Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763.

Bild:
<< vorherige Seite

Das verlohrne Paradies.

Sicher seyn könnte. Wie schlecht wär unser Glück nicht befestigt!
Eden wäre kein Eden, wenn solche Gefahren ihm drohten.

Feurig erwiedert ihr drauf der Vater der Menschen die Antwort;
Alles ist so am besten, o Weib [Spaltenumbruch] f)! so wie es des Höchsten
360Wille bestimmt. Die schaffende Hand ließ nicht das geringste

Mangelhaft, und am mindsten den Menschen. Jhm fehlt nichts von allem,
Welches sein Glück zu beschützen vermag -- vor äußrer Gewalt es
Zu beschützen vermag; denn bloß in ihm selber verborgen
Liegt die Gefahr, doch auch die Kraft, davor sich zu hüten.
365Jhm kann, wenn er's nicht will, kein Leid, kein Unglück begegnen;

Doch Gott läßt den Willen ihm frey; denn, was der Vernunft folgt,
Das ist frey. Er schuf die Vernunft rein, gut, und geboth ihr,
Jmmer auf ihrer Wache zu seyn, damit sie, betrogen
Durch ein falsches scheinendes Gut, nicht den Willen verleite,
370Etwas zu thun, was die Stimme des Schöpfers ausdrücklich verbothen

Mistraun ist es drum nicht, vielmehr die zärtlichste Liebe,
Wenn ich oftermals dich, und du mich wieder ermahnest.
Standhaft stehen wir zwar, allein wir können auch gleiten,
Da sehr leicht der Vernunft ein täuschender Gegenstand aufstößt,
375Den der betrügrische Feind ihr untergeschoben. So fällt sie
Jn
f) Jn dieser ganzen Unterredung, wel-
che der Poet in allen Stücken zur höch-
sten Vollkommenheit ausgearbeitet hat,
wird der Charakter mit der sorgfältigsten
Genauigkeit beobachtet. Mit weicher
Stärke wird der höhere Verstand des
Mannes hier geschildert, und wie fein
entwirft der Poet die allgemeinen Män-
[Spaltenumbruch] gel der weiblichen Sinnen! Mit welcher
Kunst läßt er endlich Adam wider seine
bessern Gründe seiner Gehülfinn willfah-
ren, indem er mit vieler Kunst unsern
ersten Stammvater das wahr machen
läßt, was er nicht lange zuvor dem En-
gel Raphael gestanden! Thyer.

Das verlohrne Paradies.

Sicher ſeyn koͤnnte. Wie ſchlecht waͤr unſer Gluͤck nicht befeſtigt!
Eden waͤre kein Eden, wenn ſolche Gefahren ihm drohten.

Feurig erwiedert ihr drauf der Vater der Menſchen die Antwort;
Alles iſt ſo am beſten, o Weib [Spaltenumbruch] f)! ſo wie es des Hoͤchſten
360Wille beſtimmt. Die ſchaffende Hand ließ nicht das geringſte

Mangelhaft, und am mindſten den Menſchen. Jhm fehlt nichts von allem,
Welches ſein Gluͤck zu beſchuͤtzen vermag — vor aͤußrer Gewalt es
Zu beſchuͤtzen vermag; denn bloß in ihm ſelber verborgen
Liegt die Gefahr, doch auch die Kraft, davor ſich zu huͤten.
365Jhm kann, wenn er’s nicht will, kein Leid, kein Ungluͤck begegnen;

Doch Gott laͤßt den Willen ihm frey; denn, was der Vernunft folgt,
Das iſt frey. Er ſchuf die Vernunft rein, gut, und geboth ihr,
Jmmer auf ihrer Wache zu ſeyn, damit ſie, betrogen
Durch ein falſches ſcheinendes Gut, nicht den Willen verleite,
370Etwas zu thun, was die Stimme des Schoͤpfers ausdruͤcklich verbothen

