Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.
So sprach Adam, besorgt in seiner ehlichen Liebe. 335Aber Eva, welche vermeynte, man traue zu wenig Jhrer Tugend und Treu, versetzte mit lieblicher Stimme. Jst das unser gepriesener Stand, im engsten Bezirke Eingeschlossen zu seyn, von einem grimmigen Feinde Voll von Wuth, oder List; ist jedes von uns für sich selber 340Nicht genugsam bewehrt, ihn, wo er auch immer uns findet, Mit gleich mächtigem Muth zu begegnen: -- wie sind wir da glücklich? Glücklich in einer beständigen Furcht vor Leid und vor Unglück? Aber Unglück und Leid kann vor der Sünd' uns nicht treffen; Denn die Versuchung des Feindes beschimpft uns allein durch sein Urtheil, 345Welches unsere Treu entehrt; sein schimpfliches Urtheil Kann uns indeß nicht beflecken; es fällt vielmehr auf ihn selber Voller Schande zurück. Was haben wir ihn denn zu fürchten? Haben wir nicht gedoppelten Ruhm dadurch zu erwerben, Wenn sein schändlicher Argwohn ihn trügt? Dann haben wir in uns 350Frieden, und Gunst vom Himmel, und von dem Ausgang Beweise. Was ist Lieb' und Tugend und Treu, wofern sie nicht selber, Ohne Hülfe von andern, sich zu erhalten vermöchten! Bilde dir also nicht ein, daß diesen seeligen Zustand Unser weisester Schöpfer so unvollkommen gelassen, 355Daß nicht jedes von uns, sowohl allein, als beysammen, Sicher II. Theil. L
So ſprach Adam, beſorgt in ſeiner ehlichen Liebe. 335Aber Eva, welche vermeynte, man traue zu wenig Jhrer Tugend und Treu, verſetzte mit lieblicher Stimme. Jſt das unſer geprieſener Stand, im engſten Bezirke Eingeſchloſſen zu ſeyn, von einem grimmigen Feinde Voll von Wuth, oder Liſt; iſt jedes von uns fuͤr ſich ſelber 340Nicht genugſam bewehrt, ihn, wo er auch immer uns findet, Mit gleich maͤchtigem Muth zu begegnen: — wie ſind wir da gluͤcklich? Gluͤcklich in einer beſtaͤndigen Furcht vor Leid und vor Ungluͤck? Aber Ungluͤck und Leid kann vor der Suͤnd’ uns nicht treffen; Denn die Verſuchung des Feindes beſchimpft uns allein durch ſein Urtheil, 345Welches unſere Treu entehrt; ſein ſchimpfliches Urtheil Kann uns indeß nicht beflecken; es faͤllt vielmehr auf ihn ſelber Voller Schande zuruͤck. Was haben wir ihn denn zu fuͤrchten? Haben wir nicht gedoppelten Ruhm dadurch zu erwerben, Wenn ſein ſchaͤndlicher Argwohn ihn truͤgt? Dann haben wir in uns 350Frieden, und Gunſt vom Himmel, und von dem Ausgang Beweiſe. Was iſt Lieb’ und Tugend und Treu, wofern ſie nicht ſelber, Ohne Huͤlfe von andern, ſich zu erhalten vermoͤchten! Bilde dir alſo nicht ein, daß dieſen ſeeligen Zuſtand Unſer weiſeſter Schoͤpfer ſo unvollkommen gelaſſen, 355Daß nicht jedes von uns, ſowohl allein, als beyſammen, Sicher II. Theil. L
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Neunter Geſang.
Und nicht lieber zugleich mit mir die Verſuchung erwarten,
Da ich der beſte Zeuge von deiner beſtaͤtigten Treu bin.
So ſprach Adam, beſorgt in ſeiner ehlichen Liebe.
Aber Eva, welche vermeynte, man traue zu wenig
Jhrer Tugend und Treu, verſetzte mit lieblicher Stimme.
Jſt das unſer geprieſener Stand, im engſten Bezirke
Eingeſchloſſen zu ſeyn, von einem grimmigen Feinde
Voll von Wuth, oder Liſt; iſt jedes von uns fuͤr ſich ſelber
Nicht genugſam bewehrt, ihn, wo er auch immer uns findet,
Mit gleich maͤchtigem Muth zu begegnen: — wie ſind wir da gluͤcklich?
Gluͤcklich in einer beſtaͤndigen Furcht vor Leid und vor Ungluͤck?
Aber Ungluͤck und Leid kann vor der Suͤnd’ uns nicht treffen;
Denn die Verſuchung des Feindes beſchimpft uns allein durch ſein Urtheil,
Welches unſere Treu entehrt; ſein ſchimpfliches Urtheil
Kann uns indeß nicht beflecken; es faͤllt vielmehr auf ihn ſelber
Voller Schande zuruͤck. Was haben wir ihn denn zu fuͤrchten?
Haben wir nicht gedoppelten Ruhm dadurch zu erwerben,
Wenn ſein ſchaͤndlicher Argwohn ihn truͤgt? Dann haben wir in uns
Frieden, und Gunſt vom Himmel, und von dem Ausgang Beweiſe.
Was iſt Lieb’ und Tugend und Treu, wofern ſie nicht ſelber,
Ohne Huͤlfe von andern, ſich zu erhalten vermoͤchten!
Bilde dir alſo nicht ein, daß dieſen ſeeligen Zuſtand
Unſer weiſeſter Schoͤpfer ſo unvollkommen gelaſſen,
Daß nicht jedes von uns, ſowohl allein, als beyſammen,
Sicher
II. Theil. L
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