wo er ihn gewöhnlich auf dem Grab des P. Gre- gors fand. Er fühlte, daß ihn der innerliche Gram, das viele Fasten, und das strenge Geisseln nach und nach abzehrten und entkräfteten, und fühlte es gern. Wenn der Schlaf, das Bild des Todes kam, so flehte er zu Gott, ihn bald in den ewigen Schlum- mer einzuwiegen, aus dem kein Aufstehn mehr zu Schmerz und Thränen seyn wird. --
Als ein halbes Jahr um war, gieng Bruder Por- phyr wieder aus dem Kloster. Man ließ ihn gern gehn, weil er allerley schlechte und muthwillige Strei- che gemacht hatte. Als man aber unsern Siegwart fragte, ob er bleiben wollte? so sagte er mit Freuden Ja, ohngeachtet ihn der Novizmeister so hart hielt.
Kronhelm besuchte seinen lieben Siegwart ein paarmal im Kloster. Er erschrack, als er ihn so blaß und abgezehrt fand. Er wendete alle Mühe an, ihn zu überreden, das Kloster wieder zu verlassen, und sich nicht selbst ins Grab zu bringen; aber alle seine Zärtlichkeit und Liebe war vergeblich angewendet. Siegwart hätte es für einen Kirchenraub gehalten, wenn er hätte wieder in die Welt zurück kehren wol- len. Die Furcht seines Kronhelms, daß er bald sterben möchte, schmeichelte ihm, und er hörte von
wo er ihn gewoͤhnlich auf dem Grab des P. Gre- gors fand. Er fuͤhlte, daß ihn der innerliche Gram, das viele Faſten, und das ſtrenge Geiſſeln nach und nach abzehrten und entkraͤfteten, und fuͤhlte es gern. Wenn der Schlaf, das Bild des Todes kam, ſo flehte er zu Gott, ihn bald in den ewigen Schlum- mer einzuwiegen, aus dem kein Aufſtehn mehr zu Schmerz und Thraͤnen ſeyn wird. —
Als ein halbes Jahr um war, gieng Bruder Por- phyr wieder aus dem Kloſter. Man ließ ihn gern gehn, weil er allerley ſchlechte und muthwillige Strei- che gemacht hatte. Als man aber unſern Siegwart fragte, ob er bleiben wollte? ſo ſagte er mit Freuden Ja, ohngeachtet ihn der Novizmeiſter ſo hart hielt.
Kronhelm beſuchte ſeinen lieben Siegwart ein paarmal im Kloſter. Er erſchrack, als er ihn ſo blaß und abgezehrt fand. Er wendete alle Muͤhe an, ihn zu uͤberreden, das Kloſter wieder zu verlaſſen, und ſich nicht ſelbſt ins Grab zu bringen; aber alle ſeine Zaͤrtlichkeit und Liebe war vergeblich angewendet. Siegwart haͤtte es fuͤr einen Kirchenraub gehalten, wenn er haͤtte wieder in die Welt zuruͤck kehren wol- len. Die Furcht ſeines Kronhelms, daß er bald ſterben moͤchte, ſchmeichelte ihm, und er hoͤrte von
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wo er ihn gewoͤhnlich auf dem Grab des P. Gre-
gors fand. Er fuͤhlte, daß ihn der innerliche Gram,
das viele Faſten, und das ſtrenge Geiſſeln nach und
nach abzehrten und entkraͤfteten, und fuͤhlte es gern.
Wenn der Schlaf, das Bild des Todes kam, ſo
flehte er zu Gott, ihn bald in den ewigen Schlum-
mer einzuwiegen, aus dem kein Aufſtehn mehr zu
Schmerz und Thraͤnen ſeyn wird. —
Als ein halbes Jahr um war, gieng Bruder Por-
phyr wieder aus dem Kloſter. Man ließ ihn gern
gehn, weil er allerley ſchlechte und muthwillige Strei-
che gemacht hatte. Als man aber unſern Siegwart
fragte, ob er bleiben wollte? ſo ſagte er mit Freuden
Ja, ohngeachtet ihn der Novizmeiſter ſo hart hielt.
Kronhelm beſuchte ſeinen lieben Siegwart ein
paarmal im Kloſter. Er erſchrack, als er ihn ſo blaß
und abgezehrt fand. Er wendete alle Muͤhe an, ihn
zu uͤberreden, das Kloſter wieder zu verlaſſen, und
ſich nicht ſelbſt ins Grab zu bringen; aber alle ſeine
Zaͤrtlichkeit und Liebe war vergeblich angewendet.
Siegwart haͤtte es fuͤr einen Kirchenraub gehalten,
wenn er haͤtte wieder in die Welt zuruͤck kehren wol-
len. Die Furcht ſeines Kronhelms, daß er bald
ſterben moͤchte, ſchmeichelte ihm, und er hoͤrte von
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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 1043. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/623>, abgerufen am 24.11.2024.
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