wiß männliches genug! Aber ich glaube, je zarter und richtiger und tiefer einer fühlt, und je mehr er seinen eignen Werth kennt, desto mehr muß ihn un- glückliche, verschmähte, oder durch Lumpenumstände zernichtete Liebe kränken. -- Nein! ich bedaure meinen Freund im Jnnersten der Seele, und schätz ihn nur noch höher, seit ich gesehen habe, wie er mit sich selbst ringt, und doch seinen Schmerz so bekämpft, daß er niemals ganz verzagt.
Sophie. Hat denn der Herr von Kronhelm gar keine Hofnung, daß er in seiner Liebe jemals glücklich werden wird?
Siegwart. Wenig, oder keine, Jungfer Sophie!
Sophie. Das ist traurig! Wenn ich an seiner Stelle wär, ich gieng ins Kloster. Ueberhaupt halt ich viel vom Klosterleben. Man kann da all sein Leid in der Stille so verseufzen, und wird von Men- schen nicht gestört. Die Einsamkeit ist des Men- schen beste Freundin, und die wohnt im Kloster.
Siegwart. O, da haben Sie vollkommen recht, Jungfer Sophie. Ja, das Klosterleben geht vor allem andern. Jch weis, wie es da so gut ist, und kanns kaum erwarten, bis ich da bin. --
Jndem setzte sich eine Nachtigall nahe bey ihnen auf einen blühenden Apfelbaum, und fieng an, aus
wiß maͤnnliches genug! Aber ich glaube, je zarter und richtiger und tiefer einer fuͤhlt, und je mehr er ſeinen eignen Werth kennt, deſto mehr muß ihn un- gluͤckliche, verſchmaͤhte, oder durch Lumpenumſtaͤnde zernichtete Liebe kraͤnken. — Nein! ich bedaure meinen Freund im Jnnerſten der Seele, und ſchaͤtz ihn nur noch hoͤher, ſeit ich geſehen habe, wie er mit ſich ſelbſt ringt, und doch ſeinen Schmerz ſo bekaͤmpft, daß er niemals ganz verzagt.
Sophie. Hat denn der Herr von Kronhelm gar keine Hofnung, daß er in ſeiner Liebe jemals gluͤcklich werden wird?
Siegwart. Wenig, oder keine, Jungfer Sophie!
Sophie. Das iſt traurig! Wenn ich an ſeiner Stelle waͤr, ich gieng ins Kloſter. Ueberhaupt halt ich viel vom Kloſterleben. Man kann da all ſein Leid in der Stille ſo verſeufzen, und wird von Men- ſchen nicht geſtoͤrt. Die Einſamkeit iſt des Men- ſchen beſte Freundin, und die wohnt im Kloſter.
Siegwart. O, da haben Sie vollkommen recht, Jungfer Sophie. Ja, das Kloſterleben geht vor allem andern. Jch weis, wie es da ſo gut iſt, und kanns kaum erwarten, bis ich da bin. —
Jndem ſetzte ſich eine Nachtigall nahe bey ihnen auf einen bluͤhenden Apfelbaum, und fieng an, aus
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wiß maͤnnliches genug! Aber ich glaube, je zarter
und richtiger und tiefer einer fuͤhlt, und je mehr er
ſeinen eignen Werth kennt, deſto mehr muß ihn un-
gluͤckliche, verſchmaͤhte, oder durch Lumpenumſtaͤnde
zernichtete Liebe kraͤnken. — Nein! ich bedaure
meinen Freund im Jnnerſten der Seele, und ſchaͤtz
ihn nur noch hoͤher, ſeit ich geſehen habe, wie er
mit ſich ſelbſt ringt, und doch ſeinen Schmerz ſo
bekaͤmpft, daß er niemals ganz verzagt.
Sophie. Hat denn der Herr von Kronhelm
gar keine Hofnung, daß er in ſeiner Liebe jemals
gluͤcklich werden wird?
Siegwart. Wenig, oder keine, Jungfer Sophie!
Sophie. Das iſt traurig! Wenn ich an ſeiner
Stelle waͤr, ich gieng ins Kloſter. Ueberhaupt halt
ich viel vom Kloſterleben. Man kann da all ſein
Leid in der Stille ſo verſeufzen, und wird von Men-
ſchen nicht geſtoͤrt. Die Einſamkeit iſt des Men-
ſchen beſte Freundin, und die wohnt im Kloſter.
Siegwart. O, da haben Sie vollkommen recht,
Jungfer Sophie. Ja, das Kloſterleben geht vor
allem andern. Jch weis, wie es da ſo gut iſt, und
kanns kaum erwarten, bis ich da bin. —
Jndem ſetzte ſich eine Nachtigall nahe bey ihnen
auf einen bluͤhenden Apfelbaum, und fieng an, aus
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/74>, abgerufen am 24.11.2024.
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