Mistraun iſt es drum nicht, vielmehr die zaͤrtlichſte Liebe,
Wenn ich oftermals dich, und du mich wieder ermahneſt.
Standhaft ſtehen wir zwar, allein wir koͤnnen auch gleiten,
Da ſehr leicht der Vernunft ein taͤuſchender Gegenſtand aufſtoͤßt,
375Den der betruͤgriſche Feind ihr untergeſchoben. So faͤllt ſie
Jn
f) Jn dieſer ganzen Unterredung, wel-
che der Poet in allen Stuͤcken zur hoͤch-
ſten Vollkommenheit ausgearbeitet hat,
wird der Charakter mit der ſorgfaͤltigſten
Genauigkeit beobachtet. Mit weicher
Staͤrke wird der hoͤhere Verſtand des
Mannes hier geſchildert, und wie fein
entwirft der Poet die allgemeinen Maͤn-
[Spaltenumbruch] gel der weiblichen Sinnen! Mit welcher
Kunſt laͤßt er endlich Adam wider ſeine
beſſern Gruͤnde ſeiner Gehuͤlfinn willfah-
ren, indem er mit vieler Kunſt unſern
erſten Stammvater das wahr machen
laͤßt, was er nicht lange zuvor dem En-
gel Raphael geſtanden! Thyer.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <lg n="11">
            <l>
              <pb facs="#f0102" n="82"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das verlohrne Paradies.</hi> </fw>
            </l><lb/>
            <l>Sicher &#x017F;eyn ko&#x0364;nnte. Wie &#x017F;chlecht wa&#x0364;r un&#x017F;er Glu&#x0364;ck nicht befe&#x017F;tigt!<lb/><hi rendition="#fr">Eden</hi> wa&#x0364;re kein Eden, wenn &#x017F;olche Gefahren ihm drohten.</l>
          </lg><lb/>
          <lg n="12">
            <l>Feurig erwiedert ihr drauf der Vater der Men&#x017F;chen die Antwort;</l><lb/>
            <l>Alles i&#x017F;t &#x017F;o am be&#x017F;ten, o Weib <cb/>
<note place="foot" n="f)">Jn die&#x017F;er ganzen Unterredung, wel-<lb/>
che der Poet in allen Stu&#x0364;cken zur ho&#x0364;ch-<lb/>
&#x017F;ten Vollkommenheit ausgearbeitet hat,<lb/>
wird der Charakter mit der &#x017F;orgfa&#x0364;ltig&#x017F;ten<lb/>
Genauigkeit beobachtet. Mit weicher<lb/>
Sta&#x0364;rke wird der ho&#x0364;here Ver&#x017F;tand des<lb/>
Mannes hier ge&#x017F;childert, und wie fein<lb/>
entwirft der Poet die allgemeinen Ma&#x0364;n-<lb/><cb/>
gel der weiblichen Sinnen! Mit welcher<lb/>
Kun&#x017F;t la&#x0364;ßt er endlich Adam wider &#x017F;eine<lb/>
be&#x017F;&#x017F;ern Gru&#x0364;nde &#x017F;einer Gehu&#x0364;lfinn willfah-<lb/>
ren, indem er mit vieler Kun&#x017F;t un&#x017F;ern<lb/>
er&#x017F;ten Stammvater das wahr machen<lb/>
la&#x0364;ßt, was er nicht lange zuvor dem En-<lb/>
gel Raphael ge&#x017F;tanden! <hi rendition="#fr">Thyer.</hi></note>! &#x017F;o wie es des Ho&#x0364;ch&#x017F;ten<lb/><note place="left">360</note>Wille be&#x017F;timmt. Die &#x017F;chaffende Hand ließ nicht das gering&#x017F;te</l><lb/>
            <l>Mangelhaft, und am mind&#x017F;ten den Men&#x017F;chen. Jhm fehlt nichts von allem,</l><lb/>
            <l>Welches &#x017F;ein Glu&#x0364;ck zu be&#x017F;chu&#x0364;tzen vermag &#x2014; vor a&#x0364;ußrer Gewalt es</l><lb/>
            <l>Zu be&#x017F;chu&#x0364;tzen vermag; denn bloß in ihm &#x017F;elber verborgen</l><lb/>
            <l>Liegt die Gefahr, doch auch die Kraft, davor &#x017F;ich zu hu&#x0364;ten.<lb/><note place="left">365</note>Jhm kann, wenn er&#x2019;s nicht will, kein Leid, kein Unglu&#x0364;ck begegnen;</l><lb/>
            <l>Doch Gott la&#x0364;ßt den Willen ihm frey; denn, was der Vernunft folgt,</l><lb/>
