vor seiner Erscheinung

Sich zu verbergen unter der Hülle der dickesten Bäume,
Beyde der Mann und das Weib; bis daß Gott näher hinzutrat,
Und mit vernehmlicher Stimm' d) auf Adam rufte: Wo bist du,
Adam? Du warest gewohnt, schon in der Ferne mein Kommen
110Voller Freude zu sehn, und mir entgegen zu eilen.
Jch
c) Diese schöne Beschreibung gründet
sich auf 1 B. Mos. III, 8. Und sie hör-
ten die Stimme Gottes des Herrn,
der im Garten gieng, da der Tag
kühle worden war. Und Adam ver-
steckte sich mit seinem Weibe vor dem
[Spaltenumbruch] Angesichte Gottes des Herrn, unter
die Bäume im Garten.
d) Und Gott der Herr rief Adam,
und sprach zu ihm: Wo bist du?

1 B. Mos. III, 9.
Q 3
Zehnter Gefang.
Alſo ſprach er, und ſtand von ſeinem ſtralenden Stuhl auf,
90Wo er neben dem Vater in gleicher Herrlichkeit thronte.

Jhn begleiten die himmliſchen Maͤchte, die dienenden Kraͤfte,
Bis zu den Thoren des Himmels, von da die Ausſicht von Eden,
Und der Gegend umher, ſich ihm eroͤffnete. Ploͤtzlich
Eilt er hinab; die Schnelle der Goͤtter berechnet die Zeit nicht,
95Wenn ſie ſich auch mit den fluͤchtigſten ſchnellſten Minuten befluͤgelt

Und ſchon ſank die Sonne zu ihrer weſtlichen Neige
Tief vom Mittag herab, und zu der gewoͤhnlichen Stunde
Machten liſpelnde Luͤfte ſich auf [Spaltenumbruch] c), die Erde zu faͤcheln,
Und aus Weſten herzu die Kuͤhlung des Abends zu fuͤhren:
100Als er mit kuͤhlerm Gemuͤth, der milde Richter und Mittler,

Unter den Baͤumen ſich naht, den ſchuldigen Menſchen zu richten.
Sie vernahmen die Stimme Gottes, indem ſie im Garten
Wandelte; durch ſanftwehende Winde gelangte ſie itzo,
Da ſich der Tag zu neigen begonnen, zu ihren Ohren.
105Zitternd hoͤrten ſie ſie, und ſuchten vor ſeiner Erſcheinung

Sich zu verbergen unter der Huͤlle der dickeſten Baͤume,
Beyde der Mann und das Weib; bis daß Gott naͤher hinzutrat,
Und mit vernehmlicher Stimm’ d) auf Adam rufte: Wo biſt du,
Adam? Du wareſt gewohnt, ſchon in der Ferne mein Kommen
110Voller Freude zu ſehn, und mir entgegen zu eilen.
Jch
c) Dieſe ſchoͤne Beſchreibung gruͤndet
ſich auf 1 B. Moſ. III, 8. Und ſie hör-
ten die Stimme Gottes des Herrn,
der im Garten gieng, da der Tag
kühle worden war. Und Adam ver-
ſteckte ſich mit ſeinem Weibe vor dem
[Spaltenumbruch] Angeſichte Gottes des Herrn, unter
die Bäume im Garten.
d) Und Gott der Herr rief Adam,
und ſprach zu ihm: Wo biſt du?