            <l>Das i&#x017F;t frey. Er &#x017F;chuf die Vernunft rein, gut, und geboth ihr,</l><lb/>
            <l>Jmmer auf ihrer Wache zu &#x017F;eyn, damit &#x017F;ie, betrogen</l><lb/>
            <l>Durch ein fal&#x017F;ches &#x017F;cheinendes Gut, nicht den Willen verleite,<lb/><note place="left">370</note>Etwas zu thun, was die Stimme des Scho&#x0364;pfers ausdru&#x0364;cklich verbothen</l><lb/>
            <l>Mistraun i&#x017F;t es drum nicht, vielmehr die za&#x0364;rtlich&#x017F;te Liebe,</l><lb/>
            <l>Wenn ich oftermals dich, und du mich wieder ermahne&#x017F;t.</l><lb/>
            <l>Standhaft &#x017F;tehen wir zwar, allein wir ko&#x0364;nnen auch gleiten,</l><lb/>
            <l>Da &#x017F;ehr leicht der Vernunft ein ta&#x0364;u&#x017F;chender Gegen&#x017F;tand auf&#x017F;to&#x0364;ßt,<lb/><note place="left">375</note>Den der betru&#x0364;gri&#x017F;che Feind ihr unterge&#x017F;choben. So fa&#x0364;llt &#x017F;ie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Jn</fw><lb/></l>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0102] Das verlohrne Paradies. Sicher ſeyn koͤnnte. Wie ſchlecht waͤr unſer Gluͤck nicht befeſtigt! Eden waͤre kein Eden, wenn ſolche Gefahren ihm drohten. Feurig erwiedert ihr drauf der Vater der Menſchen die Antwort; Alles iſt ſo am beſten, o Weib f)! ſo wie es des Hoͤchſten Wille beſtimmt. Die ſchaffende Hand ließ nicht das geringſte Mangelhaft, und am mindſten den Menſchen. Jhm fehlt nichts von allem, Welches ſein Gluͤck zu beſchuͤtzen vermag — vor aͤußrer Gewalt es Zu beſchuͤtzen vermag; denn bloß in ihm ſelber verborgen Liegt die Gefahr, doch auch die Kraft, davor ſich zu huͤten. Jhm kann, wenn er’s nicht will, kein Leid, kein Ungluͤck begegnen; Doch Gott laͤßt den Willen ihm frey; denn, was der Vernunft folgt, Das iſt frey. Er ſchuf die Vernunft rein, gut, und geboth ihr, Jmmer auf ihrer Wache zu ſeyn, damit ſie, betrogen Durch ein falſches ſcheinendes Gut, nicht den Willen verleite, Etwas zu thun, was die Stimme des Schoͤpfers ausdruͤcklich verbothen Mistraun iſt es drum nicht, vielmehr die zaͤrtlichſte Liebe, Wenn ich oftermals dich, und du mich wieder ermahneſt. Standhaft ſtehen wir zwar, allein wir koͤnnen auch gleiten, Da ſehr leicht der Vernunft ein taͤuſchender Gegenſtand aufſtoͤßt, Den der betruͤgriſche Feind ihr untergeſchoben. So faͤllt ſie Jn f) Jn dieſer ganzen Unterredung, wel- che der Poet in allen Stuͤcken zur hoͤch- ſten Vollkommenheit ausgearbeitet hat, wird der Charakter mit der ſorgfaͤltigſten Genauigkeit beobachtet. Mit weicher Staͤrke wird der hoͤhere Verſtand des Mannes hier geſchildert, und wie fein entwirft der Poet die allgemeinen Maͤn- gel der weiblichen Sinnen! Mit welcher Kunſt laͤßt er endlich Adam wider ſeine beſſern Gruͤnde ſeiner Gehuͤlfinn willfah- ren, indem er mit vieler Kunſt unſern erſten Stammvater das wahr machen laͤßt, was er nicht lange zuvor dem En- gel Raphael geſtanden! Thyer.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/102
Zitationshilfe: Milton, John: Das Verlohrne Paradies. Bd. 2. Übers. v. Justus Friedrich Wilhelm Zachariae Altona, 1763, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/milton_paradies02_1763/102>, abgerufen am 16.05.2024.