1 B. Moſ. III, 9.
Q 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0147" n="125"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Zehnter Gefang.</hi> </fw><lb/>
          <lg n="4">
            <l>Al&#x017F;o &#x017F;prach er, und &#x017F;tand von &#x017F;einem &#x017F;tralenden Stuhl auf,<lb/><note place="left">90</note>Wo er neben dem Vater in gleicher Herrlichkeit thronte.</l><lb/>
            <l>Jhn begleiten die himmli&#x017F;chen Ma&#x0364;chte, die dienenden Kra&#x0364;fte,</l><lb/>
            <l>Bis zu den Thoren des Himmels, von da die Aus&#x017F;icht von Eden,</l><lb/>
            <l>Und der Gegend umher, &#x017F;ich ihm ero&#x0364;ffnete. Plo&#x0364;tzlich</l><lb/>
            <l>Eilt er hinab; die Schnelle der Go&#x0364;tter berechnet die Zeit nicht,<lb/><note place="left">95</note>Wenn &#x017F;ie &#x017F;ich auch mit den flu&#x0364;chtig&#x017F;ten &#x017F;chnell&#x017F;ten Minuten beflu&#x0364;gelt</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;chon &#x017F;ank die Sonne zu ihrer we&#x017F;tlichen Neige</l><lb/>
            <l>Tief vom Mittag herab, und zu der gewo&#x0364;hnlichen Stunde</l><lb/>
            <l>Machten li&#x017F;pelnde Lu&#x0364;fte &#x017F;ich auf <cb/>
<note place="foot" n="c)">Die&#x017F;e &#x017F;cho&#x0364;ne Be&#x017F;chreibung gru&#x0364;ndet<lb/>
&#x017F;ich auf 1 B. Mo&#x017F;. <hi rendition="#aq">III,</hi> 8. <hi rendition="#fr">Und &#x017F;ie hör-<lb/>
ten die Stimme Gottes des Herrn,<lb/>
der im Garten gieng, da der Tag<lb/>
kühle worden war. Und Adam ver-<lb/>
&#x017F;teckte &#x017F;ich mit &#x017F;einem Weibe vor dem<lb/><cb/>
Ange&#x017F;ichte Gottes des Herrn, unter<lb/>
die Bäume im Garten.</hi></note>, die Erde zu fa&#x0364;cheln,</l><lb/>
            <l>Und aus We&#x017F;ten herzu die Ku&#x0364;hlung des Abends zu fu&#x0364;hren:<lb/><note place="left">100</note>Als er mit ku&#x0364;hlerm Gemu&#x0364;th, der milde Richter und Mittler,</l><lb/>
            <l>Unter den Ba&#x0364;umen &#x017F;ich naht, den &#x017F;chuldigen Men&#x017F;chen zu richten.</l><lb/>
            <l>Sie vernahmen die Stimme Gottes, indem &#x017F;ie im Garten</l><lb/>
            <l>Wandelte; durch &#x017F;anftwehende Winde gelangte &#x017F;ie itzo,</l><lb/>
            <l>Da &#x017F;ich der Tag zu neigen begonnen, zu ihren Ohren.<lb/><note place="left">105</note>Zitternd ho&#x0364;rten &#x017F;ie &#x017F;ie, und &#x017F;uchten vor &#x017F;einer Er&#x017F;cheinung</l><lb/>
            <l>Sich zu verbergen unter der Hu&#x0364;lle der dicke&#x017F;ten Ba&#x0364;ume,</l><lb/>
            <l>Beyde der Mann und das Weib; bis daß Gott na&#x0364;her hinzutrat,</l><lb/>
            <l>Und mit vernehmlicher Stimm&#x2019;  <note place="foot" n="d)"><hi rendition="#fr">Und Gott der Herr rief Adam,<lb/>
und &#x017F;prach zu ihm: Wo bi&#x017F;t du?</hi><lb/>
1 B. Mo&#x017F;. <hi rendition="#aq">III,</hi> 9.</note> auf <hi rendition="#fr">Adam</hi> rufte: Wo bi&#x017F;t du,<lb/><hi rendition="#fr">Adam?</hi> Du ware&#x017F;t gewohnt, &#x017F;chon in der Ferne mein Kommen<lb/><note place="left">110</note>Voller Freude zu &#x017F;ehn, und mir entgegen zu eilen.<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Q 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/></l>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0147] Zehnter Gefang. Alſo ſprach er, und ſtand von ſeinem ſtralenden Stuhl auf, Wo er neben dem Vater in gleicher Herrlichkeit thronte. Jhn begleiten die himmliſchen Maͤchte, die dienenden Kraͤfte, Bis zu den Thoren des Himmels, von da die Ausſicht von Eden, Und der Gegend umher, ſich ihm eroͤffnete. Ploͤtzlich Eilt er hinab; die Schnelle der Goͤtter berechnet die Zeit nicht, Wenn ſie ſich auch mit den fluͤchtigſten ſchnellſten Minuten befluͤgelt Und ſchon ſank die Sonne zu ihrer weſtlichen Neige Tief vom Mittag herab, und zu der gewoͤhnlichen Stunde Machten liſpelnde Luͤfte ſich auf c), die Erde zu faͤcheln, Und aus Weſten herzu die Kuͤhlung des Abends zu fuͤhren: Als er mit kuͤhlerm Gemuͤth, der milde Richter und Mittler, Unter den Baͤumen ſich naht, den ſchuldigen Menſchen zu richten. Sie vernahmen die Stimme Gottes, indem ſie im Garten Wandelte; durch ſanftwehende Winde gelangte ſie itzo, Da ſich der Tag zu neigen begonnen, zu ihren Ohren. Zitternd hoͤrten ſie ſie, und ſuchten vor ſeiner Erſcheinung Sich zu verbergen unter der Huͤlle der dickeſten Baͤume, Beyde der Mann und das Weib; bis daß Gott naͤher hinzutrat, Und mit vernehmlicher Stimm’ d) auf Adam rufte: Wo biſt du, Adam? Du wareſt gewohnt, ſchon in der Ferne mein Kommen Voller Freude zu ſehn, und mir entgegen zu eilen. Jch c) Dieſe ſchoͤne Beſchreibung gruͤndet ſich auf 1 B. Moſ. III, 8. Und ſie hör- ten die Stimme Gottes des Herrn, der im Garten gieng, da der Tag kühle worden war. Und Adam ver- ſteckte ſich mit ſeinem Weibe vor dem Angeſichte Gottes des Herrn, unter die Bäume im Garten. d) Und Gott der Herr rief Adam, und ſprach zu ihm: Wo biſt du? 1 B. Moſ. III, 9. Q 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/147
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/147>, abgerufen am 24.11.2024.